Leicht reizbar – Hilfe bei Depression und Reizbarkeit

Wut Reizbarkeit und Depression

Reizbarkeit kann auch ein Zeichen von Depression sein

Kennst du das auch von dir oder deinem depressiven Angehörigen? Da gibt es immer wieder diese gewisse leichte Reizbarkeit. Da gibt es immer wieder diese unbestimmte Wut, diese ungeheure Kraft, die sich selbst zu nähren scheint und sich auf diese Weise wieder und wieder am Leben erhält. Ich persönlich mag sie nicht, diese Reizbarkeit. Ich will sie echt nicht an mir haben, diese Wut! Sie passt so überhaupt nicht zu mir, wie ich finde. Ich glaube ferner, man kann sein Leben nicht wirklich genießen, wenn man wütend ist. Und ich möchte doch mein Leben genießen. So viel steht fest. Trotzdem ist sie da, diese komische Wut, öfter als mir lieb ist. Was kann ich nur tun, damit sie endlich verschwindet? 


Was ist leichte Reizbarkeit?

Da gibt es also eine leichte Reizbarkeit. Sie fühlt sich an wie eine ständig vorhandene kleine Wut, die rasch groß zu werden vermag. Offen gestanden, ich verwende einen ziemlichen Aufwand darauf, diese latente Wut nicht groß werden zu lassen. Ich unterdrücke sie, überspiele sie und lenke mich ab, wenn ich sie spüre. Ich tue dies, so gut ich kann. Ja, Ablenkung ist für so einen Fall immer gut für mich! Darum liebe ich vermutlich auch die Abwechslung so sehr. Da kann sich kaum Routine einstellen.

Tödliche Routine

Routine. Oh, ich hasse Routine! Ich hab mich manches Mal schon gefragt, warum das eigentlich so ist. Eine Zeit lang dachte ich, einfache Arbeiten würden mich wohl deshalb langweilen, weil sie mich intellektuell nicht ausreichend forderten. Ich hielt mich wohl für zu klug, was? Erstaunlich, welche Wege das Unterbewusstsein manchmal geht, um zu bekommen, was es will. Das kann nämlich mitnichten der Weisheit letzter Schluss sein.

Unter Druck

Ich habe zahlreiche Menschen kennen gelernt, die weitaus klüger sind als ich und die kein Problem damit haben, einfache Arbeiten auszuführen. Sie sind durchaus in der Lage, dies mit Muße zu tun, ja dabei sogar regelrecht zur Ruhe zu kommen. Mir jedoch ist dies nur wirklich sehr selten vergönnt. Ich werde schnell nervös. Nicht nur, wenn ich mich unter Druck gesetzt fühle, auch wenn ich die Dinge vermutlich nicht gut oder nicht schnell genug erledigen kann. Was will oder kann ich nicht sehen? Warum will ich anscheinend wütend sein, während ich es doch gleichzeitig eigentlich so gar nicht will? Warum will sich ein Teil von mir wohl nicht mit meiner Wut und Reizbarkeit auseinandersetzen, während sich die Wut selbst doch bei jeder sich bietenden Gelegenheit, und sei sie auch noch so banal, nach oben kämpft?

Möchte ich vielleicht wütend sein?

Was mögen das für Instanzen sein, die sich da immerfort in ihren Bedürfnissen ausschließen? Warum kann ich nicht wirklich mit mir und der Welt Frieden finden? Warum kann die Wut sich nicht einfach legen, zumal es doch keinen adäquaten Grund für sie gibt? Mein einstiger Therapeut würde jetzt sagen: „Es gibt immer einen Grund, Benno!“ Und vermutlich hätte er Recht mit seiner Aussage. Also mache ich mich auf die Suche nach den Gründen meiner Reizbarkeit. Was könnte der Grund für diese immer wiederkehrende Wut sein?

Das wütende Kind

Bei Kindern ist das noch alles einfach. Da können wir es sehen. Bis zu einer gewissen Entwicklungsstufe jedenfalls lebt das Kind seine Gefühle frei heraus. Da geht es zumeist um Bedürfnisse, die nicht oder nicht sofort erfüllt werden können und natürlich um Frustration. Frustration ist eigentlich immer die Vorstufe zur Wut. Das kennen auch wir Erwachsenen von uns, nicht wahr? Eigentlich sind wir in dieser Beziehung auch oftmals noch Kind. Es sind die Muster, die wir einst erwarben, die sich eisern halten, sogar bis ins hohe Lebensalter, wenn wir sie nicht irgendwann erkennen, benennen und beschreiben können und durch anderes Verhalten zu ersetzen in der Lage sind.

Ungestilltes Bedürfnis

Da gibt es also irgendein Bedürfnis, das erfüllt werden will und momentan nicht erfüllt werden kann. Okay. Dieser Umstand allein rechtfertigt ja aber noch keine Wut. Es muss ein zweiter Punkt hinzu kommen, denke ich, nämlich die unbedingte Überzeugtheit, dass das, was ich mir jetzt gerade wünsche, mir auch unbedingt zusteht. Ich muss mir sicher sein, dass ich das, was ich gerade begehre, eigentlich auch haben könnte, wäre da nicht… Ich muss mich ungerecht behandelt fühlen. Der Gerechtigkeitssinn ist bei den meisten Menschen durchweg sehr gut ausgebildet und von großer Bedeutung. Wenn Menschen sich ungerecht behandelt fühlen, sind sie zu Erstaunlichem fähig, allerdings nicht immer zu etwas erstaunlich Gutem.

Kränkung und Verlust als Auslöser für Wut

Wenn wir von Wut und Reizbarkeit reden, geht es also im Grunde genommen immer um eine Kränkung. Es kränkt uns, wenn wir nicht bekommen, was wir brauchen. Wir verstehen nicht, dass man uns unsere Bedürfnisse abspricht. Das ist die eine Möglichkeit. Die andere Möglichkeit ist die, dass mit uns alles im Lot ist, dann aber plötzlich etwas weg fällt. Beispielsweise, jemand nimmt mir etwas weg oder etwas geht kaputt oder verloren, an dem mir gelegen ist. Auch hier kann schnell Frust aufkommen. Die Wut ist dann nicht weit.

Frustration

Wut hat also etwas mit Frust zu tun und wenn wir von Frust reden, dann reden wir auch automatisch über die sogenannte Frustrationstoleranz. Damit ist gemeint, wie viel Frust ein Mensch erträgt, ohne in Wut auszubrechen. Ich glaube, meine Frustrationsgrenze ist da recht niedrig anzusetzen. Ich gelange relativ schnell in Wut, mitunter raptusartig. Es braucht nur ein kleines Ärgernis und schon bricht es aus mir heraus. Ich fluche! (Natürlich nur, wenn niemand in der Nähe ist. Ansonsten verkneife ich mir das tunlichst.) Manchmal fühle ich mich schon allein davon genervt, dass mein Kater um Futter bettelt oder mein Hund mich anbellt. Dann stehlen sie mir meine Ruhe und ich brauche doch gerade meine Ruhe. Verdammt nochmal! Nur finde ich sie eben auch nicht, indem ich wütend werde, ganz im Gegenteil…

Die Wut zulassen

Wäre es vielleicht besser, ich würde meine Wut einfach einmal zulassen? Was wäre, wenn ich akzeptieren könnte, dass es diese leichte Reizbarkeit an mir gibt? Warum eigentlich kann ich das nicht? Ah, womöglich könnten umstehende Menschen dann schlecht über mich denken? Oder jemand könnte sich abwenden von mir? Oder jemand könnte Angst bekommen und sich von mir zurückziehen. Und warum denke ich so? Einmal, weil Verlustangst sowieso eines meiner großen Themen ist und zum anderen sicher, weil ich der Überzeugung bin, dass ein wütender Mensch kein guter Mensch  ist. Und ein guter Mensch möchte ich schon sein, gut für andere und auch gut für mich. Ich hätte, ehrlich gesagt,  nie gedacht, dass das so schwer sein kann.

Die Wut des Vaters

Als Kind hatte ich meinen Vater sehr oft gereizt erlebt. Ich hatte dann  Angst vor ihm. Wenn er wütend war, war es besser, nicht in seiner Nähe zu sein. Doch es half zumeist nicht. Er suchte dann aetwas und fand es auch stets. Irgendetwas hatte ich dann doch wieder falsch gemacht. Irgendetwas hatte ihn dann gekränkt. Es war sehr wichtig für ihn, dass man ihn ernst nahm, ihn und seine Regeln, die selbstverständlich nur für uns Kinder galten, wie beispielsweise die: „Beim Essen spricht man nicht!“ Ich habe nie über meinen Vater lachen dürfen, selbst wenn eine Situation einmal lustig war. Das ertrug er nicht. Das machte ihn wütend. Und wenn er wütend war, dann wurde er laut und dann dauerte es meist auch nicht lange und es setzte was. Manchmal aber unterdrückte er seine Wut auch eine Zeit lang und haute mir dann bei nächstbester Gelegenheit unvermittelt eine runter.

Der therapeutische Ansatz

Nein, wie mein Vater möchte ich nicht sein, aber ich fürchte, genau so bin ich nun geworden. Wegen jedem bisschen bin ich sofort auf der Palme. So lange beobachte ich mich da jetzt schon und komme nicht weiter. Auch Psychotherapie konnte da nicht viel auflösen. Ich hätte meinen Vater besuchen sollen. Das war der therapeutische Ansatz, aber dazu sah ich mich nicht in der Lage. Dazu fehlte mir die Kraft. Es würde ja doch nur wieder auf eine erneute Verletzung hinaus laufen. Und bin ich nicht auch dafür verantwortlich, sorgsam mit meinen Kräften umzugehen?

Aktuell jedenfalls halte ich es für besser, ihn nicht zu treffen. Das zumindest war über viele Jahre gut für mich. Vielleicht werde ich ihn irgendwann besuchen und zur Rede stellen. Aber vielleicht werde ich es auch niemals tun. Ich kann nicht erwarten, dass er irgendetwas einsieht, dass ihm irgendetwas leid tut, dass er sich in irgendeiner Weise ändern könnte. Ich denke, es ist für alle Beteiligten das Beste, einfach den Status quo zu halten.

Wie werde ich die Wut los?

Theoretisch, aber leider eben nur theoretisch, hätte ich da gleich vier Ansätze zu bieten, von deren Wirksamkeit ich auch ziemlich überzeugt bin. Nur nützt es halt nicht viel, wenn diese Ansätze nur aus meinem Kopf und nicht aus meinem Herzen kommen, nicht wahr? Da kann ich theoretisch noch so überzeugt sein. Ich müsste es auch fühlen können und so weit bin ich anscheinend noch nicht. Was also könnte nun theoretisch helfen, die innere Wut gehen zu lassen?

  1. Vergebung
  2. Verständnis
  3. Akzeptanz
  4. Sehen auf den Gewinn

Ja, theoretisch ist das einleuchtend. Theoretisch ist mir das klar. Wie aber gelange ich konkret dorthin? Wie genau komme ich in den von mir erwähnten Herzenszustand? Und da wird es dann auch schnell wieder nüchtern und kompliziert. Ich vermute nämlich mal, dass ich dorthin gar nicht kommen kann. Ich vermute, dass ich nicht wirklich in die Liebe kommen kann, solange ich in der Wut bin.

Das Gegenteil von Wut und Reizbarkeit

Was wäre denn eigentlich in dem von mir dargelegten Fall das Gegenteil von Wut? Gelassenheit? Ruhe? Zufriedenheit?
Eigentlich bin ich ja zufrieden. Ich weiß, „eigentlich“ ist eine Einschränkung. Aber ich kann sie nicht benennen, diese Einschränkung. Wenn du mich fragst, was mir fehlt, sage ich dir: „Es geht mir gut! Es ging mir lange nicht so gut!“ Aber das kann ja noch nicht die ganze Wahrheit sein, sonst säße ich jetzt nicht hier und zerbräche mir den Kopf über Dinge wie Reizbarkeit, Wut oder Zufriedenheit. Also, wie steht es wirklich mit meiner Zufriedenheit? Ich glaube nämlich doch, dass es hauptsächlich etwas mit Frieden zu tun hat, mit innerem Frieden. Ich glaube, innerer Frieden ist das Gegenteil von Wut und wenn ich den habe, dann verspüre ich auch so etwas wie Ruhe und Gelassenheit, nur dann eigentlich bin ich nicht so leicht reizbar.

Wie gewinne ich Frieden?

Vergebung, Verständnis, Akzeptanz, Sehen auf den Gewinn – das ist wohl alles richtig, aber es ist die Folge, nicht die Basis inneren Friedens, denke ich. Inneren Frieden kann ich nicht erlangen, indem ich im Außen etwas tue. Inneren Frieden kann ich nur erlangen, indem ich im Inneren etwas tue, etwas für mich tue. Indem ich zum Beispiel mir selbst vergebe, für meine Schwächen, meine Fehler, mein Anderssein, anders als sie mich haben wollten, kann sich etwas zum Guten ändern. Inneren Frieden kann ich erlangen, indem ich Verständnis für mich habe, dafür dass ich so oder so entschied und darauf vertraue, dass ich es jeweils so gut tat, wie ich konnte. Ich sollte einfach akzeptieren, dass ich so bin wie ich bin.

Es ist nicht nötig, jemand sein zu wollen, der ich nicht sein kann, jemand den andere vielleicht gern in mir gesehen hätten. In einem einzigen Wort zusammengefasst, setzt mein innerer Frieden also Selbstliebe in seiner reinen, aufrichtigen Form voraus. Diese Liebe muss keineswegs erwachsen sein. Liebe an sich ist weise und kommt sie noch so naiv daher. Liebe bedeutet Sein-dürfen.

Und so komme ich wieder einmal zum wichtigsten Thema in meinem Leben, ganz egal von welchem Punkt aus ich mich ihm mit meinen Fragen auch nähere. Heute war es die Wut. Es könnte aber auch das Thema Trauer gewesen sein, Angst oder Einsamkeit…

Eigentlich ist doch alles ganz einfach, nicht wahr? Eigentlich…

Quellen zu „Reizbarkeit und Depression“
Foto: pixabay.com

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