Stimmungsschwankungen und starke Gefühle bei Depression
Irgendetwas läuft schief mit uns Menschen. Irgendetwas hat sich von seiner Ursprungsform fortentwickelt. Etwas völlig Natürliches untersteht plötzlich der Moralfrage. „Darf ich so fühlen?“, fragen sich depressive Menschen, wenn sie statt der vertrauten Niedergedrücktheit plötzlich einmal Freude empfinden. „Darf ich so fühlen?“, fragen sie sich auch wenn sie eher Aggression als Depression in sich aufkommen spüren. Dass Stimmungsschwankungen ebenso zur Depression gehören wie Niedergedrücktheit, wissen sie oftmals gar nicht.
Stimmungsschwankungen
Viele Menschen haben massive Probleme mit ihren Gefühlen. Heftige Stimmungsschwankungen können ihnen ihr Leben schnell einmal zur Achterbahnfahrt werden lassen. Mal sind es zu viele Gefühle, ein andermal sind es zu wenig. Einmal fühlen sie sich völlig überfordert und wieder ein anderes mal ganz leer. Manchmal fühlen sie einen regelrechten Cocktail und könnten gar nicht benennen, um welche Emotionen es sich im einzelnen handelt. Ein anderes Mal fühlen sie nur ein Gefühl, können es aber dennoch nicht zuordnen. Ist es Trauer oder Scham, ist es Einsamkeit oder das Gefühl, abgelehnt zu werden?
Darf ich wütend sein?
Weil wir gerade die schmerzhaften Gefühle so ungern an uns heran lassen, kennen wir uns mit ihnen auch so wenig aus. Auch Angehörige von Depressiven haben oftmals ein Problem mit diesen Stimmungsschwankungen und letztlich auch mit ihren eigenen Gefühlen dazu. Darf ich jetzt wütend sein auf meinen Partner/Freund, wo er doch so krank ist? Darf ich traurig sein, weil mir jetzt etwas fehlt oder ist es Unrecht, dass ich hier gerade Forderungen aufstellen will, wo mein Partner/Freund doch eigentlich derjenige ist, der Verständnis braucht? Hinter diesem Auf und Ab von Gefühlen stecken aber manchmal auch destruktive Gedankenmuster, die nur schwer zu enttarnen sind.
Psychopathen fühlen nicht
Die Fähigkeit zu fühlen gehört zur Grundausstattung der Menschen. Gefühle zu haben ist natürlich und Gefühle zu haben ist gesund. Menschen, die in bestimmten Lebensbereichen oder Situationen nichts empfinden, zum Beispiel Menschen die andere Menschen quälen können, ja sogar in der Lage sind, sie zu töten ohne mit der Wimper zu zucken, sind uns als Psychopathen bekannt. Das Wort Psychopath bedeutet aber eigentlich nur, krank an der Seele zu sein und das sind auch Depressive, Schizophrene, Phobiker und andere. Auf diese Weise werden die Opfer von Gewalttaten leider immer wieder in dieselbe Schublade wie die Täter gesteckt. Das ist auch ein Grund mit dafür, weshalb der Volksmund im Allgemeinen in abwertender Weise über seelisch kranke Menschen spricht.
Empathielos
Zur besseren Abgrenzung setzt sich deshalb hier allmählich der Begriff Soziopath durch. Damit sollen Menschen beschrieben werden, die zu keinerlei Empathie fähig sind, also kein Mitgefühl für ihr Gegenüber haben. Oftmals sind das dann Menschen, die gewalttätig werden und deshalb regelmäßig mit dem Gesetz in Konflikt kommen. Meist fühlen sie auch keine Angst, bei dem was sie tun.
Gefühle sind okay
Darf ich so fühlen? Zu fühlen, sollte zunächst einmal kein Problem darstellen. Etwas zu fühlen, signalisiert mir: Ich lebe und ich habe Bedürfnisse. Etwas fühlen zu können ist auch Bedingung, sich als lebendig wahrnehmen zu können. Trotzdem haben wir hin und wieder so unsere Problem mit bestimmten Gefühlen. Insbesondere auch heftige Stimmungsschwankungen sorgen immer wieder für Verwirrung. Weshalb ist das so?
Gefühle und Moral
Kleine Kinder haben kein Problem damit, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen, jedenfalls solange bis man beginnt, sie zu erziehen, also ziemlich bald. Normalerweise äußern sie frank und frei, was sie brauchen, was ihnen gefällt und was nicht. Auch Stimmungsschwankungen nennen wir hier nicht pathologisch (von Krankheitswert). Mit Kindern zu kommunizieren ist deshalb noch recht leicht. Sie zeigen sich. Sie geben sich zu erkennen. Ihr Lachen ist ebenso echt, wie ihre Tränen es sind. Doch dann irgendwann machen sie ihre ersten Erfahrungen. Sie lernen zum Beispiel, dass es nicht gut ist, Schadenfreude zu erleben. Auch das Fühlen von Wut hat in der Regel recht bald einschneidende Konsequenzen für sie. Zudem wird ihnen alles, was nach Eigenlob stinkt abtrainiert, also auch ein gesundes Maß an Stolz. Man lehrt sie, ihre Gefühle nicht einfach so auszuleben.
Reiß dich zusammen!
Sie sollen sich beherrschen, zusammenreißen. Weinen sollen sie nicht, nicht so laut lachen und schon gar nicht albern sein. Sie sollen sich nicht ängstigen und sie sollen nicht traurig sein. Übermütig sein sollen sie auch nicht sein und so weiter und so weiter. Tun sie es trotzdem, sollen sie sich gehörig dafür schämen, schämen sie sich aber für etwas, sollen sie sich wiederum nicht schämen. So wird im Laufe der Zeit ziemlich kompliziert, was eigentlich einmal ganz einfach war.
Total verbogen
Bis wir erwachsen sind, sind wir total verbogen und in die Normschablone unserer Gesellschaft eingepasst worden. In anderen Kulturen sehen diese Schablonen anders aus, aber das Prinzip Erziehung dürfte dasselbe sein. Wir sprechen von einem Verhaltenskodex, von Moral und glauben etwas geschaffen zu haben, das es uns Menschen erleichtert, miteinander zu leben. Ich behaupte aber, dass in Teilen genau das Gegenteil dabei heraus gekommen ist. Wir zeigen nicht mehr, was für fühlen ohne vorher im Kopf den Schaden/Nutzen-Effekt ermittelt zu haben. Für jedwede Abweichung von einer Norm schämen wir uns, obwohl die im Grunde doch recht wenig mit uns selbst zu tun hat. Allein die Norm ist die Abweichung von unserer Individualität und Persönlichkeit. Wir legen uns Masken zu und spielen Rollen. So verstecken wir uns, verkleiden uns, spielen etwas vor. Und das alles soll die Kommunikation erleichtern? Ich denke, das darf man getrost bezweifeln…
Das Charisma
Unsere Gefühle sind eine Gabe des Lebens an uns. Alle Menschen bekommen sie, auch Soziopathen. Der einzige Unterschied zum Soziopathen besteht darin, dass wir unsere Fähigkeit zur Empathie, also zum Mitgefühl nicht abschalten können. Soziopathen können das. Normalerweise empfinden sie kein Mitleid, sie sind aber sehr wohl dazu in der Lage, wenn sie es wollen. Gefühle sind eine Gnadengabe. Sie machen das Leben bunt, lassen es uns als abwechslungsreich empfinden. Das Wort Charisma stammt aus dem Griechischen und bedeutet soviel wie Gnadengabe. Wir alle haben diese Gabe erhalten, aber wie viele Menschen mit Charisma kennst du wirklich? Der Psychologe Richard Wiseman, Professor an der Universität Hertfordshire, hat im wesentlichen drei Eigenschaften festgestellt, über die eine charismatische Personen verfügt:
- Emotionen werden sehr stark empfunden
- Sie ist in der Lage, auch andere Menschen derart starke Gefühle erleben zu lassen.
- Resistenz gegenüber Einflüssen anderer charismatischer Menschen
Selbstannahme
Menschen, die sich auf die Reise zu sich selbst machen (das passiert meist so jenseits der Vierzig) sind ohne es zu wissen damit befasst, ihr eigenes Charisma frei zu legen. Wenn wir wieder gelernt haben, zu unseren Gefühlen zu stehen, sie als eine Art Gnadengabe ansehen können, wenn wir aufhören damit, uns hinter Masken zu verstecken, die uns ohnehin nicht sonderlich gut zu Gesicht stehen, dann müssen wir uns die eingangs gestellte Frage – Darf ich so fühlen? – auch nicht mehr stellen. Ich fühle so, weil ich so bin. Darum kann ich auch Ja zu mir sagen. Ich nehme mich an. Wie ich bin, so bin ich! Ich bin authentisch.
Selbstannahme und Toleranz
Und noch einen weiteren positiven Effekt, eine weitere Gnadengabe verbirgt sich hinter dem Vorgang der Selbstannahme. Wenn ich zu meinen Gefühlen stehen kann, wenn ich zu mir selbst stehen kann, dann muss ich mich auch nicht länger für meine Fehler schämen, sondern kann sie als Aufforderung verstehen, es das nächste Mal anders zu machen. Ich kann mithelfen, eine Fehlerkultur zu entwickeln, die dazu beiträgt, die Welt besser zu machen, anstatt „Versager“ zu produzieren. Versager sind auch nur ein Produkt unserer verschrobenen Erziehung. Hier werden Menschen klein gemacht, anstatt ihnen bei der Entfaltung ihrer Potentiale behilflich zu sein.
Sich selbst Fehler erlauben
Wenn ich mir selbst Fehler zugestehe, dann kann ich dies auch bei anderen Menschen tun. So wie ich mir selbst meine Gefühle erlaube, kann ich dies auch anderen Menschen zubilligen. Wenn ich mich selbst annehme mit meinen guten aber auch mit den Seiten, die ich eigentlich nicht so gut an mir finde, dann kann ich auch offener mit anderen Menschen umgehen, vorurteilsfreier und toleranter. Es steckt meiner Meinung nach so viel Gewinn darin, einmal inne zu halten und sich zurück auf den Weg zum eigenen Ich zu machen, zurück zur Wurzel, zum Ursprünglichen. Der Tisch ist reich gedeckt. Finde ihn und bediene dich!
Deine Gefühle machen dich aus
Deine Gefühle gehören alle dir. Und sie gehören zu dir. Sie machen dich aus. Du fragst ja auch nicht: „Darf ich atmen?“ oder „Darf ich frieren?“ Also, darfst du nun so fühlen, wie du fühlst? Na klar darfst du das! Schäme dich deiner Gefühle nicht, sondern teile sie deinen Mitmenschen mit. Womöglich wirst du immer häufiger erleben, dass es ihnen ganz ähnlich ergeht wie dir. Es tut gut, sich auszutauschen. Das funktioniert aber nicht, wenn wir uns unserer Gefühle schämen oder sie gar zu unterdrücken versuchen…
Quellen zu Stimmungsschwankungen und Gefühle
www.focus.de Foto: clipdealer.de