Das Wesen der Angst – Besser mit Angst umgehen

Angst habenObschon wir Menschen oft so tun, als spiele die Angst eine nur untergeordnete Bedeutung in unserem Leben, ist sie in Wirklichkeit verbreiteter, als wir gemeinhin annehmen würden. Wenn wir ehrlich sind, vergeht sogar kaum ein Tag, an dem wir nicht auch in der einen oder anderen Form Furcht empfinden. So befürchten wir zum Beispiel, zu verschlafen und zu spät zur Arbeit zu kommen oder einen wichtigen Termin zu verpassen. Wir haben Angst, nicht perfekt auszusehen und kontrollieren deshalb mehrmals täglich unser Äußeres (wobei es eigentlich besser wäre, wir würden dies auch mit unserem Inneren tun). Wir haben Furcht, dass das Bild, das wir versuchen von uns in der Öffentlichkeit zu zeichnen, zerstört wird. Das heißt, wir haben Angst, enttarnt zu werden. 


Das Geschäft mit der Angst

Wir haben Angst, nicht gemocht zu werden oder nicht dazu zu gehören. Und wir haben Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren und tun dafür Dinge, die wir sonst nicht tun würden. Uns quält die Vorstellung, nicht geliebt zu werden. Wir haben Sorge, dass das Essen anbrennt oder der Kuchen nicht gelingt, wo doch der Besuch schon fast vor der Tür steht. Oder wir haben möglicherweise Angst vor dem Alleinsein. Kleine oder große Ängste oder Befürchtungen, Sorgen oder Bedenken, nennen wir es, wie wir wollen – hinter all dem steht zumeist dieses eine elementare Gefühl, das wir seit Kindertagen nur allzu gut kennen.

Bist du gut versichert?

Wie viele Versicherungen hast du abgeschlossen? Versicherungen leben alle vom Geschäft mit der Angst und es geht ihnen so gut dabei, dass sie oft noch mächtiger sind als die Banken in diesem Lande. Ach, und weil wir gerade einmal dabei sind – auch unser Geld bringen wir hauptsächlich deshalb zur Bank, weil es dort angeblich sicherer ist. Manchem ist das nicht sicher genug, der bringt es in die Schweiz, womöglich auch noch aus Furcht vor dem Fiskus. Wie auch immer – es ist vielfach die Angst, die uns zu unserem Handeln veranlasst.

Jemandem beistehen

Es gibt viele Ängste und alle haben für den Einzelnen in seiner spezifischen Situation ihre auch Berechtigung. Außenstehende sehen das oftmals anders. Doch als Außenstehende sind wir niemals in derselben Situation und haben in der Regel auch andere Ressourcen zur Bewältigung einer solchen. Es hilft deshalb nicht, einem verängstigten Menschen zu sagen:“ Da brauchst dich doch nicht fürchten!“ Eltern und Großeltern machen das leider teilweise noch immer falsch, so wie es deren Eltern und Großeltern einst taten. Damit nehmen sie dem Kind die Angst nicht. Damit lassen sie ihr Kind allein. Und sie setzen noch eins drauf, indem sie ihrem Kind unbewusst vermitteln, dass es nicht richtig reagiere, dass etwas mit ihm nicht stimme.

Du brauchst dich nicht fürchten

Sag mal ehrlich, wie oft hast du selbst diesen Spruch schon gehört? Meist hörten wir das als Kinder so oft, dass wir es heute noch glauben. Vielfach übernahmen wir deshalb das Verhalten unserer Eltern und versuchen so heute Anderen Trost zu spenden. Doch mindert es deine Angst nicht, wenn dir jemand sagt, dass sie doch unbegründet sei. Sie ist nun einmal da. Wie also kann ich jemandem wirklich helfen, der sich fürchtet? Ich könnte mir zum Beispiel erklären lassen, was die Angst gerade für eine Bedeutung hat, wie sie gefühlt wird und wo im Körper. Ich könnte ferner fragen, was der Person jetzt gut tun könnte, was sie wohl bräuchte um sich sicherer fühlen zu können. Und wir könnten dann gemeinsam überlegen, wie das am besten zu bewerkstelligen wäre.

Beistand und Mitgefühl

In diesem Fall fühlte sich der Betroffene gesehen und wahrgenommen anstatt be- oder verurteilt. Viel besser sind auch Aussagen wie: „Ich bin jetzt für dich da.“ „Ich bleibe bei dir.“, „Ich stehe dir bei.“, „Wir stehen das gemeinsam durch.“ oder ähnliche Sätze. Solche Reaktionen vermitteln Beistand und Mitgefühl. Solche Aussagen unterstützen tatsächlich. „Du brauchst doch keine Angst zu haben!“ Dieser Satz ist weder emphatisch, noch scheint er ein Hilfsangebot vermitteln zu wollen. Dieser Satz wirkt eher überlegen und herablassend, obwohl das in der Regel nicht so gemeint ist. Menschen wollen wirklich helfen. Nur haben unsere Worte eben immer auch eine ihnen inne liegende Wirkung, weshalb es nun einmal wichtig ist, auf deren Wahl zu achten.

Was Angst in Wahrheit ist

Wir Menschen mögen dieses beklemmende Gefühl nicht. Es fühlt sich einfach nicht gut an. Wir glauben, dass sie uns klein mache, angreifbar und verletzbar. Darum zeigen wir unsere Angst möglichst auch nicht. Aber in Wirklichkeit macht uns gar nicht klein und auch nicht angreifbar. Sie macht uns nicht verletzbar, sie schützt uns sogar vor Verletzungen. Wenn wir übermäßig ängstlich reagieren, dann doch eher deshalb, weil wir nur wenig Vertrauen in uns selbst haben. Und wenn dem so ist, dann fühlen wir uns ja schon klein, bevor Bange-sein überhaupt eintritt. Ich weiß nicht, warum es den Menschen so wichtig ist, keine Furcht zu haben. Doch mit Sicherheit gibt es in der Evolution einen Grund dafür.

Das Heldesepos

Vielleicht erlauben wir uns deshalb keine Angst, weil die Geschichte der Menschheit geprägt ist von Aggression und Leid, von Ungerechtigkeit, Unfrieden und Krieg, von Angriff und Verteidigung? Noch heute sind die Militärhaushalte der Regierungen mit die größten Posten im jeweiligen Regierungsetat. Möglicherweise wollen wir die Angst nicht, weil in Kriegszeiten das Heldenepos erfunden wurde und Helden ein besonderes Maß an Bewunderung und Anerkennung genießen?

Mut ist nicht das Gegenteil von Angst

Vielleicht ist es der tiefsitzende Wunsch eines jeden Menschen, als etwas erkannt zu werden, was er ist, als etwas Göttliches, etwas Besonderes? Nur zu dumm, dass wir gerade das Besondere in uns oft verbergen, um nicht als „unnormal“ zu gelten. Menschen, denen es gelingt, zu sich selbst vorzudringen und eins mit sich zu werden, können es sich auch leisten, ihre Ängste zu zeigen. Sie wissen, dass sie etwas ganz Besonderes sind und dass ihre Angst sie nicht definiert, sondern nur ein Teil ihrer Persönlichkeit ist. Mut ist nicht das Gegenteil von Furcht, sondern eine ihrer möglichen Folgen. Niemand kann wahrhaft mutig sein, der seine Angst nicht kennt. Wer keine Angst hat, hat auch keinen Mut. Er hat ihn ja nicht nötig. Mutig sein heißt, sich seiner Angst zu stellen. Darum sind mutige Menschen immer auch Menschen, die Angst haben.

Wozu Angst gut ist

Die Angst ist ein sehr reines und starkes Gefühl. Sie vermag uns völlig in Beschlag zu nehmen. Insofern hat sie etwas gemeinsam mit der Liebe, einem ebenfalls herausragend reinen und starken Gefühl. Angst versetzt unseren Körper in einen anderen Zustand, macht ihn reaktionsfähig. Sie bündelt alle Energien in den Muskeln und Sinnesorganen und macht uns bereit, eine schwierige Situation zu bestehen. Die Angst ist deshalb ein wichtiges und nützliches Gefühl. Sie lässt uns unsere Grenzen erkennen und hilft uns, darüber hinaus zu wachsen.

Verlustangst

Angst lässt uns wachsam sein und beschützt so Leib, Leben und Besitz. Angst versucht, zu bewahren, was uns wichtig ist. Aus meiner Sicht, ist deshalb auch jede Angst eine Verlustangst. Ganz klassisch haben kleine Kinder die Befürchtung, das Mami oder Papi, nicht wieder kommen. Sie haben Angst, sie zu verlieren, darum wollen sie auch nicht allein in ihrem Zimmer schlafen. Sie wollen sich der Anwesenheit ihrer Eltern immer sicher sein. Auch als Erwachsene kennen wir das Gefühl der Verlustangst, beispielsweise aus Partnerschaften, Freundschaften oder im Kontext beruflicher Tätigkeit, wenn es um den eigenen Arbeitsplatz geht.

Der einzig angstfreie Zustand

Und dann gibt es ja noch die Angst vor Diebstahl und Überfällen. Wir schützen unser Eigentum, indem wir abschließen, Wegfahrsperren und Alarmanlagen einbauen, Sicherheitscodes und andere Dinge erfinden. Das alles tun wir, weil wir einen eventuellen Verlust befürchten. Selbst hinter der Sorge vor Schmerz und Krankheit oder gar der Todesangst steht der befürchtete Verlust von Gesundheit oder Leben. Deshalb glaube ich, wird es nur einen wirklich angstfreien Zustand im Leben eines Menschen geben, nämlich dann, wenn er bereit ist, von dieser Welt zu gehen. Zu allen anderen Zeiten hat die Angst eine wichtige Funktion für unser Leben und sollte von uns auch als solche anerkannt werden.

Ängste sind Diener

Ängste, zu denen du stehen kannst – Ängste, die du nicht verbergen musst – solche Gefühle müssen sich auch nicht verselbstständigen. Solche Ängste sind dann wie Gedanken. Sie sind deine Diener. Sie kommen zu dir, tun etwas für dich und gehen wieder. Du musst es nur zulassen. Ängste sind wie alle anderen Gefühle – sie sind ein Teil von dir – sie wollen angenommen sein – sie wollen gefühlt werden. Sie stellen sich dir bildlich gesprochen in den Weg, damit du gerade hindurch gehst und eben nicht einen Umweg nimmst. Haben wir es als Kinder nicht gelernt, angemessen mit unseren Ängsten umzugehen, kann es passieren, dass sich daraus später sogar einmal Angststörungen bilden.

Welche Angststörungen gibt es?

Phobien gehören ganz klassisch zu den Angststörungen. Die Bezeichnung Phobie kommt aus dem Griechischen (phobos = Angst, Furcht). Kennzeichnend für Phobien jeglicher Art ist das Auftreten übersteigerter Ängste. Grob unterteilt unterscheidet man drei Arten dieser Angsterkrankung: die Agoraphobie, die Spezifische Phobie und die Soziale Phobie.

Agoraphobie

Bei der Agoraphobie treten gesteigerte Ängste in der Öffentlichkeit auf. Betroffene haben beispielsweise Furcht vor mit Menschen gefüllten Plätzen, Räumen oder auf Reisen. Sie befürchten, während einer Panikattacke nicht fliehen oder während sie einen Notfall erleiden, nicht schnell genug medizinisch versorgt werden zu können. Das kann soweit führen, dass sie aus Gründen der Vermeidung solcher Ängste ihre Wohnung irgendwann nicht mehr verlassen wollen.

Spezifische Phobie

Spezifische Phobien sind Ängste vor ganz bestimmten Objekten oder konkreten Situationen. Allgemein bekannt sind hier die Furcht vor Spinnen, Mäusen, Schlangen, Blut, dem Zahnarzt oder engen Räumen wie dem Fahrstuhl (Klaustophobie). Insgesamt gibt es aber weit mehr Spezifische Phobien. Die meisten von ihnen sind uns unbekannt, weil die Phobien, ebenso wie andere psychische Probleme mit zu den Tabuthemen gehören und selten öffentlich gemacht werden. Aber es gibt sie. Hier eine Liste mit etwa einhundert verschiedenen Spezifischen Phobien: Liste spezifischer Phobien.

Soziale Phobie

Menschen mit einer Sozialen Phobie haben eine gesteigerte Furcht vor sozialen Kontakten. Sie leiden unter einem niedrigen Selbstwertgefühl und fürchten sich daher davor, von anderen Menschen gemustert und analysiert zu werden. Diese Menschen vermeiden es, im Mittelpunkt zu stehen. Die Soziale Phobie bezieht sich im Gegensatz zur Agoraphobie eher auf kleinere, überschaubare Menschengruppen. Nach außen wird die Soziale Phobie oftmals als Schüchternheit wahrgenommen, sie geht aber weit darüber hinaus, da für die Betroffenen ein deutlicher Leidensdruck besteht.

Panikstörung

Die Panikstörung wird auch als episodisch paroxysmale (anfallsartige) Angst bezeichnet. Sie ist gekennzeichnet durch wiederkehrende schwere Angstattacken (Panik), die sich nicht auf eine spezifische Situation oder besondere Umstände beschränken und deshalb auch als nicht vorhersehbar gelten. Zu den wesentlichen Symptomen zählen plötzliches Herzklopfen, Brustschmerz, Erstickungsgefühle, Schwindel und Entfremdungsgefühle (Depersonalisation oder Derealisation).

Oft besteht sekundär auch die Furcht zu sterben oder die Kontrolle zu verlieren, bzw. verrückt zu werden.  Die Leidensdruck ist mitunter so stark, dass die Betroffenen ihre Wohnung nicht mehr verlassen mögen.

Generalisierte Angststörung

Oder die Angst weitet sich unkontrolliert aus auf das gesamte Leben. Die Fachleute nennen das dann Generalisierte Angststörung. Hier tritt die Angst anhaltend auf. Sie ist eben nicht mehr auf bestimmte Umgebungsbedingungen beschränkt, sondern frei flottierend (wechselweise ansteigend-abfallend).

Menschen mit einer generalisierten Angststörung machen sich übermäßig viel Gedanken um alltägliche Kleinigkeiten und leiden unter einer andauernden Ängstlichkeit und Besorgtheit. Das Sorgen bezieht sich, wie bei gesunden Menschen auch, um die Zukunft, jedoch ist die Themenzahl größer und das Gefühl deutlich intensiver und langanhaltender.

Im Namen der Angst

Tatsächlich hat die Angst viele Namen und Erscheinungsformen. Neben den oben beschriebenen sehe ich da noch weitere Gefühle oder Verhaltensmuster, die uns allen bekannt sind und hinter denen meiner Ansicht nach eigentlich auch nur die Angst steht Im einzelnen sind dies:

  • Eifersucht   (Furcht, jemanden zu verlieren)
  • Konkurrenz   (Furcht, jemand gefährdet meine Stellung)
  • Neid   (Furcht, jemand könnte mehr Aufmerksamkeit bekommen, währenddessen ich sie entbehre oder jemand könnte es gelingen durch seinen Besitz meinen sozialen Status in Frage zu stellen)
  • Fremdenfeindlichkeit   (Furcht vor Unbekanntem,  vor vermeintlicher Gefahr)
  • Minderwertigkeitsgefühle   (Furcht, nicht gut genug zu sein)
  • Unsicherheit   (Furcht, einer Situation nicht gewachsen zu sein)
  • Lampenfieber   (Furcht vor Versagen)
  • Zweifel   (Furcht, einen Fehler zu machen)
  • Verlegenheit   (Furcht, enttarnt zu werden)
  • Aggressives Verhalten   (Furcht, angegriffen zu werden)
  • Angepasstheit   (Furcht, nicht gemocht zu werden)
  • Verklemmtheit, Gehemmtheit   (Furcht sich zu blamieren)
  • Ungewissheit   (Zukunftsangst) 
  • Unentschlossenheit   (Angst vor möglichen Konsequenzen)
  • Beunruhigung   (Furcht vor möglicherweise eintretenden Ereignissen)

Fazit zum Thema Angst

Ängste hin oder her, schlimm oder weniger schlimm – eines dürfte deutlich geworden sein: Ängste spielen eine große und wichtige Rolle im Leben der Menschen. Ängste sind nicht per se schlecht, nur weil sie sich so anfühlen. Sie sind es wert, ernst genommen und vor allen Dingen angenommen zu werden. Ängste gehören zum Menschsein einfach dazu. Ängste sind Gefühle – keine Gedanken. Sie sind nicht immer nachvollziehbar und durchaus nicht immer logisch. Deshalb lassen sich Ängste auch nicht mit Logik auflösen.

Um Angstgefühle auflösen zu können, bedarf es eines anderen Gefühls, einer höheren Schwingung. Um Ängste wirklich gut auflösen zu können, bedarf es meiner Meinung nach der Liebe, der Liebe durch Andere oder deiner eigenen Liebe. Ein beharrliches, liebevolles Annehmen der Angst oder der Furcht machenden Situation, wird sie auf Dauer kleiner werden und womöglich sogar ganz verschwinden lassen. Schlechte Erfahrungen kann man heilsam eben nur mit guten überlagern. Und die zu erhalten hat viel damit zu tun, in welcher inneren Haltung ich zu mir selbst, zu meiner Angst, zu meinen Mitmenschen und deren Angst, ja zum Leben schlechthin stehe…

Quellen zu „Besser mit Angst umgehen“
Foto: Pixabay / geralt

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