Vergebung ist nicht vergeblich
Menschen tun sich nicht immer nur gut. Manchmal verletzen sie sich auch gegenseitig, tun sich weh. Manchmal werden sie schuldig aneinander, manchmal fühlen sie dies auch nur, ohne es eigentlich zu sein. Da kann es befreiend wirken, sich auf die eine oder andere Weise zu ent-schuld-igen. Oftmals tun sich Menschen aber gerade hiermit besonders schwer. Was macht es eigentlich so schwierig, sich zu entschuldigen und wie entschuldigt man sich richtig? Und welche Möglichkeiten habe ich als Opfer einer Verletzung oder Schädigung und was hat das letztlich alles mit Vergebung zu tun?
Was ist eine Entschuldigung?
Eine Entschuldigung, das sagt das Wort eigentlich schon, soll eine Entfernung von Schuld herbei führen. Es ist die Bitte des Schuldiggewordenen an den Geschädigten um Nachsicht und Vergebung. Mit einem solchen Anliegen gesteht der Bittsteller ein, dass das, was er gesagt oder getan oder aber auch unterlassen hat, als moralisch verwerflich oder zumindest in Frage zu stellen ist. Er gesteht ein, einen Fehler gemacht zu haben und übernimmt damit die Verantwortung für sein Handeln. Der um Entschuldigung Ersuchte hat nun die Möglichkeit, die Entschuldigung anzunehmen, er kann sie aber auch zurück weisen. Dies wird abhängig davon sein, wie sehr der schuldig Gewordene die Integrität des Anderen verletzt hat und wie sehr er sein Handeln auch tatsächlich bereut. Eine nur so daher gesagte Entschuldigung ohne wirkliche Reue, verblasst in der Regel zu einer wirkungslosen Floskel oder verletzt den Anderen sogar nochmals.
Seelisches Gleichgewicht
Die Entschuldigung hat aber auch noch eine zweite wichtige Seite. Menschen die seelisch oder physisch verletzt wurden, Menschen denen Unrecht geschah, leiden oftmals ein Leben lang unter den Folgen eines solchen Geschehens. Sie sind zu Opfern geworden. Etwas in ihnen ist aus dem Gleichgewicht gekommen. Sie wünschen sich, dass der Schuldige oder die Schuldigen Abbitte leisten, um so wieder zurück zu ihrem seelischen Gleichgewicht finden zu können. Oftmals bleibt eine ernst zu nehmende Entschuldigung aber aus und so bleiben die Opfer auf ewig Opfer. Es hängt also offensichtlich ganz davon ab, wer mehr unter der Schuld leidet, wie die Sache ausgeht. Ist es der Schuldige, wird er vermutlich in geeigneter Form um Entschuldigung ersuchen. Ist es der Geschädigte? Ja, wie es aussieht, ist er dann ein zweites Mal der Benachteiligte. Denn er erwartet ja etwas und ist somit abhängig von seinem Peiniger.
Man kann den Täter zwar auffordern, sich zu entschuldigen, aber man kann ihn nicht zwingen, sein Handeln von Herzen zu bereuen.
Entschuldigung und Vergebung
Unabhängig davon, ob wir nun derjenige sind, der um Vergebung bittet oder derjenige der Vergebung erteilen soll – eine Entschuldigung tut beiden Seiten gut. Ob wir nun depressiv sind oder nicht, sich zu entschuldigen oder zu vergeben ist Balsam für die Seele. Da aber Depressive besonders empfindsam und leicht zu verletzen sind und zudem schon schwer an den Folgen vergangener Verletzungen zu tragen haben, ist es für sie besonders heilsam, zu vergeben oder sich von einer Schuld zu befreien. Sich zu befreien schafft Freiheit im Geist und im Gefühl, die Art Freiheit, die sich die meisten Depressiven wünschen.
Warum wir uns oft nicht entschuldigen
Das Bitten um Entschuldigung kann durchaus der Beginn einer Entlastung der eigenen Seele sein. Dann nämlich, wenn der Geschädigte auch wahrhaft vergeben kann und der die Schuld Bekennende dadurch von seinen plagenden Schuldgefühlen befreit wird. Es kann aber für die menschliche Psyche durchaus auch von Vorteil sein, sich nicht zu entschuldigen. Gerade bei Menschen mit einem ohnehin schon geringem Selbstwertgefühl löst der Akt des um Entschuldigung Bittens mitunter nochmals eine Herabsetzung ihres Selbtwertes aus. Personen, die sich nicht entschuldigten gaben einer Studie zufolge an, mehr gefühlte Kontrolle über ihr Leben zu haben. Zudem sei ihr Selbstwertgefühl höher gewesen als bei den Probanden, die sich für eine Entschuldigung entschlossen hatten.
Blind für eigenes Fehlverhalten
Und noch ein weiterer interessanter Aspekt stellte sich heraus: Diejenigen, die es ablehnten, um Verzeihung zu bitten, fühlten sich mehr im Einklang mit sich selbst zu sein. Vermutlich machten sie sich selbst blind für ihr Fehlverhalten, rechtfertigten es also vor ihrem Gewissen und fanden so ihren inneren Frieden, frei nach dem Motto: „So schlimm war’s ja gar nicht!“ – „Der/die war ja selber Schuld!“ – „Ich konnte ja auch nichts dafür!“ oder „Ich habe es ja nicht mit Absicht getan!“ Der letzte Satz ist mein Lieblingssatz. „Das hab ich doch nicht gewollt“ oder so ähnlich versuche ich mich selbst aus der Verantwortung für bei Anderen verursachten Schmerz zu ziehen. Für das Opfer macht es im Ergebnis aber keinen Unterschied, ob ich es mit Absicht oder zufällig umgefahren habe. Es ist vielleicht querschnittsgelähmt und wird nie wieder gehen können.
Fragwürdige Rechtsprechung
Natürlich wäre es abscheulich und gräulich, so eine Tat mit Absicht begangen zu haben und vermutlich auch nicht zu entschuldigen, aber das bedeutet im Gegenzug nicht, dass ich mich nicht entschuldigen brauche, solange mir kein Vorsatz nachzuweisen ist. Dies ist seit langer Zeit ein moralischer Leitsatz unter den Menschen und findet sich auch in den meisten Rechtsprechungen so wieder. Auch fahrlässige Handlungen sind nach unserem Gesetz strafbar und die Grenze zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit ist oftmals sehr schmal.
Ein Akt der Demütigung
Dennoch kann der Gewinn für das eigene Ego bei den Verweigerern durchaus höher sein als bei den um Verzeihung Bittenden. Nicht selten ist es so, dass uns schon klar ist, etwas falsch gemacht zu haben. Dann aber hin zu gehen, und Abbitte zu leisten, bedeutet für viele einen Akt der Demütigung. Sie empfinden Scham, ihre Schuld bekennen zu müssen. Sie empfinden Scham, sich klein machen zu müssen, sich verletzlich zu zeigen. Scham fühlt sich nicht gut an, Schuld auch nicht. Da ist es doch viel besser, den Stolz heraus zu kehren und so zu tun, als wäre alles halb so wild. Gerade wir Männer haben da so unsere Schwierigkeiten, sagt man uns doch nach (oder besser vor) das „starke Geschlecht“ zu sein und wer als stark gelten will, der darf sich nicht klein machen, darf keine Schwäche und schon gar keine Scham zeigen.
So bleibt vieles unreflektiert, unausgesprochen, unentschuldigt und bereitet auf lange Zeit immer wieder Leid…
Was kann der Geschädigte tun?
In jedem Fall, kann derjenige, der eine Entschuldigung erwartet, dies auch mitteilen, die Entschuldigung sozusagen einfordern. Er kann deutlich machen, dass er nicht gewillt ist, alles einfach so hinzunehmen und teilt auf diese Weise auch gleichzeitig mit, dass hier seine Grenze ist. Ein Garant dafür, dass dann auch tatsächlich eine solche Bitte um Vergebung erfolgt, ist das natürlich nicht. So manche Entschuldigung, die nötig wäre, findet einfach nicht statt. Der Eine schämt sich so sehr, dass er das angerichtete Übel, nicht noch einmal thematisieren möchte. Der Andere verleugnet vor sich selbst seine Verantwortung und tut so, als wäre nichts Schlimmes geschehen. Wieder Andere sind sich dessen überhaupt nicht bewusst, was sie getan haben. Oder der Übeltäter ist vielleicht verzogen oder womöglich schon gestorben? Es kann viele gute Gründe geben, weshalb eine dringend notwendige Entschuldigung am Ende doch nicht statt findet.
Wenn keine Entschuldigung erfolgt
Was kann man tun in so einem Fall? Hier könnte der umgekehrte Vorgang einsetzen. Als Opfer könntest du versuchen, dich in den Täter hineinzuversetzen. Du könntest versuchen zu ergründen, was denjenigen dazu getrieben hat, dir so weh zu tun. Vielleicht hatte er gerade eine schwierige Zeit hinter sich oder steckt noch mitten drin? Womöglich ist er krank oder hat mit einem Schicksalsschlag zu kämpfen? Wenn Menschen sich verletzend verhalten, hat das immer auch eine Ursache. Und so wird manche Verletzung einfach weitergereicht wie beim Dominospiel. Allerdings ist der Letzte dann der Dumme. Der Mann oder die Frau bringen den Ärger von der Arbeit mit nach Hause. Der Chef hatte sich schlecht benommen. Zum Chef sagen sie natürlich nichts und so kocht es weiter in ihnen. Wer kriegt es ab? Der Partner zu Hause, der dann wieder einmal das letzte Klopapier verbraucht hat! So ist das bei uns Menschen.
Verständnis für den Täter
Man kann also versuchen, als Opfer ein gewisses Verständnis für den Täter zu entwickeln und ihm dann vergeben, auch ohne, dass er je darum gebeten hat. Glaub mir, das ist besser, als ein Leben lang irgend welchen Groll mit sich herum zu schleppen. Dieser Groll nämlich schadet einzig dir selbst. Den Täter tangierst es in keiner Weise. Weshalb also Wut und Hass über lange Zeit, vielleicht sogar viele Jahre, konservieren, wenn sie sich mit einer ehrlich gemeinten Vergebung aus der Welt schaffen ließen? Am Ende macht unterdrückte Wut krank, Hass noch mehr. Nicht selten entsteht Krebs, wenn dich etwas innerlich „zerfrisst“. Hier kann Vergebung Entlastung schaffen und Freiheit. Die einzige Voraussetzung hierfür ist: Sie muss ehrlich gemeint sein und von Herzen kommen, also auch gefühlt werden.
Versöhnung anbieten
Nicht selten ist es auch so, dass es aufgrund einer Verletzung zwischen zwei Menschen zu einer sogenannten Funkstille kommt, die über viele Jahre andauern kann. Wenn der Verletzende hier nicht in der Lage ist, um Vergebung zu bitten, dann kann auch die andere Seite auf den „Übeltäter“ zu gehen und ihm eine Versöhnung anbieten. Hier ist jedoch Vorsicht geboten. Hier sollte man ein gut entwickeltes Ego haben, denn es besteht die Möglichkeit, zurückgewiesen zu werden, wodurch sich die einstige Verletzung womöglich noch verschlimmert. Du solltest hier vorher sehr gut in dich hinein fühlen. Wenn du aber sicher bist, dass du dies tun magst, dann wirft es dich auch nicht um, wenn es negativ ausgeht. Du kannst dir dann sagen: „Immerhin habe ich es probiert. An mir liegt es nun mit Sicherheit nicht mehr, dass wir keinen Kontakt haben.“
Die annehmbare Entschuldigung
Entschuldigen will gelernt sein, denn durchaus nicht jede Entschuldigung ist für den Anderen auch annehmbar. Das Erste und Wichtigste ist: Die Entschuldigung muss ehrlich und authentisch sein. Eine gute Entschuldigung setzt voraus, das es vorher im um Vergebung Bittenden einen inneren Prozess der Auseinandersetzung gegeben hat. Dazu gehört unbedingt, dass du dich in so einem Fall in den Anderen hinein versetzt und fühlst, was er gefühlt haben könnte. Es ist wichtig, dass du begreifst, welches Leid du tatsächlich angerichtet hast. Erst dann kann echte Reue folgen. Ohne diese Reue verpufft jede Bitte um Vergebung. Wenn du aber gefühlt hast, was du angerichtet hast, ist auch der Weg zu einer ehrlichen Entschuldigung nicht mehr weit.
Alleinige Verantwortung für dein Tun
Wichtig ist, dass du allein die Verantwortung für dein Tun übernimmst und dich nicht zu Formulierungen hinreißen lässt wie „Du hast aber auch nicht aufgepasst!“ oder „Wenn nicht gerade das und das passiert wäre, hätte ich ja gar nicht erst…“ oder „Ich konnte ja auch nichts dafür, weil…“ Solche Sätze sind keine Entschuldigungen sondern eignen sich eher, die Opfer zu verhöhnen.
Es soll nicht mehr vorkommen
Eine Entschuldigung sollte einfühlsam formuliert sein, was dir bei echter Reue und echtem Mitgefühl aber nicht schwer fallen dürfte. Zeige Verständnis für die Lage des Anderen und biete für den angerichteten Schaden eine geeignete Wiedergutmachung an. Frag gegebenenfalls nach, wie du das, was du angerichtet hast, wieder gut machen kannst! Und ganz wichtig: Schreib dir hinter die Ohren, wofür du dich gerade entschuldigt hast und sieh zu, dass es nie wieder vorkommt! Wenn du es ehrlich gemeint hast, dann musst du auch etwas dafür tun, das sich solch ein Vorfall nicht wiederholt. Das ist wichtig! Bedenke, wie glaubwürdig du noch wärst, wenn du dich ein zweites Mal für die gleiche Sache entschuldigen müsstest!
Aufrecht und mit liebendem Herzen
Trage dein Anliegen beseelt vor, aber mach dich nicht klein. Halte dich innerlich aufrecht und zeige damit, dass du zu dem stehst, was du sagst. Auf keinen Fall zeige dich unterwürfig oder bettele um Vergebung. Das ist deiner nicht würdig. Es ließe dich erbärmlich erscheinen und wenig glaubhaft. Entschuldige dich besser mit liebendem Herzen und du wirst sehen, dass auf diese Weise beide Seiten etwas davon haben.
Quellen zu Entschuldigung und Depression Stand 08/13
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