Zu sensibel und verletzlich für diese Welt

zu sensibel verletzlich, Sensibilität, Verletzlichkeit und Depression

Ich weiß nicht, ob ich schon immer so verletzlich war, wie ich es heute bin. Allerdings wurde mir schon als Kind nachgesagt, ich sei zu sensibel. Jedenfalls sah meine Oma das so. Eine gewisse Sensibilität, eine gewisse Verletzlichkeit scheint es also schon immer gegeben zu haben, auch ohne Depression. Dennoch hielt ich mich immer für normal konstituiert, nicht zu robust, aber schon robust genug für das Leben. Ja, sicher hatte der frühe Tod meiner Mutter mich seelisch verändert. Aber er hat mich nicht zu einem Freak werden lassen. Ich war ein relativ normaler Junge, so wie alle anderen auch, vielleicht ein wenig ängstlicher, aber auch nicht generell. Wie hätte ich es auch sonst später mit einem Staat wie der DDR aufnehmen können? Schließlich hatte ich mich offen gegen das gesamte Regime gestellt, was mich am Ende meine Familie, meine Arbeitsstelle, meine Freunde, meine Heimat und sogar meine Freiheit gekostet hatte.

Ich denke allerdings, dass sich an dieser Stelle tatsächlich auch das Blatt für mich wendete. Der Verlust der persönlichen Freiheit war ein tiefer Einschnitt in meinem Leben und im Kontext des Verrates meiner Kollegen, Freunde, Verwandten und was mich am schlimmsten traf, meines Vaters, haben mich die Ereignisse in den letzten Jahren meiner DDR-Zeit misstrauisch werden lassen.

Ich war zutiefst enttäuscht von den Menschen, ja tatsächlich von den meisten Menschen. Sie gingen alle von der Fahne, als es brenzlich wurde. Da hatte ich plötzlich keine Familie mehr. Ich war schnell vergessen oder ersetzt. Es fand sich ruck zuck jemand, der anstatt meiner Person mit meiner Frau und meinen Kindern unterm Weihnachtsbaum saß und Geschichten vorlas, währenddessen ich von meiner Familie getrennt war. Schnell war jemand gefunden, der für den Festtagsbraten sorgte und ihn zubereitete, wie es immer meine heilige Aufgabe war. Ja, „Freunde“ wurden zu Verrätern und meine Familie schiss sich lieber in die Hosen und ertrug den Gestank, anstatt mir beizustehen. Ich war sehr verletzt zu jener Zeit und wie man unschwer erkennen kann, bin ich es noch heute. Bin ich da etwa zu sensibel?

Verletzlichkeit und Depression

Doch zum Glück ist heute eine andere Zeit. Ich konnte mein altes Leben hinter mir lassen. Nachdem ich den Kontakt zu meinen Freunden und Verwandten einfach nur schleifen ließ, vielleicht auch um zu sehen, ob ihnen etwas an mir gelegen ist, trocknete er ein wie eine Pfütze im Sommerwind. Von der anderen Seite kam einfach nichts, wenn nichts von mir kam. Heute ist nichts tatsächlich mehr übrig. Aber jetzt ist es wenigstens ehrlich. Ja, seit jener Zeit bin ich vielleicht sensibler und verletzlicher geworden. Im Fachjargon nennt man das Vulnerabilität. Relativ schnell gerate ich unter Kritik in Wallung, manchmal fühle ich mich kritisiert und bin es gar nicht. Zu leicht beziehe ich Aussagen gegen mich und fühle mich dann angegriffen. Und dann gibt es nur noch eins: Den Gegenangriff!

Manchmal ist es so, das mir jemand nur seine Gefühle mitteilt, etwa dass er sich in einer Situation allein gelassen fühlte und ich reagiere sofort verletzlich, fühle ich mich angeklagt, nicht da gewesen zu sein. Ich übernehme sogleich Verantwortung, die mir an dieser Stelle gar niemand geben will. Anstatt zuzuhören und jetzt für den betreffenden Menschen da zu sein, kämpfe ich wie Don Quijote de la Mancha lieber gegen ein ganzes Heer von Windmühlen. Am Ende des Kampfes sinke ich dann erschöpft zu Boden. Es waren wie immer zu viele Windmühlen. Ich konnte den Kampf nicht gewinnen. Die Depression hatte mich wieder eingeholt – die Sensibilität und Verletzlichkeit hatten ihren Teil dazu beigetragen.

Sensibilität und Selbstannahme

Dennoch hat sich bis heute einiges geändert. Auch wenn ich noch so manches Mal zu Boden gehe, so komme ich doch schneller wieder auf die Füße. Ich weiß, dass ich die Lösung in mir trage. Und so weiß ich auch, dass ich über alle Ressourcen, die Depression unnötig werden zu lassen, selbst verfüge. Ich weiß, dass ich es kann! Nur ich allein kann dass Schiff aus den Depressionen hinaus steuern. Ich selbst trage die Verantwortung. Allein, es fehlt mir noch an Geschick, Übung und Erfahrung. Es wird noch einiges an Zeit brauchen, denke ich, Wiederholungen werden nötig sein und es wird ein immer währendes sich selbst Ansehen geben müssen, um vorwärts zu kommen.

Im Fall der erhöhten Sensibilität weiß ich, dass ich Frieden mit mir selbst schließen muss. Ich muss mich selbst mögen und mich annehmen, so wie ich bin. Wenn ich mit mir einverstanden bin, was kann es mich dann jucken, wenn es zwei, drei Andere nicht sind? Daran will ich die nächste Zeit arbeiten, auf das aus meiner empfindlichen Seele wieder eine empfindsame werden möge.


Quellen zu „Sensibilität, Verletzlichkeit, Empfindliche Seele und Depression, zu verletzlich, zu sensibel“
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