Wie die Schuld das Leben der Menschen veränderte

Schuld und Depression

Das Paradies kommt ohne Schuld aus

Wer von uns träumte nicht schon einmal vom Paradies oder von besseren Zeiten? Könnte die Welt nicht auch ganz anders aussehen, als sie sich uns heute präsentiert? Gibt es nicht auch Hoffnung, Anzeichen für etwas Gutes? Warum haben die Menschen das Paradies verloren? Weil sie vom Baum der Erkenntnis aßen? Oder haben sie womöglich das Paradies verloren, weil sie gerade von diesem Baum nicht zu essen gedachten? Gedanken über das Glück, die Hoffnung, diesen Planeten und was wir Menschen daraus machten…


Das Märchen von der Entstehung von Schuld und Scham

Vor langer langer Zeit, als die Blumen nicht nur wundervoll dufteten, sondern auch Lieder summten an sonnigen Tagen und der Regen noch angenehm warm war, als es noch jede Nacht Vollmond gab und die Hummeln so groß waren wie Luftballons….

Ein Leben in Frieden

In eben jener Zeit da lebten die Erdbewohner in Frieden beisammen. Sie lebten füreinander anstatt voneinander. Auch waren Mensch und Tier sich nicht Feind, sondern teilten sich untereinander auf, was die Erde für sie an Gutem hervor brachte. Es gab genügend zu essen und zu trinken für jeden. Man nahm sich, was man zum Leben brauchte, nicht mehr und nicht weniger. So lebten die Menschen tagein tagaus und waren recht zufrieden damit. Es gab die köstlichsten Früchte und die lieblichsten Nektare, Nüsse und Honig im Überfluss. Niemand musste Not leiden.

Die Menschen achteten die Tiere und die Pflanzen und verbeugten sich im Geiste vor ihnen. Auch achteten sie sich gegenseitig, denn sie sahen in jedem Gegenüber eine Chance für die Welt, ein Potenzial. Das Universum war voller Liebe auf diese Weise, ja es bestand gleichsam aus Liebe. Wenn heute Kinder geboren werden und wir sie das erste Mal in unserem Arm halten, bekommen wir noch eine leise Ahnung davon, wie es damals so war zwischen den Menschen.

Die Kinder der Menschen

Die Kinder bekamen früher auch noch andere Namen, als es heute so üblich ist. In jedem Namen verbarg sich ein guter Wunsch der Eltern für ihr Kind. Sie nannten es Schlauer Fuchs oder Wachender Adler, Schnelles Pferd oder Lachende Taube. Sie nannten es Starker Baum, Flinke Katze oder Spendender Bach.

Auch gingen die Kinder noch nicht zur Schule seinerzeit. Sie mussten nicht auf das Leben vorbereitet werden, wie es heute so üblich ist, denn ihr Leben war von Anfang an schon in vollem Gange. Sie waren perfekt ausgestattet, es Tag für Tag für sich in Besitz zu nehmen. Jeder brachte eine besondere Gabe mit, die es herauszufinden galt. Sie waren Schüler, aber sie waren auch Lehrer. Täglich lernten sie etwas dazu und so blieb das, bis sie alt wurden.

Und wenn sie alt waren und manchmal vergessen hatten, wie es war, unbeschwert und fröhlich durch die Welt zu streifen, dann lernten sie dies wiederum von den Kleinen. So war es ein immer währendes Geben und Nehmen. Niemand bildete sich ein, etwas besser zu wissen. Jeder sah die Welt mit seinen Augen und so wie er die Welt sah, so war sie dann auch für ihn. Und wenn sie abends dann beieinander saßen, erzählten sie sich von ihren Eindrücken und malten mit ihren Wahrheiten die schönsten Geschichten in den Nachthimmel.

Sich die Augen öffnen lassen

Niemand zweifelte an der Wahrheit des anderen, denn es war ja klar, dass es dessen Sicht auf die Welt war. Die Menschen waren dankbar dafür, wenn sie teilhaben durften am Erleben anderer und die Wirklichkeit so immer mal wieder mit neuen Augen sehen durften. Und je mehr sie sich Geschichten erzählten, umso mehr erkannten sie sich selbst im Erleben des anderen wieder. Sie erkannten, wie reich das Leben sie doch beschenkt hatte. Und sie erkannten, was noch alles da war und was sie von sich aus noch gar nicht zu sehen in der Lage waren.

So entdeckten sie die Welt um sich herum immer ein Stück mehr und hörten quasi nie damit auf. Sie fanden selbst heraus, wofür sie sich besonders interessierten, worin ihre besondere Begabung bestand. So bekamen sie irgendwann ihren zweiten Namen. Das waren dann so Namen wie Heilmacher, Sorgenversteher, Wortemeister, Knollenfinder, Spaßmacher, Holzschmeichler, Tönefreund, Leichttänzer, Fädchenfreund, Gewandmacher, Hinhöhrer, Tiefseher, Baumann, Steinformer, Singklang und andere.

Die Erfindung der Schuld

Die Menschen hatten wirklich ein gutes Leben damals. Doch mit der Zeit gewöhnten sie sich daran. Sie nahmen immer weniger wahr, wie reich sie doch jeden Tag beschenkt wurden. Es war ihnen nahezu selbstverständlich, dass es ihnen gut ging. So verloren sie allmählich den Respekt vor Mutter Erde und den vielen Tieren und Menschen, die auf ihr lebten. Sie vergaßen, sich für ihr Glück zu bedanken. Sie schauten nicht mehr nur mit Liebe auf die Welt. So dauerte es nicht lange, da verblassten auch die Farben und verklangen die Töne. Die Welt schien sich verändert zu haben. Die Menschen nahmen dies wahr, doch konnten sie es sich nicht erklären. So begannen sie zu vermuten, jemand anders müsse dafür verantwortlich sein. Und sie erfanden ein neues Wort dafür und nannten es Schuld.

Eigentlich gab es bis dahin keine Schuld. Es war wie es war und die Menschen konnten das Leben annehmen als Geschenk und Herausforderung zugleich. Aber als sie nun die Schuld erfunden hatten, änderte sich dies augenblicklich. Fortan war ihre Aufmerksamkeit darauf gerichtet, wer wohl dafür verantwortlich sein könne, wie sie sich gerade fühlten. Und wenn sie einen vermeintlichen Übeltäter ausfindig gemacht hatten, dann gaben sie ihm auch schnell die Schuld dafür. Bis zu jenem Moment mussten sie die Last des Unfriedens freilich selbst tragen. Da war es zunächst unheimlich befreiend, jemand anderem die Schuld geben zu können. Für einen Moment fühlten sich wieder wie früher. Die Schuld war ja nun nicht bei ihnen, glaubten sie. Aber die Schuld war da. Sie hatten sie selbst ins Leben gerufen. Ein schier unaushaltbarer Zustand. Und damit dies auch zu ertragen blieb, wurden sie blind für die eigene Schuld.

Schuld und Scham

Derjenige der die Schuld bekam, schämte sich ihrer, denn er war nun plötzlich nicht mehr wie die anderen, die noch ohne Schuld waren. Er fühlte sich ungerecht behandelt und einsam. Und so sann er nach, wie er die Schuld wohl wieder loswerden könne. Zuerst fiel ihm dazu nichts ein, aber bald begriff er, dass er nur lange genug suchen müsse, um fündig zu werden. Und so verteilte er neue Schuld in der Welt, in der Hoffnung, dass seine eigene Schuld, jene Schuld, die ihn selbst beschämte, kleiner würde. Er beschämte andere Menschen und siehe, für einen kurzen Moment fühlte er sich tatsächlich besser, denn es schien ihm, als flösse damit auch etwas von seiner Schuld ab. Doch war dies nicht wirklich so und so musste er immer wieder neu Schuld verteilen in der Welt.

Je mehr Schuld verteilt wurde, um so finsterer wurde es auf der Erde und in den Herzen der Menschen. Sie konnten sich ihres Lebens nicht mehr recht freuen und wurden liebloser im Umgang miteinander, mit der Welt und auch mit sich selbst. Es wurde mühselig. Die Leichtigkeit entschwand. Nur manchmal noch gelang ihnen ein Blick auf die schönen Seiten ihres Daseins und sie nannten dies dann Glück. Wenn sie solche guten Augenblicke hatten, erinnerten sie sich jener alten Zeiten und begannen, sie zu vermissen.

Die Suche nach dem Glück

Und so machten sich eines Tages mehr und mehr von ihnen auf den Weg, das Glück wiederzufinden. Überall suchten sie danach. Im Erfolg suchten sie ihr Glück, in Wettkampf und Sieg. Ebenso suchten sie es in Besitz und auch in anderen Menschen. Sie suchten es in Familie und Kind, in Hund, Katze und Kaninchen. Auch in leiblichen Genüssen, in gutem Essen und gutem Wein, im Sex, in allerlei Drogen suchten sie und erfanden sogar eigens für diese Suche das Lotteriespiel. Sie suchten und suchten, aber was sie fanden, waren immer nur Projektionen jener alten Zeit und des Wunsches nach Frieden, Liebe und Geborgenheit. Sie konnten diese Momente des Glücks einfach nicht festhalten. Das Paradies schien verloren gegangen und den Grund dafür hatten sie vergessen, denn für sich selbst waren sie ja blind geworden…

Wenn sie es gewusst hätten

Wenn sie doch nur auch eine winzige Ahnung davon gehabt hätten, dass mit der Blindheit für ihre Schuld auch die Blindheit für das Gute und Hoffnungsvolle in ihnen herbei kam, dann hätten sie sicher damit aufgehört. Sie hätten ihr Leben ganz sicher nicht länger damit verbracht, das Glück mit den Augen irgendwo da draußen zu suchen, währenddessen sie mit ihren Händen beständig das Unglück verteilten.

Dann hätten sie sicher damit aufgehört, die Schuld anderen zu geben und hätten dann auch irgendwann wieder in ihr eigenes Herz sehen können. Dann hätten sie ihre Liebe wieder entdeckt und all das Hoffnungsvolle, das in ihnen ist. Sie hätten damit begonnen, wieder nach ihrer ureigenen Kraft und Berufung zu suchen und sich mit Freude, aber nicht ohne Demut und Ehrfurcht, dem Leben zugewandt. Und indem sie all dies getan hätten, wäre es womöglich zu ihnen zurück gekehrt, das Paradies. Aber das wäre dann wohl auch gar nicht mehr so wichtig gewesen….

Quellen zu „Schuld und Scham“

Foto: Benno Blues

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