Ein unerfülltes Bedürfnis nach Liebe
Auf der Suche nach dem Glück komme ich immer wieder an einen Punkt, an dem es den Eindruck erweckt, nicht weiter gehen zu wollen. Da glaube ich, alles Menschenmögliche getan zu haben und dennoch scheint es (wieder einmal) nicht gereicht zu haben. Da habe ich meine ganze Kraft in meine Außenwirkung investiert, mich von meiner vermeintlich besten Seite gezeigt und dennoch kaum mehr als Gleichgültigkeit geerntet. Was ist mir eigentlich wichtig im Leben? Wonach strebe ich? Woraus schöpfe ich Kraft? Was treibt mich an, etwas zu tun? Was treibt mich besonders an? Wie viel bedeuten mir Anerkennung und Bestätigung? Wie groß ist mein Bedürfnis nach Liebe und was bin ich bereit, dafür zu leisten?
Das Urteil anderer Menschen
Spontan auf die Frage geantwortet, was mir das Urteil anderer Menschen wert ist, würde ich wohl mit einer Art Schmollmund so etwas wie: „Überhaupt nichts!“ von mir geben. Aber wenn ich einmal genauer hinzusehen bereit bin, dann muss ich da wohl doch noch einige Zugeständnisse an die Wahrheit machen. Es bedeutet mir nämlich in Wirklichkeit viel, wie andere über mich denken. Ich putze zum Beispiel akribisch meine Wohnung, wenn ich Besuch erwarte. Wenn ich das Haus verlasse, kleide ich mich schön. Vor einem wichtigen Termin gehe ich selbstverständlich zum Frisör, wenn ich nicht gerade schon dort war. Ich biete woanders meine Hilfe an, während dessen sich bei mir zu Hause die Arbeit staut.
Akzeptiert und bewundert werden möchte ich, beliebt sein, verstanden und gemocht werden. Ich möchte vielleicht sogar ein Vorbild sein, zumindest erfüllt mich die Vorstellung mit Stolz. Ein Teil von etwas möchte ich sein, einfach irgendwo dazugehören. Tatsächlich tue ich einiges dafür, etwas von all dem zu bekommen und sei es auch nur bruchstückhaft. Mein Bedürfnis nach Liebe, nach Anerkennung und Bestätigung ist in Wirklichkeit doch weitaus ausgeprägter, als ich es mir eingestehen wollte.
Was treibt mich an?
Meine Oma zog sich immer ladenneue Unterwäsche an, wenn sie zum Arzt musste. Sie hat mir das nie groß erklärt. Das musste sie auch nicht. Kinder verinnerlichen alles, was sie erleben. Es gab Kleidung für zu Hause, für die Öffentlichkeit und Kleidung für den Sonntag. Der Vorgarten musste immer schön sein, der Bürgersteig unkrautfrei und die Straße gefegt. So wuchs ich auf. Ich wusch später meine Kleidung selbst, damit mich niemand mit Schmutzflecken darauf sieht. Ich putzte mein Auto wie meine Schuhe, um einen guten Eindruck machen zu können, aber ich putzte sie nicht für mich. Auch meine Wäsche wusch ich nicht meinetwegen. Man machte das so.
Später, nach der Depression war mir meine Außenwirkung nicht mehr ganz so wichtig, glaubte ich. Es kam vor, dass ich mein Auto erst putzte, als ich es wieder verkaufen wollte. Ich ging in schmutziger Arbeitskleidung in Supermärkte und tat wohl bewusst all dies, um zu demonstrieren: Welt – du kannst mich mal! Im Grunde ist das aber auch nichts anderes als vorher gewesen, nur eben eine andere Spielart. Ob ich etwas tue wegen der Leute oder eben nicht tue, spielt dabei keine Rolle, denke ich. Entscheidend ist, dass der Motivator jedesmal die Meinung anderer Menschen ist und nicht mein ureigenes Wohlbefinden.
Für andere sorgen
Warum bin ich es mir nicht wert, eine saubere und aufgeräumte Wohnung zu haben, wo doch fest steht, dass ich mich in einer solchen ungleich wohler fühle? Weshalb bin ich es mir nicht wert, mich nur für mich selbst schön zu kleiden, ganz einfach weil ich mich in schöner Kleidung auch schöner fühle? Warum koche ich die tollsten Sachen immer nur dann, wenn ich einen Gast habe und schlage mich die meiste Zeit meines Lebens mit schnellen Lösungen durch?
Für die Beziehung
Einmal beschloss ich sogar eine Psychotherapie machen, um meine Beziehung auf stabilere Füße zu stellen. Beziehungen sind immer noch mein brüchigstes Feld. Für die Beziehung wollte ich das tun. Als die dann aber ins Wanken geriet, gab ich den Vorsatz sofort wieder auf. Wozu denn eine Therapie machen, wenn ich doch keine Partnerin habe? Ich kam überhaupt nicht auf die Idee, dass ich selbst einen Vorteil davon haben könnte. Wie wichtig bin ich mir selbst eigentlich? „Ach, für mich selbst, da lohnt sich das nicht“, denkt es oft in mir.
Bloß nicht für mich
Irgendwie musste ich immer alles für mich rechtfertigen. Ein schönes Auto, zum Beispiel, konnte ich mir nur kaufen, weil es für die ganze Familie war. Einmal kaufte ich mir ein Fahrrad. Ein gutes Fahrrad sollte es sein, eines das auch leicht fährt. Aber gute Fahrräder waren gut doppelt so teuer wie die Sonderangebote aus dem Supermarkt. Damit hatte ich Schwierigkeiten. Also kaufte ich ein Damenrad, damit die ganze Familie dieses Teil auch benutzen konnte. Dann erst war die Kaufentscheidung für mich okay. Oder: Ich wollte schon immer gern Hühner haben. Aber Hühner brauchen Futter und Futter ist teuer. Also verkaufte ich Eier, damit die Hühner sich ihr Futter selbst verdienen konnten. Auf diese Weise beruhigte ich mein schlechtes Gewissen, ich würde aus der Haushaltskasse heraus für meine persönlichen und völlig überflüssigen Bedürfnisse sorgen.
Das Bedürfnis nach Liebe
Es sind nur kleine Beispiele, womöglich tatsächlich Bagatellen, aber sie machen doch alle eines deutlich: Für mich selbst sorge ich nicht ausreichend gut und vor allen Dingen nicht mit Hingabe. Hingabe beschränke ich auf die Dinge, die ich für andere tue, die Dinge wofür ich Lob, Anerkennung, Bewunderung, Annahme und dergleichen ernten könnte. Und wofür stehen all diese Bezeichnungen? Sie stehen alle für ein und dasselbe Bedürfnis. Sie stehen für das Bedürfnis nach Liebe.
Altruismus
Natürlich versuche ich, diesem Bedürfnis nach Liebe nachzukommen. Mein ganzes Leben lang tue ich dies schon. Ganz so uneigennützig, wie ich es oben ausführte bin ich also gar nicht. Alles was ich tue, tue ich letztlich für mich, tue ich, damit ich mich wohl fühle. Das ist eine Erkenntnis, die ich schon vor längerer Zeit hatte. Alle Menschen tun dies so. Auch die sogenannten Altruisten. Denn auch sie haben etwas davon, für andere gut zu sein. Das ist normal und auch keineswegs verwerflich, bedarf keiner Wertung. Es ist wie es ist. Aber ist es auch gut für mich, so zu leben?
Wenn es doch um die Liebe zu mir geht, warum mache ich dann so viele Umwege? Warum kann ich nicht auf direktem Weg lieb zu mir sein, liebevoll mit mir umgehen? Warum kann ich mit größtem Eifer die Bedürfnisse meiner Freundin erforschen, erspüren und falls nicht möglich, überaus phantasievoll und nicht immer zielführend erahnen und bin bei mir selbst so desinteressiert? Weshalb tue ich dies?
Was ist die Motivation?
Ich tue dies, damit sie mich toll findet und lieb hat. Ganz schön aufwändig das Ganze, oder? Ich meine, wer will schon wirklich nur geliebt werden, weil er die Wohnung sauber hält, seinen Schatz mit einer leckeren Suppe verwöhnt oder immer wieder für frische Blumen sorgt? All dies sind schöne Gesten und sollen auch sein, aber nicht um einen guten Eindruck zu erwecken, sondern als Ausdruck der Wertschätzung und Liebe für den Partner. Ich weiß manchmal nicht mehr, welches die eigentliche Motivation meines Handelns ist. Ich bin mir natürlich sicher, dass es meine Liebe ist, aber warum bin ich dann enttäuscht, wenn meine Bemühungen nicht ausreichend gewürdigt werden? Wenn es nur um den Ausdruck meiner Liebe ginge, wäre der Zweck doch in jedem Falle ausreichend erfüllt, oder? Geht es in allem doch wieder nur um mich? Ist es dann überhaupt Liebe?
Wie nun kann ich mein Dilemma auflösen? Eigentlich ist es ganz einfach, wenn da nicht das Wörtchen „eigentlich“ stünde. Aber mehr dazu gleich im zweiten Teils des Beitrages über Beziehung Selbstwert und Liebe…
Die falschen Überzeugungen
Warum wohl ist mir eine liebevolle Beziehung so wichtig? Weil ich tief in mir da ein Defizit spüre, dass ich selbst zu füllen, mir nicht erlaube. Alte Lehren treiben da noch immer ihr Unwesen in mir: Nimm dich nicht so wichtig! Sei nicht so egoistisch! Erst der Andere, dann du! Der Esel nennt sich immer zuerst! Sei gut zu anderen! Meine Erziehung machte mich glauben, dass es moralisch zumindest anrüchig sei, vorrangig an sich selbst zu denken. Alle Katholiken unter uns wissen sicher sofort, wovon ich jetzt rede. Und so lernte ich, mein Bedürfnis nach Liebe auf Umwegen über andere zu erfüllen, über Freunde, Arbeitskollegen, meine Frau, meine Kinder und heute über die Frauen, die ich mit mehr oder minder Erfolg versuche, in mein Leben zu ziehen.
All meine Bemühungen dienen ganz offensichtlich nur diesem einen Zweck, mich selbst glücklich zu machen. Zu dumm nur, dass all diese Menschen wiederum nicht wissen können, was ich zu jedem Moment meines Lebens gerade brauche. Das kann ich nur selbst wissen.
Es ist kompliziert
Ich habe also Hunger und auch ein saftiges leckeres Steak auf dem Teller. Aber ich esse es nicht. Es ist zu schade für mich. Ich bringe es meiner Liebsten. Ich hoffe es schmeckt ihr und hoffe gleichzeitig, sie wird von Liebe und Dankbarkeit erfüllt werden, um nichts anderes tun zu können, als bald zum Schlachter zu laufen, um mir ein saftiges Steak zu besorgen. Naja, manchmal ist sie dafür zu müde. Manchmal hat sie gar keinen Appetit auf Steak und es schmeckt ihr dann wohl nicht so, wie es mir gemundet hätte. Manchmal hat sie schlicht und ergreifend keine Zeit, etwas anderes vor. Ich fürchte die Liste der möglichen Manchmals könnte lang werden.
Sich selbst lieben
Sich gegenseitig die Liebe zu bekunden ist eine wundervolle Sache und auch nicht zu ersetzen. Hieran will ich kein Fragezeichen heften. Aber die Liebe zu sich selbst darf dabei wohl nicht zu kurz kommen. Was mir ein anderer Mensch wert ist, bin ich eigentlich auch mir selbst wert. Innere Barrieren verhindern nur diesen Fluss. Ganz tief in mir spüre ich einen Hauch von Ahnung, dass es richtig wäre, besser für mich zu sorgen und so manches Mal gelingt mir dies auch schon. Ich mache mein Bett jeden Tag für mich (früher tat ich dies nie). Ich kaufe mir manchmal Blumen für mein Zuhause, weil ich Blumen schön finde. Zugegeben, dass sind erst kleine Anfänge. Wie viel Gutscheine für Wellness habe ich schon verschenkt, mir aber noch nie selbst zukommen lassen? Für sich selbst an erster Stelle zu sorgen, ist keineswegs verwerflich, sondern im Gegenteil das einzig Angebrachte.
Erst wenn ich mich selbst ausreichend lieben kann, kann ich auch wahre Liebe verschenken. Wenn ich Liebe verschenke, um Liebe zu bekommen, ist das wohl eher ein angestrebter Handel, aber keine ursprüngliche Liebe. Eine gute Beziehung lebe vom Ausgewogensein des Gebens und Nehmens, las ich irgendwo. Das mag stimmen. Jedoch nur, wenn jede Seite allein mit dem Geben-Anteil beschäftigt ist und der Nehmen- Anteil sich so automatisch ergibt, denke ich. Wenn mein ungestilltes Bedürfnis nach Liebe allein mich antreibt, in Beziehung zu gehen, werde ich wohl noch lange auf der Suche sein müssen.
Es ist genug Liebe da (wenn du bei dir selbst beginnst)
„Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest“ heißt der provokante Titel des Buches von Eva Maria Zurhorst. In diesem Buch beschreibt sie eindrucksvoll das Bedürfnis nach Liebe. Sie deckt auf, woran Beziehungen immer wieder scheitern und wie einfach es wäre, dies zu ändern. Liebe dich selbst – ist wohl eine der schwersten Aufgaben, die man Menschen mit Depressionen stellen kann, aber ich bin inzwischen der festen Überzeugung, dass dieser Rat, ausreichend beherzigt, jedwede Psycho- oder Pharmakotherapie um Längen schlagen könnte. Es ist nicht verwerflich, sich ein schönes Steak zuzubereiten. Es ist eher dämlich, es hungrig wegzugeben und darauf zu hoffen, etwas gleichwertiges in absehbarer Zeit zurückzubekommen. Wenn ich mich selbst verhungern lasse (auch emotional), kann ich für niemanden mehr gut sein, auch nicht für mich.
Das übergroße Bedürfnis nach Liebe
Eine Zeit lang war ich mal in Partnerbörsen unterwegs. Hier wird es überdeutlich, das allgemeine Bedürfnis nach Liebe. Da kannst du sie treffen, die verhungerten Überbleibsel von Menschen, die nicht gut für sich selbst gesorgt haben. Sie bieten sich dort an wie Sauerbier. Mir taten sie allesamt leid und ich ahnte schnell, dass dies kein guter Ort sein kann, den Partner für’s Leben zu finden. Und ist es nicht das, was wir im Grunde unseres Herzens alle suchen? Gerade in Beziehungen haben depressive Menschen ihre Defizite, erleben sie die größten Schmerzen, weil sie es nicht gelernt haben, wie man sich selbst mit einem guten Stück Fleisch versorgt. Wie wichtig bin ich? Und wie wichtig sind die anderen? Sie werden umso wichtiger für mich, in dem Maße, wie ich selbst mir unwichtig erscheine.
Der direkte Weg
Manchmal sind ja Umwege nötig, um ans Ziel zu kommen. In diesem Kontext hier würde ich aber dem direktem Weg den Vorrang geben wollen. Ich bin wichtig. Wenn ich mich ausreichend (von mir selbst) geliebt fühle, werde ich vermutlich überquellen vor Liebe. Ich würde das ganze Universum damit versorgen können ohne im Geringsten an eine Rückvergütung denken zu müssen. Das Bedürfnis nach Liebe will gestillt werde. Das ist mir nun klar. Nur habe ich bislang wohl einfach am falschen Ort gesucht…
Quellen zu „Das Bedürfnis nach Liebe“
Foto: pixabay.com