Nein zum Leben – Trauer nach Verlust
Nicht wenige Menschen geraten durch eine Trennung in eine depressive Stimmung. Der Depression ist immer wieder Thema. Ihr wird vieles nachgesagt. Ein Erschöpfungszustand sei sie und ein Zustand tiefster Freudlosigkeit. Von Ohnmacht ist die Rede und von Antriebslosigkeit nach einer Trennung ebenso wie von Trauer und von Hoffnungslosigkeit. Doch macht das die Depression im Kern aus? Ist sie einfach nur die Summe ihrer Symptome? Oder verbirgt sich vielleicht noch mehr dahinter? Gibt es eine elementare Aussage zur Depression? Steckt womöglich ein Nein zum Leben dahinter und was haben Trauer nach Trennung und der Verlust von Beziehungen damit zu tun?
Das große Nein zum Leben
Denke ich immer sofort an ein generelles Nein zum Leben, wenn es um die Depression geht? Ist es das was die Depression ausmacht? Eher nicht! Niedergedrücktheit ist wohl, neben den im einleitenden Absatz genannten Eigenschaften, eine der wesentlichen Kennzeichen einer depressiven Episode. Die kommt mir zuerst in den Sinn. Man sieht es den Menschen förmlich an, dass sie depressiv sind – ihr Gesichtsausdruck, ihre Gestik, ihre Körperhaltung, ihre Geschwindigkeit. Aber auch sie allein macht die Depression nicht aus. Noch weitere Attribute fallen mir ein. Wenn ich an die Depression denke, denke ich zum Beispiel auch an:
- Wut
- Ärger
- Frustration
- Aggression
- Tränen
- Kraftlosigkeit
- Enttäuschung
- Lustlosigkeit
- Mutlosigkeit
- Angst
- Ambivalenz
- Unentschlossenheit
- Einsamkeit
- Zweifel
- Müdigkeit
- Suizidalität
- Schmerz
- geringer Selbstwert
… und ich denke an Aussichtslosigkeit. Aber ist es das dann auch schon? Macht diese Sammlung von Attributen eine Depression aus? Beschreiben all diese Worte die Depression in ihrem Wesen? Sind sie wesentlich für die Depression? Spontan werden hier wohl die meisten mit dem Kopf nicken. Und ich ertappe mich ganz oft auch dabei. Ja, so fühlt sich die Depression an. Ergo ist sie damit auch gut beschrieben. Das macht eine Depression aus!
Mir scheint jedoch, hier gehen die Bemühungen nicht weit genug. Zwar ist es gut, all dies zu benennen, die Depression in möglichst vielen ihrer Dimensionen beschreiben zu können, aber letztlich zeichnet dies doch immer wieder nur ein Bild des Status quo. Wir kommen so nicht weiter. Und so suche ich nach einem Zusammenhang, der dahinter steht. Ich suche eine Wahrheit, die mir nicht sofort ins Gesicht springt, indem sie sich verschiedenster, oben genannter Symptome bedient. Ich suche nach einer Gemeinsamkeit, einer Aussage, die alles miteinander verbindet. Doch was macht nun die Depression im Kern aus? Was ist Depression und was haben Trauer nach Trennung und der Verlust von Beziehungen mit ihr zu tun?
Verlust von Beziehungen
Wenn man sich anschaut, wann bei den Menschen eine Depression das erste Mal sichtbar wird, dann wird deutlich, dass es immer wieder um Verluste geht. Zumeist geht es um den Verlust von zwischenmenschlichen Beziehungen. Zwar kann auch der Verlust von Eigentum, von materiellen Dingen, deprimieren oder der Verlust des Arbeitsplatzes, doch ist das für die meisten von uns scheinbar leichter zu kompensieren, als ein Beziehungsverlust. Geschieht dies beispielsweise Menschen, die in intakten sozialen Verhältnissen Leben, Menschen, die sich geliebt und wertgeschätzt wissen, ist zu beobachten, dass derlei Lebensereignisse deutlich besser integriert werden können. Schwer hingegen haben es jene, die einen Menschen verloren haben. Das kann durch Trennung sein, durch eine schwere Krankheit, wie beispielsweise Demenz oder durch den Tod. Für diese Menschen scheint die Trauer nach Trennung schier unüberwindlich zu sein
Ohnmacht nach Trennung
Ganz oft ist der Verlust von Beziehungen und die damit verbundene Trauer nach Trennung der Einstieg in die eigentümliche Welt der Depressionen. Wir verstehen es dann nicht. Wir sehen uns machtlos, ohnmächtig. Was können wir schon gegen einen Gegner wie den Tod tun? Mit dem Tod kommen wir im wahrsten Sinne des Wortes an unsere Grenzen und begegnen unserer eigenen Ohnmacht. Ohnmacht und Trennung scheinen zusammen zu gehören. Oder wir werden von unserem Partner verlassen, obwohl wir ihn noch immer lieben. Wir sehen den Fehler, den der andere jetzt macht und wir erleben zugleich, dass er ihn nicht in unserem Sinne korrigieren mag. Für ihn ist es kein Fehler. Das enttäuscht uns zutiefst und wieder macht sich Ohnmacht breit bei dieser Art von Trennung..
Leben im Widerstand
Aber auch Wut gehört neben der Enttäuschung und der Ohnmacht zu den Gefühlen, die sich nach einer Trennung einstellen können. Es sind Gefühle, die im Trauerprozess eine wichtige Rolle spielen. Doch während es bei gelungener Trauerarbeit gelingt, die veränderten Umweltbedingungen irgendwann zu akzeptieren, gelingt dies dem depressiven Menschen meist nicht oder nur unzureichend. Er sagt Nein. Er sagt Nein zu den Dingen, sagt Nein zu dem, wie es ist. Sein Nein ist ein Nein zur Realität. Es ist ein Nein zum Leben. Man kann sich vorstellen, dass dies recht anstrengend sein kann, immer wieder im Widerstand zu dem zu leben, was doch längst schon da ist. Was nützt es auch, seine Kraft in einem Kampf zu verausgaben, den das Leben doch längst für beendet erklärt hat?
Niederdrückende Lasten
Es ist eine Illusion, an der wir hängen und wir tun dies mit all unserer Kraft. Deshalb können wir die neuen aktuellen Möglichkeiten so auch nicht sehen, wie sich sich uns längst schon offenbaren. Wir fühlen uns stattdessen massiv bedroht in unserer Lebensbasis. In solchen Zeiten haben wir natürlich keinen Blick für die schönen Dinge des Lebens. Oft hält dieser Zustand viele Jahre an, manchmal ein ganzes Leben. Insbesondere dann, wenn uns derlei Ereignisse schon öfter widerfuhren und sie nicht ausreichend integriert werden konnten. Das ist beispielsweise der Fall, wenn uns solches als Kind geschah. Trennungsschmerz und Enttäuschung stapeln sich dann quasi auf, bis die Last irgendwann niederdrückend wird und wir endgültig Nein sagen. Es ist verständlich, dass wir dies tun, nachvollziehbar. Aber es ist ein Nein mit Konsequenzen, die wir in erster Linie selbst zu tragen haben. Es ist ein Nein zum Leben, zu unserem Leben.
Ein Nein zum Leben mit Folgen
Nein zu sagen, zu den Dingen, wie sie sind, ist nicht nur ein Nein zu den Dingen oder Umständen selbst. Dies zu tun, beraubt mich zudem nahezu aller Optionen, außer natürlich der, Nein zu sagen. Nein zu sagen, ist ein Energiefresser beachtlichen Ausmaßes. Es ist ein Nein zur Realität. Es ist ein Nein zum Leben. Nein zu sagen, ist vor allen Dingen ein Nein zu meinem Leben. Und genau das ist meiner Meinung nach die Depression – sie ist ein einziges großes Nein. Nicht all die eingangs genannten Symptome verhindern mein Leben. Sie machen lediglich deutlich, was es bedeutet, auf diese Weise Nein zu sagen.
Heilung bei Trauer nach Trennung
Heilung bei Trauer nach Trennung gelingt zumeist in dem Maße, wie es mir selbst gelingt, die neuen, veränderten Bedingungen anzunehmen. Sie gelingt in dem Maße, wie ich selbst imstande bin, Ja zu sagen zu dem wie es ist. Nur mit einem Ja zum Leben komme ich in die Kreativität und in die Lebensfreude. Nur mit einem Ja bin ich überhaupt imstande, meinem Leben die Wendung zu geben, nach der es verlangt, nach der es tief in mir schon lange verlangte. Manchmal brauchen wir Jahre für solch ein Ja. Aber dann irgendwann, wenn dieses Ja aufkeimt, dann ändern sich die Dinge plötzlich, dann kommt Bewegung in die scheinbar festgefahrene Situation. Nur mit einem Ja kann ich aktiv gestalten. Ein Nein hingegen wirkt destruktiv, jedenfalls immer dann, wenn es ein Nein zur Vergangenheit oder zur Gegenwart ist.
Die Wahlmöglichkeit
Es sind nur zwei kleine Worte. Wir benutzen sie jeden Tag und denken zumeist nicht sonderlich viel darüber nach. Doch letztlich stehen diese beiden Worte für etwas sehr Großes in unserem Leben. Das Nein steht für die Angst. Das Ja steht für die Liebe. Und auch, wenn wir oft glauben, wir hätten keine andere Wahl, das Leben ließe uns keine andere Wahl. Unter welches Motto wir unser Leben stellen, können wir selbst bestimmen. Wir dürfen Ja sagen und wir dürfen Nein sagen.
Es liegt in meiner Hand
Ja zu sagen, soll hierbei keineswegs bedeuten, zu allem Ja und Amen zu sagen. Es ist durchaus gut, kritisch und reflektiert zu bleiben. Nur können wir das, was schon Realität ist, ohnehin nicht mehr verhindern. Viel besser wäre es doch, dies zu akzeptieren und sich zu sagen: Ja, so war das bei mir. Das war nicht schön, aber es ist nun einmal Teil meines Lebens, warum auch immer. Ich nehme es an. Weil heute ein neuer Tag ist, können heute andere Dinge geschehen. Es liegt in meiner Hand, ob ich dem Leben mit einem Ja oder mit einem Nein entgegen trete.
Ein Ja ändert den Blick
Wenn ich nun auf die Depression schaue, aus der Position des Ja heraus, dann kommen mit durchaus auch noch andere Aspekte dieser Erkrankung in den Sinn. Darüber hinaus denke ich dann plötzlich auch an Dinge wie:
- sich zurückziehen können
- zur Ruhe kommen
- sich besinnen
- ehrlich sein vor sich selbst
- nach innen gehen
- weich werden
- manch negativem Einfluss ein Ende zu machen
- sich einmal für sich selbst Zeit nehmen
- das Leben und sich selbst neu anschauen
- loslassen
- sich verändern dürfen
Wie wäre es denn, wenn wir fortan das große Nein in unserem Leben als etwas betrachteten, das wir nicht mehr brauchen, das uns eher hinderlich ist? Wie wäre es, wenn wir wir uns bei jedem kleinen Nein, das uns wie automatisch in den Sinn zu kommen scheint, überlegen was Schlechtes passieren könne, wenn wir es in ein Ja umwandelten? Zu Beginn wird das mühsam sein. Weil es aber mit jedem gelebten Ja ganz sicher auch ein klein wenig leichter wird in deinem Leben, lohnt es sich vielleicht, es einmal zu versuchen…
Quellen zu“ Die Depression und das große Nein zum Leben, Verlust von Beziehungen, Trennungsschmerz, Ohnmacht bei Trennung, Was macht die Depression aus“
Foto: pixabay.com
Überarbeitet: 27.11.2024