Übertragung und Gegenübertragung

Übertragung Gegenübertragung

Wenn die Kommunikation gestört ist…

Depressionen sind nicht nur für den von der Depression direkt betroffenen Menschen, sondern auch für alle, die zu ihm in  Beziehung stehen, eine schwere Bürde. Depressiv zu sein bedeutet aus meiner Erfahrung, nicht nur selbst eine niedergedrückte Stimmung zu haben, sondern diese Stimmung durch Übertragung auch spielend leicht auf andere zu richten. Als Depressiver bin ich quasi der tiefste Punkt im Raum und alle Emotionen fließen zu mir ab, eben auch alle positiven Gefühle und Äußerungen.


Depression und Kommunikation

Leider bin ich in einer „Downphase“, auch Krise oder depressive Episode genannt, nicht in der Lage, etwas von einer positiven Stimmung um mich herum anzunehmen. Eventuell könnte ich so ja meine eigene Stimmung anheben? Wie es scheint, habe ich Tür und Tor nur für negative Sinneseindrücke geöffnet. Alle Filter arbeiten in diese Richtung. Es gibt nichts Gutes mehr. Ich bin in mir selbst verkapselt und bedauere zutiefst mein Unglück und Unvermögen, sehe aber derzeit keinen Ausweg und habe auch die Hoffnung auf einen solchen verloren.

Wenn ich ein emotionales Tief habe, gelingt es mir nicht, dies vor meinen Mitmenschen zu verbergen. Ich stehe automatisch immer im Mittelpunkt. Auch wenn ich mich aus der Gruppe entferne, um nicht alle Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, ist es gerade dieser Umstand, mit dem ich dann auf mich aufmerksam mache. „Man kann nicht nicht kommunizieren, war einmal ein geflügeltes Wort auf einer meiner Therapiestationen, das sich mir in diesem Zusammenhang eingeprägt hat. Es entstammt dem Munde von Paul Watzlawick. Paul Watzlawick war ein österreichisch-amerikanischer Kommunikationswissenschaftler, Psychotherapeut, Soziologe und Philosoph und lebte von 1921-2007.

Depression Beziehung und Aggression

Mich selbst machen depressive Zeitgenossen aggressiv. Ich reagiere übermäßig stark auf pessimistische Tendenzen, sei es beim Verfolgen von Nachrichtenmeldungen oder einfach im Erleben anderer Menschen. Ich glaube, dass es eine Art Schutzfunktion ist, nicht selbst noch depressiver zu werden. Und ich glaube, dass alle Menschen, dem auch ausgeliefert sind, zu denen ich Kontakt habe. Ich erlebe den Umgang mit mir als anstrengend. Ich selbst erlebe den Umgang mit anderen Menschen zumeist auch als anstrengend. Umso mehr freut es mich, zu erfahren, dass es jetzt schon öfter einmal Gelegenheiten gibt, zu denen ich den Kontakt zu anderen Menschen als angenehm empfinde. Das macht mir Hoffnung, dass ich mich, zwar nur mit winzig kleinen Schritten (aber immerhin) in die richtige Richtung bewege und sich mein Zustand langsam aber stetig bessert.

Übertragung bewusst machen

Ein zweiter Erklärungsansatz, dem ich genauso verfallen bin, ist dass zu jeder Depression auch die Aggression gehört. Der Depressive „Gutmensch“ erlaubt es sich nur nicht, diese Aggressionen zu zeigen. Er hat Angst davor, deswegen abgelehnt zu werden. Bei mir trifft das jedenfalls zu hundert Prozent zu. Und gerade diese verborgen gehaltenen Aggressionen sind es womöglich, die ich dann auch auf meine Mitmenschen „übertrage“. In der Psychoanalyse gibt es tatsächlich den Begriff der Übertragung. Er beschreibt das Phänomen, dass alte Gefühle oder Gefühlsmuster auf aktuelle Situationen angewandt werden, die aktuelle Situation also emotional eingefärbt ist aufgrund bestimmter, zumeist einschneidender Erfahrungen. Übertragung ist ein Alltagsphänomen und nicht an psychische Krankheiten gebunden. Nur fällt hier die Übertragung immer besonders auf. In der Psychoanalyse wird der Mechanismus von Übertragung und Gegenübertragung sogar zu therapeutischen Zwecken genutzt.

Unter dem Einfluss einer depressiven Episode geschieht dies vermehrt, wenn nicht sogar ständig. Nach Abklingen dieser Phase kann die dieselbe Situation zumeist ganz anders erlebt werden. Angehörige oder sonstige Menschen, zu denen ich in Beziehung stehe, merken dies meist sofort. Sie fühlen, dass etwas nicht stimmt, da ich es aber nicht klar zum Ausdruck bringen kann, weil die Übertragung ein unbewusster Vorgang ist, sind sie zumeist nicht in der Lage adäquat auf mich zu reagieren. Sie sind, ebenso wie auch  ich, überfordert mit diesem Gefühlscocktail und reagieren deshalb oft mit Unverständnis oder – wen wundert es – gleichfalls mit Aggression, um sich Distanz zu verschaffen. Die Psychoanalyse nennt diesen Vorgang dann Gegenübertragung. Ein Drama das in einer längst vergangenen Zeit uraufgeführt wurde und seither immer wieder aufgeführt wird. Nur durch Bewusstmachung kann es hier überhaupt einmal zum letzten Vorhang kommen.

Depression – Aggression gegen sich selbst

Meine Depression ist vermutlich eine zum überwiegenden Teil nach innen, auf mich selbst gerichtete Aggression. Im Wortstamm der Depression ist der Begriff Druck enthalten. Der Depressive selbst wird aber eher als kraftlos empfunden und fühlt sich selbst auch so. Das klingt nach einem Widerspruch. Wo ist denn da Kraft zu sehen? Ich glaube, der Druck, respektive die Kraft, die den Depressiven nieder drückt ist enorm, aber eben nicht direkt nach außen gerichtet und deshalb auch nicht als solche erlebbar. Aber die Kraft ist vorhanden und wird nach meiner Auffassung gespeist von diesen versteckten Aggressionen.

Jede Menge offene Rechnungen in meinem Lebensemotionshaushalt sind noch zu begleichen. Das Gleichgewicht zwischen gut und böse ist nachhaltig gestört und muss irgendwann auf eine geeignete Weise wiederhergestellt werden. Sei es durch Wiedergutmachung, Vergeltung oder Vergebung – ohne dieses Gleichgewicht werde ich vermutlich auch mein inneres Gleichgewicht nicht wieder erlangen können.

Depression Beziehung und Rückzug

Alle seelischen Erkrankungen haben ihren Ursprung in gestörten Beziehungen. Wen wundert es also, dass gerade in Beziehung zu anderen Menschen die Depression immer wieder deutlich wird. Ich frage  mich manchmal, ob Menschen in einer depressiven Phase sich womöglich deshalb zurückziehen, weil sie unter den Bedingungen, unter denen einmal etwas kaputt ging, also im Spannungsfeld menschlicher Beziehung, keinesfalls heilen können. Womöglich bräuchten sie aber gerade das Spannungsfeld der Beziehung, um heilen zu können, was an diesem Ort verletzt wurde?

Ich tendiere zum Letzten. Ich denke, heilen kann ich da nur etwas, wenn ich an die Stelle schmerzhafter Erfahrungen, andere, bessere Erfahrungen setzen kann. Wie soll dies geschehen, wenn ich mich durch Rückzug jedweder Begegnung entziehe? Rückzug soll sicher sein. Jeder Mensch braucht den Rückzug, braucht das Alleinsein mit sich selbst, um wieder in die innere Mitte zu finden. Allein dort zu verharren und sich im Rückzug dauerhaft zu verkapseln halte ich für ungünstig in Bezug auf die Heilung von alten Verletzungen. Dies kommt eher einem Kultivieren gleich, einer Pflege. Die Depression ist nicht dazu da, festzuhalten. Ich denke, die Depression ist deshalb so schmerzhaft, damit Loslassen möglich wird, damit Veränderung geschehen und Neues entstehen kann.

Quellen zu Übertragung und Gegenübertragung
Foto: Angelika Wolter / pixelio.de

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