Bindungsangst und Bindungsfähigkeit

Bindungsangst

Allenthalben höre oder lese ich davon, dass Beziehungen und Partnerschaften infolge der Depression zerbrechen oder gar nicht erst zustande kommen. Hat die Depression Auswirkungen auf die Bindungsfähigkeit eines Menschen? Wollen Depressive vielleicht lieber allein sein, allein leben? Möchte ich selbst lieber allein sein? Wie steht es um meine eigene Bindungsfähigkeit? Hat die womöglich gelitten unter der Depression? Ist sie mir etwa abhanden gekommen?


Emotionale Antworten

„Hältst du dich eigentlich für bindungsfähig?“, wurde ich neulich gefragt und meine Antwort darauf kam wie aus der Pistole geschossen, unvermittelt, spontan, laut. „Ich heiße so.“, entgegnete ich. Nun sollte man meinen, es wäre doch prima, wenn jemand so selbstsicher und völlig aus dem Bauch heraus antworten könne. Dann müsse es ja wohl so sein. Dann könne man dieser Aussage unbedingtes Vertrauen entgegen bringen, ihr zweifelsfrei Glauben schenken. Aber ich wäre ja schließlich nicht wirklich ich, wenn ich nicht auch dies einmal ordentlich hinterfragen würde. Starke Reaktionen sind es immer wert, einmal näher beleuchtet zu werden, finde ich. Egal ob jemand empört oder übertrieben sicher auf einen Satz reagiert, so zeigt es doch zumindest, dass der Inhalt etwas in ihm ausgelöst hat, ihn getroffen hat, ihn betrifft. Ein Thema, mit dem man fertig ist, ist kaum in der Lage, eine etwas stärkere Emotion auszulösen, denke ich.

Also schaue ich einmal genauer hin. Warum die prompte Reaktion von mir? War es vielleicht der Wunsch nach einer bestimmten Außenwirkung. Möchte ich als bindungsfähig gelten? Möchte ich mich dadurch vielleicht attraktiver machen, dem potentiellen Weibchen Vertrauen einflößen?

Bindungsfähigkeit – Was heißt das?

Bindungsfähig. Was bedeutet dieses Wort eigentlich? Beschreibt es die Fähigkeit, eine Bindung eingehen zu können oder beschreibt es die Fähigkeit, eine dauerhafte Bindung einzugehen? Und was wäre dann eine dauerhafte Bindung? Wäre das eine Bindung, bis dass der Tod sie scheidet? Oder reichten etwa zwanzig Jahre? Viele Beziehungen überleben die ersten drei Jahre nicht. Sind die Betroffenen deshalb bindungsunfähig? Verwirrung macht sich breit in meinem Kopf. Ich recherchiere…

Angst vor Nähe

Bindungsangst – Die Angst vor echter Nähe sei dann meist stärker als die Liebe zum Partner. Es drohe Fluchtgefahr. Personen, die unter Bindungsunfähigkeit litten, könnten sich verlieben wie jeder andere Mensch auch, heißt es dort. Die anfänglich einschießenden Hormone ließen den Betroffenen jedwede Angst vergessen für den Moment. Wenn jedoch die erste Schwärmerei in Liebe übergehe, entwickle sich für diese Menschen ein echtes Problem. Sie träten den Rückzug an. Bindungsunfähige Personen brächen lieber viele Herzen, als auch nur einmal wahrhafte Nähe zum geliebten Menschen zu riskieren. Vielfach litten sie unter der Angst, verletzt werden zu können. Sie seien aufgewachsen unter Bedingungen, unter denen eine echte, tragfähige Partnerschaft nicht erlebt werden konnte und hielten es so unbewusst für unmöglich, selbst Teil einer erfüllten Beziehung zu werden. Bindungsunfähige Personen hätten ebenso ein Verlangen nach Nähe und Geborgenheit wie andere Menschen auch, versagten sich dies aber selbst aus Angst vor einer möglichen Enttäuschung. (Quelle: beziehungsratgeber.de)

Bin ich nun bindungsfähig?

Von der Mindestdauer einer Beziehung war nirgendwo die Rede. Aber selbst wenn, hielt meine längste Beziehung immerhin fünfundzwanzig Jahre, die folgende immerhin sieben. Das wäre dann also auch kein Indiz, das gegen eine Bindungsfähigkeit spräche. Kommen wir zurück zum Beginn einer jeden Beziehung…

Könnte ich mich auf eine Partnerin einlassen? Wäre ich bereit, auch etwas aufzugeben für sie, meine Arbeit oder meine Wohnung etwa? Verspüre ich überhaupt den Wunsch nach einer Bindung oder geht es mir nur um die Verliebtheit, die ich genießen mag und die mir schmeichelt? Wollte ich gemeinsam mit Ihr alt werden? Könnte ich mir eine Zukunft vorstellen, in der ich den Alltag mit ihr ebenso lebe wie das Außergewöhnliche? Wäre es mir möglich, vorbehaltlos Ja zu ihr zu sagen, sie annehmen, wie sie ist, ohne sie verändern zu wollen? Könnte ich sie pflegen, wenn sie irgendwann einmal der Pflege bedürfe? Sähe ich es als Gewinn für mein Leben, ihr dauerhaft einen festen Platz einzuräumen? Hätte ich womöglich Angst davor, ihr vor aller Welt mein Ja-Wort zu geben?

Jetzt mal ehrlich

Zugegeben, das sind viele Fragen, die mir da so ins Bewusstsein drängen. Aber wie ist es nun? Hätte ich Angst davor, ihr vor aller Welt mein Ja-Wort zu geben? Ich bin zweimal geschieden worden. Und ganz klar will ich da nicht mehr heiraten. Man kann doch auch so zusammen sein, argumentiert es in mir. Trotzdem hätte es noch einmal eine andere Qualität, denke ich. Es wäre eine bewusste Entscheidung, wie sie wohl bewusster nicht zu treffen wäre unter genannten Vorbedingungen. Und würde ich es tun? Wäre ich unter gegeben Umständen überhaupt zu solch einer Entscheidung imstande? Wie ist es generell um die Entscheidungsfähigkeit bei Depression bestellt?

Ich würde es tun

Wenn die richtige Frau vor mir stünde – ja – ich denke, ich würde es tun. Ich würde sie heiraten, wenn auch sie dies wollte. Und ich würde mich binden wollen. Ich würde mich festlegen wollen auf diese eine meine Liebe. Mit ihr alt werden wollen würde ich, wollte mit ihr den Alltag als etwas Besonderes leben und nicht zu etwas Alltäglichem verkommen lassen. Ich wollte eine Zukunft mit ihr gestalten, die Welt noch einmal neu entdecken. Und ich wollte sie annehmen, wie sie ist und wollte ganz sicher nicht, dass sie sich für mich änderte. Und ja, ich sähe es als einen Gewinn für mein Leben an, wieder Teil von etwas Größerem als mir selbst sein zu können. Es würde mein Glück perfekt machen, denke ich.

Mein Fazit zur Bindungfähigkeit und Bindungsangst

Wenn nun doch alles so easy ist, warum habe ich dann so emotional antworten müssen? Zumindest diese Frage steht noch am Schluss offen da. Nun, ich denke, meine eingangs erwähnte Vermutung, ich könnte mich so attraktiver machen, trug wohl entscheidend mit dazu bei, so zu reagieren, ebenso die Angst, man könne mich wegen meiner Depressionen für nicht bindungsfähig halten. Ist es doch noch immer ein gut gehegter Wunsch von mir, wieder in einer erfüllten Beziehung leben zu können. Nur glaubhafter wurde meine Aussage durch die emotionale Untermalung sicher nicht. Am Ende hatte ich selbst Zweifel an mir. Deshalb war es gut für mich, dieser Frage einmal in Stille mit mir selbst nachzugehen.

Ich bin zufrieden mit den Antworten, die ich für mich gefunden habe. Es fühlt sich nun wieder stimmig an. Und werde ich wieder einmal nach meiner Bindungsfähigkeit befragt, kann ich mir dann zumindest sicher sein, nicht leichtfertig geantwortet zu haben.

Hoffnung auf ein gutes Ende

Leidet also nun die Bindungsfähigkeit bei depressiven Menschen? Mitunter wird ihnen ja emotionale Kälte nachgesagt und schonungsloser Rückzug? Ich denke, dass gerade depressive Menschen, Menschen sind, die sich binden wollen, die vertrauen wollen, sich hingeben wollen. Es sind nach meinem Dafürhalten Menschen, die festhalten, Menschen die eher schlecht loslassen können. Zugegeben, sie wurden im Laufe ihres Lebens mehrfach emotional schwer verletzt, aber das scheint ihren Wunsch nach einer verlässlichen Bindung nur noch zu stärken. Unbewusst möchten sie, dass alles zu einem guten Ende kommt. Auf diese Weise könnten sie womöglich ihre alten Verletzungen heilen. Nein, ich glaube nicht, dass die Depression zu einer Bindungsschwäche führt. Wer Angst vor Bindung hat, hat das als Kind „erlernt“, denke ich.

Eine bessere Erfahrung machen

All jenen, die davon betroffen sind, wünsche ich genau diese Erfahrung – ich wünsche ihnen die Erfahrung, dass es sich lohnen kann, sich einzulassen und dass nicht alle Menschen sich so verhalten, wie einst ihre Eltern es taten…

Quellen zu Depression Bindungsfähigkeit und Bindungsangst
beziehungsratgeber.de   Foto: Radka Schöne / pixelio.de


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