Wie bekommt man Depressionen – Die Lerntheorie

Tierversuche

Ist die Depression erlernbar?

Niemand wird mit Depressionen geboren und dennoch leiden so viele Menschen Personen darunter wie noch nie, mit steigender Tendenz. Wie kommt es dazu,  dass immer mehr Menschen sich ausgebrannt und ohnmächtig, leer und wertlos vorkommen? Ist tatsächlich unsere Gesellschaft daran schuld? Bringt die Gesellschaft, in die wir hineingeboren wurden, uns bei wie man depressiv wird? Erlernen wir die Depression gleichsam? Es gibt Theorien, die für diese Annahme sprechen. Die Analyse einiger Tierversuche, auf die ich im folgenden näher eingehen möchte, lässt dies vermuten. Aber ist das nun eine gute oder eher schlechte Nachricht?


Sind Depressionen erlernbar?

Man kann doch eine Krankheit nicht erlernen, wirst du jetzt vielleicht denken. Und überhaupt, wer sollte das wollen? Natürlich will das niemand, aber das trifft ja allgemein für alle Krankheiten zu. Dennoch werden Menschen krank, immer wieder, und obwohl sie die biologischen Zusammenhänge kennen, tun sie oftmals nicht genug für eine gesunde Lebensweise. Sie rauchen wider besseres Wissen, halsen sich zu viel Stress auf, schlafen zu wenig oder essen zu viel. All dies tun sie natürlich nicht, um krank zu werden. Es passiert unbewusst. Unbewusst haben sie gelernt, dass das, was sie tun, ihnen gut tut. Ein Trugschluss mit fatalen Folgen, wie sich für den einen oder anderen irgendwann herausstellen wird. Wie sehr Menschen schädliches Verhalten selbst erlernt haben, ist ihnen zumeist nicht klar. Einige Tierversuche zur Depression, auf die ich im einzelnen näher eingehen werde, machen die Zusammenhänge deutlich.

Der Einfluss der Gene

Mit der Depression ist es ganz ähnlich. Niemand nimmt sich vor: So, nun lerne ich mal, wie man depressiv wird! Und doch scheint die Depression eine erlernte Krankheit zu sein. Natürlich spielen hier auch genetische Dispositionen eine Rolle, wie bei jeder anderen Krankheit auch. Diese erblichen Faktoren sind aus meiner Sicht aber nicht depressionsbegünstigend, sondern wirken sich eher hemmend. Was ich damit sagen will ist, dass die 20 oder 30 Prozent genetischer Anteil bei der Entstehung einer Depression nicht durch ein Krankheitsgen bedingt sind. Die Ursache ist ein fehlendes Immungen gegen Depressionen.

Aber das ist nur eine Theorie von mir und wissenschaftlich nicht belegt. Mir gefällt lediglich die Betrachtungsweise besser. Habe ich nämlich ein Krankheitsgen, ist es ja nur eine Frage der Zeit und ich werde an Depressionen erkranken. Ich kann quasi gar nichts dagegen tun. Es kommt über mich, weil es so kommen muss. Viele Depressive fühlen sich so. Sie fühlen sich hilflos und ohnmächtig. Sie fühlen sich überfordert, von der Depression und vom Leben.

Wie erlernt man eine Depression?

Zumeist wird eine Depression schon in den frühen Kindertagen erlernt und im Heranwachsen weiter gefestigt. Manchmal ist es so, dass schon ein Elternteil depressiv oder übertrieben fürsorglich (man könnte auch sagen – ängstlich) ist. Es kann aber auch eine andere wichtige Bezugsperson sein. Als Kind lernen wir unbewusst. Wir lernen durch Immitation. Die Welt, wie wir sie vorfinden, ist für uns das Maß aller Dinge. Wir stellen sie nicht in Frage, sondern versuchen, unter den gegebenen Bedingungen das Beste für uns heraus zu holen. Im Falle der erlernten Depression kann dies die Anpassung sein. Wir lernen, dass uns die Liebe von Mama und Papa sicherer ist, wenn wir die beiden nicht ärgern, wenn wir möglichst immer brav sind.

Es kann aber auch sein, dass wir Eltern haben, die uns mehr strafen als lieben, vielleicht sogar schlagen… Wenn Eltern strafen, lernen die Kinder schnell, dass sie nichts dagegen tun können. Sie sind die Schwächeren. Wenn sie sich gegen die übermächtigen Eltern erheben, dann fällt die Strafe noch schlimmer aus. Kinder lernen, dass sie nichts tun können. Und da Eltern ihr Verhalten in der Regel nicht ändern, wird diese Erfahrung immer wieder gefestigt. Ich erlebe diese Hilflosigkeit von Kindern täglich, die mir schreiben, dass sie glauben eine Depression zu haben, aber nicht wissen, an wen sie sich wenden können, ohne dass ihre Eltern es erfahren. Solche Situationen machen auch mich immer wieder hilflos. Ich weiß keine gute Lösung. Es ist ein Dilemma…

Die Depression ist erlernte Ohnmacht

Ist die Hilflosigkeit erst einmal erlernt, ist sie wie in unser Gehirn eingebrannt. Die vielen Wiederholungen sorgten dafür, dass diese Denk-, Gefühls- und Verhaltensmuster jederzeit gut abrufbar in unserem Unterbewusstsein verankert sind. Ein kleiner Anstoß von außen wie etwa eine ähnliche Situation, reichen aus, um uns wieder in den erlernten Zustand der Hilflosigkeit zurück zu versetzen. Wir fühlen uns der neuen Situation genauso ausgeliefert, wie wir es einst als Kind waren.

Die kindliche Sicht

Es gibt jedoch einen Unterschied. Nicht der erwachsene Mensch ist es, der hier gerade keine Optionen hat. Es ist das Kind in uns, dass die Situation für ausweglos hält. Das Kind in uns weiß nicht, was es tun soll. Es hat schon viel zu oft die Erfahrung gemacht, dass es zu kämpfen nicht lohnt. Der Gegner ist einfach zu übermächtig. Und das Kind hat Recht. Es ist weder verrückt, noch ist es ein Angsthase. Die Erfahrungen des Kindes waren real. Aus Sicht eines Kindes, sind auch die Situationen, in die Erwachsene geraten und zunächst nicht weiter wissen, Situationen der Ohnmacht und Hilflosigkeit.

Die drei Optionen

In solchen Situationen hat der Mensch drei Möglichkeiten: Fliehen, Kämpfen, Totstellen. Fliehen und Kämpfen sind biochemisch gleichzusetzen. Hier wird Energie in großem Maße vom Körper bereitgestellt, die anstehenden Aufgaben zu bewältigen. Das Totstellen entspricht eher der Depression. Einen Toten greift niemand mehr an. Der Erwachsene aber hat immer alle drei Optionen. Die hat das Kind theoretisch zwar auch, aber die Aussichten auf Erfolg sind doch deutlich anders. Ein Erwachsener hat viel mehr Möglichkeiten, hat Potenzial, hat Kraft und Verstand, Raffinesse und Geschicklichkeit, Klugheit, Erfahrung und Ausdauer. Ein Erwachsener hat Weitblick und kann schwierige Situationen ganz anders bewältigen, als ein Kind dies tun kann.

Deshalb brauchen ja Kinder auch den Schutz von Erwachsenen. Es ist wichtig, dass wir uns in depressiven Phasen immer wieder dieser Ressourcen bewusst werden, die wir als erwachsene Menschen haben und uns nicht völlig den kindlichen Gefühlen, insbesondere der kindlichen Hilflosigkeit hingeben.

Der Begriff der erlernten Hilflosigkeit wurde 1967 maßgeblich von den amerikanischen Psychologen Martin E. P. Seligman geprägt. Seligman führte hierzu Versuche mit Hunden und anderen Tieren durch. Er war der Ansicht, dass auch Menschen, die unter Depressionen leiden, sich in einem solchen Zustand der erlernten Hilflosigkeit befinden können. Laut Seligman engen depressive Menschen unbewusst freiwillig ihr Handlungsrepertoire dermaßen ein, dass sie sich in einer konkreten Situation nicht mehr in der Lage sehen, adäquat zu agieren oder zu reagieren. Sie verlieren die Kontrolle über sich selbst und die Situation. Tatsächlich und von außen betrachtet verfügten sie aber durchaus über entsprechende Ressourcen und wären auch in der Verfassung, die Situation zu meistern.

Die Depression und Tierversuche

Ratten und die provozierte Depression

Leider geht es oftmals nicht ohne Tierversuche in der Wissenschaft. In einem der  Tierversuche zur Depression konnten Dr. Claus Normann von der Universität Freiburg und seine Kollegen direkt nachweisen, dass bei depressiven Ratten das depressive Verhalten erlernt wurde. In dem Experiment wurden Ratten über einen längeren Zeitraum bis zu zweimal am Tag nicht vorhersehbaren Stresssituationen ausgesetzt. Hierfür wurden etwa völlig zusammenhanglos die Käfige verkleinert oder die Futtermenge vermindert. Infolge dieser veränderten Bedingungen zeigten die Tiere eindeutig depressive Symptome. Sie waren deutlich weniger aktiv, vernachlässigten ihre Fellpflege, zeigten verminderten Appetit und wiesen einen veränderten Schlaf-Wach-Rhythmus auf, während eine Kontrollgruppe von Ratten sich weiterhin normal verhielt. Die erkrankten Tiere konnten die Stressbedingungen nicht beeinflussen. Sie fühlten sich hilflos und wurden depressiv.

In einem anderen der Tierversuche zur Depression fand man heraus, dass Ratten, die depressiv gemacht wurden, in einem Gefäß mit Wasser deutlich weniger lang um ihr Leben schwammen, als Ratten ohne den „Depressionslehrgang“ dies taten…

Hunde und Depressionen und ein bekannter Tierversuch

Phase 1

Zum Nachweis der These der erlernten Hilflosigkeit verwandte Seligman in einem seiner Tierversuche folgende Versuchsanordnung: Er unterteilte eine Gruppe von Hunden in drei Einheiten.

Die erste Gruppe

Die erste Einheit wurde kurzen elektrischen Stromschlägen ausgesetzt, während die Tiere durch die Betätigung eines kleinen Hebels oder das Drehen eines Rades, die Stromschläge verhindern konnten. Nach einiger Zeit lernten die Hunde, sofort nach Einsatz des Schocks die den Stromschlag abstellende Reaktion zu zeigen. Für Seligman war dies eine typische Fluchtreaktion.

Die zweite Gruppe

Eine zweite Gruppe von Hunden befand sich zur gleichen Zeit wie die erste Gruppe in einer ähnlichen Umgebung und wurde ebenfalls den Elektroschocks ausgesetzt. Dies geschah zur selben Zeit und in derselben Häufigkeit wie bei der ersten Gruppe von Hunden. Jedoch konnte diese Gruppe nichts gegen die Stromschläge unternehmen. Egal was sie tat – und auch sie versuchten etwas zu tun –  ihr Verhalten hatte keinerlei Einfluss auf die Schocks.

Die dritte Gruppe

Eine dritte Gruppe von Hunden diente als Kontrollgruppe. Sie befand sich in einem ähnlichen Apparat wie die beiden anderen Gruppen, bekam jedoch keine Elektroschocks. Soweit die Lernphase des Versuchs.

Phase 2

In einer zweiten Phase wurde nun die Versuchsanordnung geändert. Hier wurden alle drei Gruppen in einer sogenannten Shuttle-Box trainiert. Eine solche Box besteht aus zwei identischen Teilboxen, die miteinander verbunden sind. Das Versuchstier wurde nun in eine der beiden Boxen gesetzt und einem Elektroschock ausgesetzt. Der Hund konnte dem Elektroschock nun einfach entgehen, indem er in die andere Box überwechselte. Dabei handelte es sich um ein sogenanntes Two-Way-Experiment. Das Tier wechselte jeweils in die andere Box, die Schocks aber wurden auf beiden Seiten abwechselnd verabreicht.

Das Ergebnis dieser Studie ist frappierend. Die Gruppe von Hunden, die gelernt hatte, durch eine Handlung die Schocks abzustellen, also die Hunde aus Gruppe 1, lernte auch hier sehr schnell, dem Schock im Shuttle-Box-Training zu entkommen. Besonders interessant ist hierbei, dass die Tiere nicht nur lernten, den Schock durch einen Wechsel in die andere Box zu beenden, sondern diesem sogar durch einen vorzeitigen Wechsel in die jeweils andere Box völlig zu entgehen. Auch die Kontrollgruppe, also die Gruppe, die niemals mit Elektroschocks konfrontiert wurde, erlernte, den Schocks durch Wechseln in die jeweils andere Box zu entkommen, jedoch dauerte der Lernvorgang etwas länger.

Die zweite Gruppe von Hunden aber, welche in der 1. Phase die Elektroschocks bekam, egal wie sich das jeweilige Tier verhielt, erlernte wenn überhaupt nur sehr langsam, oft aber eben auch gar nicht ein alternatives Verhalten. Die Hunde blieben zumeist regungslos in der Box liegen und ließen die Tierversuche einfach so über sich ergehen.

Mein Fazit zum Thema Tierversuche Depression

Drei Gruppen völlig gesunder, unauffälliger Hunde, wobei nur eine Gruppe depressiv machenden Umgebungsbedingungen ausgesetzt wird. Und genau diese eine Gruppe zeigt nach kurzer Zeit eindeutig depressive Anzeichen. Wenn ich von außen auf diesen Versuch schaue, scheint es mir nun einfach, die Depression wieder zu heilen. Man müsste doch einfach diesen Lernvorgang nur wieder umkehren, denke ich. Im Grunde ist das wohl auch richtig. Doch liegt gerade darin die besondere Schwierigkeit. Denn es fehlt den Depressiven zumeist an Lernbereitschaft, an Begeisterungsfähigkeit, an Energie und Ausdauer und an Willen. Es fehlt ihnen an Lebensfreude. Wenn sie jedoch wüssten, wie sie zu ihrer Depression kamen, dann müssten sie durch eine Denkleistung diese Zwickmühle doch eigentlich durchbrechen können, oder nicht? Mich jedenfalls fasziniert dieses Experiment und eröffnet mir scheinbar völlig neue Horizonte. Nun kann ich sie wieder sehen, meine Möglichkeiten…

Quellenangaben zu „Wie erlernt man Depressionen – Tierversuche“
Versuch erlernte Hilflosigkeit, Seligmann, Wikipedia    Versuch mit Ratten zur Depression, Norman, Pharmazeutische Zeitung
Foto: Tim Reckmann / pixelio.de 
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