Ich bin überfordert – was kann ich tun
Es gibt viele Theorien für die Entstehung einer Depression. Eine ungünstige Kindheit, schwere Schicksalsschläge und Erkrankungen oder schlichtweg andauernde Überforderung. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo in der Mitte und hat von allem etwas. Jedoch kommt der Überforderung eine besondere Bedeutung zu. Die Überforderung ist die einzige Stellschraube, an der wir oftmals noch drehen können. Die Vergangenheit lässt sich nicht ändern, also lassen sich die Ursachen einer Depression, die in der Vergangenheit liegen, vermutlich auch nicht ausräumen. Die Überforderung aber findet immer in der Gegenwart statt. Hier besteht Potential! Hier können wir der Depression eine Ursache entziehen und dafür sorgen, dass es uns besser geht. Der Satz „Ich bin überfordert“ birgt somit auch irgendwo eine hoffnungsvolle Botschaft.
Überforderung als Grundmerkmal der Depression
Depressive Menschen sind oftmals solche, die immer gern bereit waren, Verantwortung zu übernehmen. Sie können schlecht NEIN sagen und es nicht aushalten, wenn ein Problem einmal ungelöst bleibt. Sie tun dies solange, bis sie sich irgendwann eingestehen müssen: „Ich bin überfordert!“ Auf gut Deutsch: Sie ziehen sich viel zu schnell jeden x-beliebigen Schuh an, egal ob er dann drückt oder nicht. Meistens drückt er, denn die bequemen Schuhe sind eigentlich immer schnell vergriffen. Ich war auch stets ein Mensch, der Verantwortung haben wollte. Ich habe auch meist dann „hier“ gerufen, wenn kein Anderer sich für eine bestimmte Aufgabe fand. Sei es eine unliebsame Tätigkeit in der Firma gewesen oder der neu zu besetzende Kirchenvorstand, wenn Not am Mann war, war ich da. Frei nach dem Motto „Einer muss es doch tun“ war ich oft derjenige, der anderen den Rücken frei hielt.
Zuviel ist zuviel
Mit der Zuspitzung meines Gesundheitszustandes gab ich mehr und mehr davon ab. Nicht weil ich einsah, dass es mir nicht gut tat, nein, einzig und allein weil ich nicht mehr konnte. Mir wurde einfach alles zu viel! Es herrschte Überforderung in fast allen Bereichen!
Überfordert in vielen Bereichen
Viel zu schnell nahm ich mir alle möglichen Kleinigkeiten zu Herzen und fühlte mich gekränkt. Das raubte mir immer wieder die Kraft für diejenigen Sachen, um die es eigentlich ging. Das führte immer wieder dazu, dass ich mich überfordert fühlte. Ich kündigte irgendwann sogar meine Arbeitsstelle, weil mir die geforderte Flexibilität einfach zu viel abverlangte. Es war im Gespräch, dass ich als Projektleiter für eine Zeit von Hannover in die Geschäftsstelle Stuttgart versetzt werden sollte. Das ging überhaupt nicht! Ohne meine Familie? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Meine Familie war immer mein Dreh- und Angelpunkt gewesen. Hier war ich zu Hause. Hier fühlte ich mich wohl. Und jetzt sollte ich auf all das verzichten, nur des Geldes wegen? Nein! Das ging gar nicht!
Beruflich überfordert
Also kündigte ich – nach zwölf Jahren bei der Fa. Johnson Controls und wechselte kurzerhand zum Blutspendedienst nach Springe, der dort ein kleines Pharmaunternehmen zur Verarbeitung von Blutplasma unterhielt.Nun war ich der Überforderung entkommen, glaubte ich. Da verdiente ich dann zwar 1000 DM monatlich weniger, aber dafür hatte ich auch nur noch 20 Minuten Fahrzeit bis nach Hause. Unter dem Strich habe ich den Wechsel nicht bereut. Die Geschäftsstelle meiner alten Firma in Hannover wurde einige Jahre später dann auch aufgelöst. Also hatte ich schon den richtigen Riecher gehabt. Dennoch hätte ich niemals gekündigt, wäre es nicht auch hier zu einer Situation der Überforderung infolge der Depression gekommen.
Privat überfordert
Das alles spielte sich auch noch in dem Jahr ab, als meine Oma, die immer wie eine Mutter für mich war, starb. Ich fühlte mich schuldig an ihr, weil ich sie ein Jahr zuvor in ein Altenheim „abgeschoben“ hatte. Aber auch da war schon die Überforderung im Spiel. Oma hatte Alzheimer. Das war einfach zu viel für uns. Das konnten wir irgendwann einfach nicht mehr leisten.
Überforderung verändert das Leben
Ich sorgte damals also durch den Wechsel für den Ausstieg aus der Überforderung, für ein ruhigeres Leben. Dadurch kam ich weg von der Projektarbeit, von Termin- und Kostendruck hin zu einer mehr oder weniger Verwaltungstätigkeit. Ich tat dies, ohne zu wissen, dass ich bereits unter Depressionen litt und ohne zu Wissen, dass die Überforderung jetzt mein ständiger Begleiter werden sollte. Quasi wechselte ich nun die Seiten. Hatte ich früher unsere Kunden mit technischen Dienstleistungen bedient, so war ich jetzt selbst Kunde und Auftraggeber geworden. Das war recht angenehm. Aber irgendwann war mir auch diese Arbeit zu viel und meine Überforderung suchte nach Möglichkeiten dies zum Ausdruck zu bringen. Ich bekam Bluthochdruck, immer in den Wochen, in denen ich zur Bereitschaft eingeteilt wurde. Also überließ ich meine Bereitschaft den Kollegen, so oft dies möglich war. Die Bezahlung dafür war recht gut und so fand sich meist auch jemand, der übernahm.
Belastung Überforderung und Depression
Ich gab meinen Posten im Kirchenvorstand ab und verkaufte unsere 2000 m² Wochenendgarten im Hils. Dann kam im Januar 2007 der Zusammenbruch und ich musste in die Klinik. Heute würde man sagen, ich hatte einen Burnout. Aber wie sich herausstellte, handelte es sich nicht nur um eine vorübergehende Überbelastung, sondern um eine handfeste Depression, die damals schon chronisch war. Jetzt wo ich krank war, hatte ich auch für meine Arbeit die Verantwortung> nicht mehr, nur noch die für meine Familie. Aber selbst die war mir zu viel. Ich konnte sie nicht mehr tragen. Ich war völlig überfordert mit dem Verhalten meiner damaligen Frau. Alles wurde für mich zur Belastung. Mein Leben war eine einzige Überforderung.
Depressionen und Trennung
Es kam, wie es kommen musste – wir trennten uns. Ich selbst sprach diese Trennung aus. Das war zunächst wie ein Befreiungsschlag für mich. Auf der anderen Seite zerstörte ich damit mein wertvollstes Gut, meine Familie, die ich bis dato über zwanzig Jahre gehegt und gepflegt habe. Ich war an meinem Tiefpunkt angekommen. Das Scheidungsverfahren gab mir dann moralisch, seelisch und finanziell noch den Rest. Es war keine Entscheidung, die ich gern traf. Es war sozusagen Notwehr. Ich musste mich so entscheiden, um überleben zu können. Ich musste jegliche Verantwortung abgeben und wieder einmal war Überforderung die Ursache allen Übels.
Überforderung durch neue Beziehungen
Aber von diesem Zeitpunkt an ging es aufwärts. Ich hatte mich nach der Trennung schnell wieder verliebt und war voller Hoffnung. Was ich damals noch nicht wusste, mir aber mein Hausarzt schon seinerzeit eindringlich ans Herz legte: Ich war zu einer tragfesten Beziehung überhaupt noch nicht fähig. Ich verfiel dem Irrglauben, die letzte Beziehung sei nur gescheitert, weil meine Frau … Was ich zu diesem Zeitpunkt nicht sehen konnte, war mein eigener Anteil und den nahm ich nun einmal mit. Und so stehe ich mir heute noch oft selbst im Weg, bin zu empfindlich, weiß nicht mehr weiter, fühle mich verlassen und schon wieder der Überforderung anheim gestellt. Heute glaube ich es auch: Ich bin überfordert mit jedweder Paarbeziehung.
Beziehung zu mir selbst
Ich muss erst einmal lernen, zu mir selbst richtig in Beziehung treten. So muss ich lernen, zu schauen, was ich brauche, was ich will und was ich kann. Ich muss heraus finden, was mir gut tut und was nicht und auch danach handeln. Ein Partner zieht immer wieder meine Aufmerksamkeit auf sich und dann bin ich damit beschäftigt, zu denken und zu fühlen, was er oder sie braucht. Beides, für mich und für einen Partner zu leben, kriege ich jedenfalls noch nicht wieder hin. Also werde ich, um der Überforderung zu entkommen wohl oder übel meinen Wunsch nach Zweisamkeit für eine Zeit an den Nagel hängen müssen. Ich frage mich jedoch, ob ich mir damit wirklich einen Gefallen tue oder ob es nicht einfach die Angst vor erneutem Schmerz ist, die mich von einer Zweierbeziehung Abstand nehmen lässt?
Quellen zu „Ich bin überfordert“
Foto: pixabay