Manisch depressiv oder nur Gefühlsschwankungen?

Gefühlsschwankungen - Männer und Frauen

Der Tunnelblick – Symptom der unipolaren und manischen Depression

Gefühlsschwankungen sind an und für sich völlig normal und betreffen zunächst einmal jeden Menschen. Da muss man nicht sofort manisch depressiv bzw. bipolar sein. Was wäre es auch für ein Leben, wenn wir immer gleich gut oder schlecht drauf wären? Gefühle ändern sich nun einmal, so wie sich auch Situationen ändern. Selbst unsere Bewertungsmuster, die wir verinnerlicht haben, ändern sich. Wir bewerten Situationen und kommen dadurch zu resultierenden Gefühlen. Das passiert zumeist unbewusst und blitzschnell. Je nachdem, welche Erfahrungen wir bislang gemacht haben, können die Reaktionen auf ein und dieselbe Gegebenheit deshalb von unterschiedlichen Menschen auch sehr unterschiedlich ausfallen.


Gefühlsschwankungen und Depression

Manchmal haben wir einfach aufgrund schlechter Erfahrungen Situationen oder Personen mit negativen Gefühlen derart fest verknüpft, dass wir bei jeder erneuten Konfrontation ganz leicht zum gleichen negativen Gefühl kommen.  Weil diese Gefühl so leicht auszulösen sind, kommt es infolge auch häufiger zu unerwünschten Gefühlsschwankungen. Damit stehen wir uns dann selbst im Weg und machen uns das eigene Leben schwer. Weil wir inzwischen unseren offenen Blick aufgegeben haben und diese Personen oder Situationen von vornherein als negativ einstufen, können wir nur noch zu einer einseitig negativen Bewertung kommen.

Tunnelblick

So etwas gibt es aber im wirklichen Leben nicht! Jedes Ding hat (mindestens) zwei Seiten. Es gibt nicht nur gute Eigenschaften einer Person oder eines Sachverhaltes, sowie es auch nie nur schlechte gibt. Doch als Depressiver verliere ich oftmals den Blick hierfür. Gestörte Wahrnehmung nennt man das auch oder Tunnelblick. Der Tunnelblick ist ein klassisches Symptom der Depression. Er tritt sowohl bei der unipolaren, als auch der bipolaren Depression auf.  Also wissen sowohl Depressive als auch manisch Depressive, wovon hier gerade die Rede ist.

Gefühlsschwankungen und Beziehung

Auch an mir erkenne ich diese Mechanismen und bin nunmehr seit Jahren dabei, meine Bewertungsmuster so zu verändern, dass sie mir einen realistischeren Umgang mit der Welt und mir selbst ermöglichen. Im Laufe der Zeit dämmert mir jedoch, dass ich noch nicht am Grund des Sees angekommen bin. Gerade in Beziehungsangelegenheiten, ist das Eis, auf dem ich stehe, noch sehr dünn und neigt leicht zu Einbrüchen. Es gab da schon mehrfach Situationen, die ich anfangs als extrem negativ eingestuft hatte. Ich hatte dann jeweils heftig darauf reagiert, zunächst mit Rechtfertigung, dann mit Zorn, anschließend oder zeitgleich mit Selbstentwertung. Dann kam noch mehr Zorn und das Ganze endete schließlich mit Resignation, die in eine Selbstaufgabe mündete. Ich war dann jeweils völlig am Ende und bereit, etwas Extremes zu tun, beispielsweise mich mit Tabletten oder Alkohol zu betäuben oder sogar meine Beziehung zu beenden.

In Krisen heftigere Reaktionen

Befand ich mich in einer depressiven Phase, einer Krise, fiel meine Reaktion jeweils besonders heftig aus. Das Unverständliche daran ist aber, dass ich dieselbe Angelegenheit mitunter am nächsten Tag völlig relaxt hinnehmen konnte und absolut in Ordnung fand.  Das waren wirklich schon extreme Gefühlsschwankungen.

Oder das ganze fand umgekehrt statt. Meine Frau erzählte mir zum Beispiel etwas über sich und ich fand das auch völlig in Ordnung. Es freute mich, dass sie mir so sehr vertraute und mir ihre Sorgen offen mitteilte. Ich war ganz bei ihr und konnte ihr sogar Beistand geben. Am nächsten Tag aber sah ich plötzlich alles in einem ganz anderen Licht. Nun war es für mich alles andere als okay! Es machte mich wütend, ich fühle mich angegriffen und zu Unrecht beschuldigt. Die Folge davon war, dass ich mich riesengroß machte, mich aufblies wie ein Walross und zum Gegenangriff ausholte. Wie meine Partnerin in solchen Situationen dann aus der Wäsche guckte, kann sich vermutlich jeder hier vorstellen. Deshalb wirkt sich gerade in Beziehungen eine labile Stimmung besonders stark aus.

Gefühlsschwankungen Frauen

Irgendwie scheint es ja eine Domäne der Frauen zu sein, von den eigenen Gefühlen beherrscht zu werden. Da ist schnell auch mal die Rede von Hormonen, von Gefühlsschwankungen infolge eines Eisprungs, von Gefühlsschwankungen im weiblichen Zyklus der Periode oder von Gefühlsschwankungen im Zuge der Wechseljahre. Ich glaube auch, dass es diese Zusammenhänge tatsächlich gibt, würde sie aber nicht losgelöst vom ganzen Menschen betrachten wollen. Hier findet ganz sicher auch nur etwas Ausdruck, was ohnehin schon da ist. Da wird nichts künstlich erzeugt. Wozu sollte das auch gut sein? Frauen gehen im Allgemeinen offener mit ihren Gefühlen um, stehen viel leichter dazu und werden deshalb wohl auch eher mit Emotionen in Verbindung gebracht.

Gefühlsschwankungen Männer

Auch wenn sich Männer für die ewig Starken halten und sich sogar besonders stark vorkommen, wenn sie keine Gefühle zeigen, habe sie welche und können ebenso heftigen Gefühlsschwankungen unterliegen, wie Frauen es tun. Gerade das Unterdrücken von Gefühlen erschwert ihre Regulation. Und Männer sind wahre Meister darin. Das lernen die kleinen Herren bereits, wenn sie noch Windeln tragen. Männer und ihre Gefühle ist leider noch immer ein gut gehegtes Tabuthema. Alle Arten von Gewalt haben ihren Ursprung letztlich in unbewussten Gefühlswelten. Es wundert mich also nicht, wenn ich vorrangig an Männer denke beim Thema Gewalt. Die Welt könnte umso viel reicher sein, würden wir ihr nicht wieder und wieder unsere Gefühle vorzuenthalten versuchen.

Menschen verbergen voreinander, was doch sowieso schon da ist. Aber sie verbergen es so gut, dass sie es an sich selbst nicht mehr sehen können. Gerade Männer entwickeln hier großes Talent. Sie glauben, sie wären angreifbarer, wenn sie sich zeigen würden. In Wahrheit machen sie sich aber durch ihr Verbergen angreifbar. Dort wo sie es nicht vermuten, weil sie es selbst nicht wissen, weil sie es vor sich selbst verbergen, dort sind sie am verwundbarsten. Jakob Muth (deutscher Professor und Pädagoge) hat es einmal so formuliert: „In jeder Faust steckt ein wimmerndes Herz.“ Leider kann man es nicht wimmern hören, solange die Faust geballt ist. Leider schauen wir alle zunächst nur auf die Faust. Gefühle sind etwas zutiefst menschliches und sind deshalb ebenso wenig weiblich wie sie unmännlich sind.

Manische Depression

Obwohl es nicht ins Krankheitsbild der Bipolaren Störung passt, scheint es hier bei mir doch einige Parallelen zu geben. Zumindest deuten meine starken Gefühlsschwankungen darauf hin, dass ich manisch depressiv sein könnte. Bei einer Manischen Depression, wie die Bipolare Störung auch genannt wird, gibt es abwechselnde Episoden mit depressiven Phasen und nachfolgender übermäßig gehobener Stimmung. Den Teil der gehobenen Stimmung, die Manie, nennt man dabei auch die manische Phase. Sie ist gekennzeichnet von Hochgefühlen. Der Betroffene fühlt sich getragen von Liebe, Glück und Zuversicht. Alles ist möglich und alles ist gut! Der Wechsel zwischen der in der Manie gefühlten Euphorie und abgrundtiefer Traurigkeit kann allerdings blitzschnell und ohne äußerlich erkennbaren Anlass erfolgen. Vielfach sind depressive und manische Phasen auch gar nicht klar voneinander getrennt.

Auf die Diagnose kommt es an

Mischformen sind deshalb häufig. Aufgrund der Gefühlsschwankungen, die so gegensätzlich sind wie zwei Pole, hat die Krankheit auch ihren Namen bekommen – Bipolare Störung. Sie wird im ICD-10 mit der Diagnose F31.xx beschrieben. Bei einer unipolaren Depression, also einer „normalen“, einpoligen Depression  hingegen gibt es im Gegensatz zur bipolaren Störung die manisch depressiven Phasen nicht. Dennoch können auch hier in einer gewissen Breite Gefühlsschwankungen auftreten. Eine genaue Diagnose kann nur ein Facharzt, also ein Psychiater stellen. Vielleicht ist das bei mir ja auch der Fall? Vielleicht habe ich ja auch mit Manischen Depressionen zu tun? Bei nächster Gelegenheit werde ich meinen Psychiater zum Thema Gefühlsschwankungen oder manisch depressiv befragen.  Ich möchte wissen, was mit mir los ist! Ich möchte wissen, welchen Mustern ich folge. Je besser ich mich kennen lerne, umso besser werde ich in Zukunft auch mit mir selbst klar kommen können.

Gefühlsschwankungen oder manisch depressiv – Nachtrag 1

Inzwischen hat das Gespräch mit meinem Psychiater über meine Gefühlsschwankungen stattgefunden. Zu einer neuen Diagnose hat er sich nicht durchringen können. Was nützt allein auch die Diagnose? Ich habe mittlerweile schon so viele davon und jeder dritte Fachmann stellt eine neue. Nein, eine klassisch bipolare Depression hat er bei mir nicht ausmachen können. Ich bin also nicht manisch depressiv. Aber gegen die starken Gefühlsschwankungen wollen wir jetzt mit Lithium vorgehen. Lithium ist eines der ältesten, wenn nicht das älteste Medikament in der Psychiatrie überhaupt. Lithium wirke sehr gut in der Hochphase, also der manischen Phase einer Depression, aber auch zufriedenstellend während der depressiven Zeiten. Allerdings dauere es etwa ein Jahr, bis sich überhaupt eine Wirkung einstellt.

Ich lasse mich darauf ein. Wenn ich die Chance auf eine Verbesserung bekomme, dann will ich sie auch nutzen. Bipolar hin oder her, manisch hoch und runter, Hauptsache, ich finde etwas, was mir hilft, meine heftigen Gefühlsschwankungen etwas abzumildern und mich dadurch besser zu fühlen!

In einem Jahr wissen wir mehr …

Augmentation – Erfahrungen mit Lithium – Nachtrag 2

Mehrere Jahre nahm ich nun Lithium ein. Es funktionierte. Man nennt diese Behandlungsform Augmentation. Zusätzlich zu meinem Antidepressivum erhielt ich Lithium. Die Gefühlsschwankungen wurden tatsächlich geringer in ihrer Bandbreite. Ich rutschte also nicht mehr so tief ab. Leider kam die Stimmung nun auch nicht mehr so hoch wie einst. Aber das war der Preis. Irgendwann kam dann jedoch die Frage in mir hoch, was den wohl ohne Lithium wäre, wie es mir dann wohl ginge? Ich besprach dies mit meinem Psychiater, der erwartungsgemäß nicht davon begeistert war, dass ich das Lithium absetzen wollte. Aber ich ließ nicht locker und so willigte er schließlich ein.

EIn halbes Jahr bin ich jetzt ohne Lithium und aus meiner Sicht hat sich nichts verändert. Ich werte dies jetzt einmal so, dass ich das Lithium tatsächlich nicht mehr brauche. Ich bin froh darüber. Irgendwann möchte ich einmal wieder ohne Medikamente auskommen und hoffe, das bleibt nicht nur ein frommer Wunsch.

Quellen zu „Manisch depressiv oder Gefühlsschwankungen“?
Foto:  Thomas Sturm / pixelio.de
manisch depressiv

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