Angst vor dem Sterben – Tabuthema Tod

Todessehnsucht, Angst vor dem Tod

Eigentlich gibt es gar nicht so sehr viele Themen, die alle Menschen in der Tiefe ihrer Existenz betreffen. Und doch gehört das Tabuthema Tod und Angst vor Sterben zu den Themen, die am meisten umschifft werden. Wir wollen nichts hören vom Tod, glauben, das habe noch Zeit. Wir fühlen uns ohnmächtig dem Tod gegenüber und das macht uns Angst. Aber durchaus nicht alle Menschen sehen das so. Insbesondere Schwerkranke oder sehr alte Menschen, deren Leben zur täglichen Last geworden ist, spüren so etwas wie eine Todessehnsucht. Für sie wäre der Tod etwas Erfreuliches, etwas Lösendes, Befreiendes. Für jene Menschen ist es kein Tabuthema wie die Depression – sie haben keine Angst vor dem Tod und stoßen mit ihrer Todessehnsucht oftmals auf das Unverständnis der Zeitgenossen. Ist der Tod nun die Lösung oder sollte man doch besser Angst vor dem Sterben haben?


Tabuthema Angst vor Tod und Sterben

Was hat die Depression eigentlich mit der Angst vor Tod und Sterben zu tun? Nicht nur Depressive wissen: Nur eines ist sicher auf der Welt: Du musst sterben, ganz gleich, ob du nun Angst vor dem Tod hast oder nicht. Auf ihn kannst du dich uneingeschränkt verlassen. Es stellt sich niemals die Frage, ob er kommt, sondern immer nur wann es sein wird. Es ist, wie es ist – alle Menschen müssen sterben, die meisten von ihnen ungewollt. Für die, die unverhofft sterben, ist es am Schlimmsten. Sie hatten doch noch so viel zu erledigen! Sie wollten doch noch leben! Am besten ewig? Ich habe da so meine Zweifel…

In Märchen, Mythen und Religionen wird die Unsterblichkeit immer wieder als ein ersehnenswerter Zustand beschrieben. Aber ist sie das auch? Ist nicht jeder Mensch irgendwann tatsächlich auch des Lebens müde? Ich habe alte Menschen kennen gelernt, die viele Jahre nur noch in ihrem Bett lagen, gefüttert und gewindelt werden mussten und sich nichts sehnlicher wünschten, als sterben zu dürfen. Aber der Typ mit der dunklen Kapuze kam nicht. Der hatte Wichtigeres zu tun. Die Angst vor dem Sterben hatte sich schon längst in eine Todessehnsucht verwandelt. Von Haus aus bin ich Christ, bin also im christlichen Glauben aufgewachsen und da gehört auch der Glaube an das ewige Leben mit dazu. Ich habe früher nie besonders intensiv darüber nachgedacht. Es war eben so.

Depression Religion und Angst vor Tod und Sterben

Ich denke, die kirchliche Lehre dient dazu, den Menschen Hoffnung zu geben. Sie soll das irdische Leben erträglicher machen und den Menschen die Angst vor dem Tod nehmen. Aus meiner Sicht jedoch hat sie da in beiden Punkten ordentlich versagt. Und das hat nichts mit der Depression zu tun. Die meisten Menschen haben Angst vor dem Tod. Von Zeit zu Zeit besuche ich einen Gottesdienst. Und dann sehe ich in die Gesichter der Menschen, die dort nach Hoffnung suchen. Aber was ich sehe, ist keine Freude, keine Zufriedenheit und auch keine Gelassenheit. Ich sehe Trauer. Und ich sehe Verzweiflung. Ich sehe Gleichmut. Das ist Depression pur!

„Leben“ entdecke ich lediglich in Kindergottesdiensten, aber einen Glauben an Gott brauchen die kleinen Knirpse dazu nicht. Anders läuft es auch in Gospelgottesdiensten. Gospel halte ich deshalb für eine sehr gelungene Form der Glaubensausübung. Leider gibt es das hier in meiner Nähe nicht. Hier sind lieber alle in sich gekehrt. Ich habe bislang noch keinen Christen kennen gelernt, der sich auf sein Lebensende freut. Niemanden! Wieso eigentlich nicht, wenn doch das ewige Leben das Highlight schlechthin ist?

Alle haben Angst vor dem Tod und nur deshalb ist es auch ein Tabuthema. Schau dir Beerdigungen an! Wo ist da die Freude, dass der Verschiedene es nun endlich geschafft hat, im Reiche Gottes zu sein? Die Antwort ist: Es gibt keine Freude – es gibt nur Traurigkeit! Es gibt nur Leid, unendlich viel Leid. Irgend etwas scheint hier nicht richtig zu sein. Irgend etwas stimmt hier nicht. Weshalb haben Christen Angst vor dem Tod?

Was kommt nach dem Ende des Lebens?

Seit meinem Zusammenbruch 2007 und der Depression hat sich mein Verhältnis zum Sterben grundlegend geändert. Früher hatte ich auch Angst vor dem Sterben, aber freute mich auf mein Leben danach. Ich würde dann meine Mutter wiedersehen. Dann würde alles gut werden! Heute denke ich: Das Leben ist jetzt! Meine Mutter ist damals gegangen, ohne sich zu verabschieden. Sie hat mich verlassen. Und ich musste es lernen, ohne sie klar zu kommen.

Ein Leben nach dem Tod gibt es vermutlich nicht. Tot ist Tot. Es würde mich wahrscheinlich auch wahnsinnig machen, in der Vorstellung leben zu müssen, dass ich dort alle jemals geborenen Menschen treffen würde. Wo soll das sein? Wie viele Menschen sind das denn bis heute? Und was sollte ich dann tun in meinem neuen Leben? Was kann es geben, dass ich nicht jetzt schon tun könnte? Nein, Angst vor dem Tod habe ich nicht mehr, auch nicht Angst vor dem Sterben an sich – dann schon eher Angst vor dem Leben.

Depression und Todessehnsucht

Und dann denke ich an die Menschen, die keine Angst vor dem Tod haben, sondern eine Art Todessehnsucht spüren, Menschen, für die das Sterben eine Erlösung ist. Wie würde das für die sein, wenn die ganze Sch… einfach wieder von vorn beginnt? Ich finde heute mehr Trost, in der Vorstellung, dass nach dem Ende meiner Tage nichts mehr kommt außer Ruhe. Ruhe und Frieden.  Das Spannende ist – niemand weiß es. Die einen glauben dies und die anderen das. Jeder sollte glauben, womit es ihm gut geht. Hauptsache, es geht ihm dann auch gut! Für Menschen mit Depressionen, Menschen die nicht mehr weiter wissen, die am Boden liegen, ist es jedenfalls kein Trost, wieder aufstehen zu müssen. Sie wollen kein zweites Leben, verspüren regelrecht Sehnsucht nach dem Tod, denn sie glauben nicht, dass sich irgendetwas ändern würde. Sie wollen sich einfach nur noch ausruhen. Kann man ihre Todessehnsucht nicht irgendwo auch verstehen?

Über Tod und Depressionen spricht man nicht

Das Tabuthema Depression und das Tabuthema Tod stehen sich sehr nahe. Sie sind gut befreundet, könnte man sagen. Und beide gehören bei uns modernen Menschen in die Kategorie „Darüber spricht man nicht“. Warum eigentlich nicht? Gehören doch beide zum Leben dazu? Und beide sind dem Menschen zugetan. Die Depression hilft dem Menschen, sich nicht weiter zu überfordern. Sie hilft ihm, so makaber dies klingen mag, gesund zu bleiben. Doch wenn er dazu, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr in der Lage ist, dann gibt es den Exitus, der den Qualen des Lebens ein Ende setzt, einen „Ausgang“ weist. Warum also Angst haben vor dem Sterben?

Für etwa Zehntausend Menschen in Deutschland ist das jedes Jahr so. Der Tod kann auch barmherzig sein. Eigentlich ist er immer barmherzig. Er beendet nur, was nicht mehr leben kann. Jetzt könntest du sagen: „Ja, und was ist mit den vielen Unfalltoten?“ Ich sehe das so: Unfälle sind Unfälle. Krankheiten sind Krankheiten. Damit hat der Tod zunächst nichts zu tun. Der Tod kommt erst, wenn das Leben nicht mehr weiter weiß. Er kommt, wenn die Kraft zum Leben nicht ausreicht. Und dafür kann ein Unfall verantwortlich sein oder eine Krankheit oder einfach das Alter…

Krankheit und Scham

Der Tod ist mein Freund. An der Freundschaft zur Depression arbeite ich noch. Aber ihren Schrecken haben beide bereits verloren. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich sehe das Sterben als das, was er ist, das Ende dieses Lebens. Alles hat ein Ende und das ist auch gut so. Auch du musst keine Angst vor dem Tod haben! Und auch vor Depressionen musst du dich nicht fürchten! Depressionen helfen dir, bewusster zu leben. Die Depression ist eine Erkrankung, die du selbst heilen kannst. Willst du lieber einen Herzinfarkt oder Krebs? Sicher nicht! Aber körperliche Leiden sind nun einmal die Folge jedweden seelischen Ungleichgewichts.

Komischerweise reden alle gern über ihre Krankheiten, ihre Op’s und wie viele Pillen sie jeden Tag nehmen müssen. Aber über Depressionen mag niemand sprechen. Da kommt Scham auf. Dabei haben doch alle Depressionspatienten eine Ausfahrt früher genommen. Sie müssten sich nicht schämen, sie haben die Nase doch vorn! Wenn schon Scham, dann doch bitte die Herz-Kreislauf-Kandidaten! Aber die scheinen noch stolz auf sich zu sein!? Gerade im Lager der psychisch Kranken habe ich besonders viele Menschen getroffen, die keine Angst vor dem Tod haben. Obwohl sie viele Ängste kennen, haben sie die größte Angst der Menschen ablegen können – die Angst vor dem Sterben. Das ist gewiss ein Vorteil der Depression.

Ich wünsche allen Menschen einen entspannteren Umgang mit dem Thema Sterben und dass sie ihre Angst vor dem Tod möglichst ablegen können! Der Tod ist ein Freund, vergiss das nicht! Lebe jeden Tag so, als wäre es dein letzter, heißt es. Lebe jeden Tag, dass eine Todessehnsucht erst gar nicht aufkomnmen muss. Dann hast du heute schon ein erfülltes Leben und musst nicht auf ein Leben nach dem Tod hoffen. Angst vor Tod und Sterben muss nämlich nicht sein…

Quellen zu Tabuthema Depression, Tod, Todessehnsucht und Angst vor dem Sterben
Foto: Florentine / pixelio.de
tod
Überarbeitet: 07.03.2025