Botschaft und Sinn der Depression

Die Botschaft der Depression, ohne Not keine Veränderung, Opfer der Umstände

Gibt es einen tieferen Sinn hinter jeder Depression? Gibt es eine Botschaft der Depression? Was soll mir die Depression sagen? Sind es am Ende verborgene und unterdrückte, auf ewig unerfüllte Wünsche und Sehnsüchte, die uns depressiv werden lassen? Oder sind wir mit der Depression einfach nur Opfer der Umstände? Spielt unser Unterbewusstsein uns hier einen Geniestreich, indem es uns solange lahm legt, bis wir uns wieder unserer ureigensten Bedürfnisse erinnern? Ich denke, ohne Not sind Menschen nicht so leicht zu einer Veränderung zu bewegen. Aber am Ende muss sich diese Frage wohl jeder selbst beantworten. Ich bin für mich schon einmal auf die Suche nach einer Antwort gegangen.


Ein scheinbar aufgezwungenes Leben

Auf der Suche nach Sinn und Botschaft der Depression und der Frage nachgehend, was die Depression mir wohl sagen soll, erinnere ich mich, dass ich schon viele Jahre bevor das Wörtchen Depression in mein Leben trat, den Wunsch nach einem anderen Leben hatte. Ich bedauerte es, dass ich die meiste Zeit getrennt von meinen Lieben verbringen musste, immer damit befasst, genügend Geld nach Hause zu schaffen. Und so träumte ich schon lange davon, nur noch halbe Tage arbeiten zu gehen und dann jeden Tag pünktlich zum Mittagessen wieder zu Hause zu sein. Ich malte mir aus, wie schön es sein würde, mehr Zeit mit meiner Frau und meinen Kindern zu haben und auch für mich. Ich stellte es mir vor wie das Paradies. Ja, so hätte ein rundum glückliches Leben für mich aussehen können. Natürlich war das nur ein Traum, denn von einem Halbtagsjob kann man keine sechsköpfige Familie ernähren und das war schließlich meine Aufgabe.

Viel Arbeit

Die Arbeit, der ich damals nachging, gewährleistete dies. Meine Firma zahlte gut und zu tun gab es reichlich, meist viel zu reichlich. Ich war Techniker bei Johnson Controls, einem großen amerikanischen Konzern, der sich hier in Deutschland unter anderem der Gebäudeautomation verschrieben hatte. Die Arbeit machte mir Spaß, aber es war irgendwie immer zu viel zu tun. Als die Kinder noch klein waren, verpasste ich es oft, sie abends ins Bett zu bringen. An diesen Tagen hatte ich gar nichts von ihnen und sie nicht von mir. Ich war dann so in meine Arbeit vertieft, dass ich meist nicht einmal zu Hause anrief und mein Verspäten ankündigte. Ich glaubte immer, gleich fertig zu sein, nur das eine noch und dies noch und das noch und eh ich es realisierte, waren Stunden vergangen. Meine Frau war dann jedesmal sauer – zurecht, wie ich es heute sehe.

Es ging wohl nicht anders

Damals aber fand ich, dass sie nicht genügend Verständnis für mich hatte. Schließlich hatte ich ja den Stress und sie konnte es sich „zu Hause gemütlich machen“. Heute weiß ich, dass es mir an Verständnis mangelte. Heute weiß ich, dass ich mich teilweise sehr egozentrisch verhielt. Aber ich sah auch keine Alternativen. Was sollte ich tun, wenn so viel Arbeit anlag? Einfach Nachhause gehen? „Das ging doch nicht!“ Nun, es wäre gegangen. Ich hatte es so entschieden. Nicht alle meine Kollegen arbeiteten so viel. Aber mir machte meine Arbeit Spaß. Ich bekam anspruchsvolle Aufgaben und das waren die Köder. Mir war klar, dass wenn ich meine Einsatzbereitschaft herunter führe, jemand anderes meine Projekte übertragen bekäme. Und das wollte ich auf keinen Fall. Ich hatte mich für dieses Leben entschieden – des Geldes wegen, der Reputation wegen, der Exklusivität wegen.

Das war mir damals natürlich nicht bewusst, denn damals war ich überzeugt, es ginge nicht anders. Heute aber weiß ich, es geht immer auch anders.

Ohne Not änderst du dein Leben nicht

Was mich davon abhielt, etwas Neues auszuprobieren war oftmals die Angst, etwas zu verlieren. Die Verlustangst bestimmt schon lange mein Leben, leider auch heute noch. Heute allerdings habe ich einen entscheidenden Vorteil: Heute kann ich es sehen. Damals konnte ich das nicht und so praktizierte ich weiter, was mir eigentlich nicht besonders gut tat: Ich arbeitete zuviel. Ich brauchte also offenbar irgendwann die Not, um zu einer Veränderung gelangen zu können.

Gründe dagegen

Es gab also diesen starken Wunsch nach mehr Freizeit, nach mehr Zeit mit meiner Familie und gleichzeitig mangelte es mir aber an Strategien und Selbstvertrauen, dies umzusetzen. So begnügte ich mich schließlich irgendwann damit, mich auf meine Rente zu freuen. Ja vielleicht, wenn die Kinder einmal groß sind, vielleicht reicht es dann, dass ich halbtags arbeiten würde? Aber auch das wäre nichts geworden. Es hätte Gründe gegeben, die dagegen gesprochen hätten und die Angst, etwas zu verlieren, etwas vom damaligen Lebensstandard einzubüßen, hätte mich vermutlich daran gehindert, meinen Wunsch Realität werden zu lassen. Eigentlich war ich immer nur zu Veränderungen bereit, wenn es die Not in meinem Leben auch rechtfertigte.

Not schafft Veränderung

Weil ich es zu Hause nicht mehr aushielt, heiratete ich früh, denn nur mit einem Trauschein hatte man im Osten eine Chance auf die eigene Wohnung. Als ich die Ausreise beantrage, waren es die katastrophalen Wohnbedingungen unter denen wir als junge Familie in der DDR leben mussten, ohne Aussicht auf Besserung. (Aller Wohnraum wurde ausschließlich staatlich vergeben und die wenigen Wohnungen, die es gab reichten kaum für die Leute mit dem richtigen Parteibuch.) Es war also jedesmal eine gewisse Not wirksam, die mich zu einer Veränderung bewegte. Als ich mit 36 Jahren mich noch einmal auf die Schulbank setzte und über vier Jahre im Fernstudium meinen Technikerabschluss machte, waren es nicht hauptsächlich Neugier, Wissbegier oder Karrierewillen, die mich zu diesem Schritt bewogen, auch hier war es die pure Angst. Ich sah meinen Arbeitsplatz in Gefahr, weil sich die Firmenpolitik lautlos dahingehend geändert hatte, dass man nach mir nur noch Staatlich geprüfte Techniker einstellte.

Die Not hat einiges an Veränderung bewegt in meinem Leben. Schade, dass es nicht die Kreativität war. Andererseits habe ich einmal gelesen, dass Menschen die Not brauchen, um kreativ zu sein. Auch brauchen sie anscheinend eine Not, um zu Veränderungen in der Lage, für die es erforderlich ist, die eigene Komforzone zu verlassen. Nebenbei bemerkt, weiß das der Volksmund schon lange, denn jeder kennt die Redewendung: „Not macht erfinderisch.“

Depression und Opfer der Umstände

Ich fand also immer Argumente, gegen meinen Herzenswunsch (mehr Zeit für die Familie) zu leben und so tat ich es auch. Offenbar brauchte ich deshalb irgendwann die Botschaft der Depression. Ich tat dies nämlich so lange, bis ich es irgendwann nicht mehr konnte. Natürlich war ich zu Beginn noch nicht bereit dazu, zu hören was die Depression mir sagen wollte und kämpfte dagegen an. Aber es kam wie es kommen musste. Mit 46 Jahren wurde ich ausgeknockt. Ich brach zusammen, unfähig zu arbeiten, unfähig meine Familie zu versorgen, unfähig zu lieben, unfähig zu leben. Auch hier waren die üblichen Verdächtigen schnell benannt: mein Elternhaus, meine Haftzeit, meine damalige Ehefrau. Nur ich selbst kam in der Reihe der Verantwortlichen nicht vor. Ich war mit meiner Depression das Opfer dieser Umstände. Und so sah ich auch wirklich aus, wie ein Opfer der Umstände. Das Gute an der Sache war: Das war dann auch das Ende der Ära „Das tut man nicht!“ und „Das kann man doch nicht machen!“ Es war das Ende der Ära „Es geht leider nicht!“ – „Ich kann nichts dafür!“.

War die Depression nötig?

Aber jetzt auf einmal ging alles. Nun auf einmal war Zeit da, viel Zeit. Jetzt auf einmal gab es Zeit auch für mich. Kam die Depression, weil ich selbst nicht imstande war, gut für mich zu sorgen? Waren das der Sinn und die Botschaft der Depression? Musste die Depression mit so rabiaten Mitteln mir deutlich machen, dass es immer auch einen anderen Weg gibt, für den ich mich entscheiden könnte? War die Depression nötig, zu erkennen, dass ich selbst und zwar nur ich selbst für mein Leben und dessen Ausgestaltung an jedem Tag zu jeder Stunde und in jedem Augenblick verantwortlich bin? Ich denke ja. Ich denke, das waren der Sinn und die Botschaft der Depression, es war das was sie mir sagen wollte. Vermutlich würde ich heute noch so herum krebsen, hätte sicherlich diverse Zipperlein aufgehäuft, die mir das Leben noch zusätzlich „erschweren“ würden und wäre weiterhin mit meiner Depression Opfer der Umstände und Opfer meiner Zeit.

Ich bin gesund obwohl ich krank bin

Damals war ich jedes Jahr zweimal mehrere Wochen wegen einer Erkältung krank, nicht selten auch wegen einer Grippe. Ich fühlte mich schlecht und lag darnieder. Für Veranlagung hielt ich das Ganze und glaubte, es eben von meinem Vater geerbt zu haben. An Sinn und Botschaft einer möglichen Depression hätte ich zuletzt gedacht. Heute weiß ich, dass sich mein Körper und meine Seele auf diese Weise alle halbe Jahre eine Pause verschafften, in der nur Zeit für mich war. Seit bereit was, hinzuhören, was die Depression mir sagen wollte, schaffte ich über die Depression irgendwie den Ausstieg aus dem Hamsterrad der modernen Zivilisation. Ich konnte mich regenierien. Alles ist wie weggeblasen. Natürlich habe ich auch Wehwechen, aber ich bekomme weder Fieber noch eine Grippe, noch zwingt mich eine Erkältung ins Bett. Toi toi toi! Ich habe auch keine Rückenbeschwerden und keine Bandscheibenvorfälle mehr. Es geht mir gut. Ich führe heute das Leben, von dem ich immer geträumt habe.

Einer hat immer Schuld

Die Tragik an der Sache ist allerdings, dass ich heute ohne Familie leben muss. Jetzt hätte ich die Zeit, aber die Kinder sind groß und haben ihr eigenes Leben. Von der Mutter meiner Kinder bin ich längst geschieden und meine jetzige Frau? Das ist mal ein eigenes Thema. Vermutlich liegt jedoch auch darin ein tieferer Sinn. Mein Leben lang habe ich mich auf andere Menschen konzentriert. Ich habe quasi nie allein gelebt. Es ist so einfach, zwar auch menschlich, deshalb nicht weniger abwegig, die Schuld auf den Partner abzuwälzen. Die Frau kritisiert immer nur und fordert laufend, die Kinder nerven, der Chef ist ungerecht, der Nachbar spinnt, die Eltern mischen sich andauernd ein, die Schwiegereltern wissen alles besser…

Es ist mein Ding

Wenn ich mich schlecht fühlte, war schnell auch immer ein Grund dafür gefunden, natürlich stets außerhalb meiner Person. Nun ist niemand mehr da, dem ich die Verantwortung für meine Gefühle zuschustern kann. Nun ist klar: Es ist mein Ding. Und das ist gut so. Nur so kann ich mich entwickeln. Nur so kann ich meinen Weg weiter gehen und heraus finden, was ich wirklich will, was mir gut tut, was nicht und wer ich bin.

Ich habe Depressionen und das ist auch gut so

Und brauche ich die Depression nun eigentlich noch? Der Theorie nach habe ich doch alles erreicht, was ich wollte. Da kann sich die Depression doch auch wieder vom Acker machen, oder? Na klar brauche ich die Depression! So pervers sich dies anhört, und obschon ich Sinn und Botschaft der Depression verstanden zu haben glaube, ohne die Depression könnte ich dieses Leben nicht führen! Ich verlöre meine Rente ganz schnell wieder und müsste arbeiten gehen. Auskömmliche Halbtagsjobs gibt es aber so gut wie nicht, dann eben ganztags, vermutlich auch wieder mit viel Überstunden. Nun, es würde wohl nicht lange dauern und ich hätte meinen nächsten Zusammenbruch. Beim zweiten Mal geht alles viel schneller, heißt es. Also erspare ich mir diesen Umweg und behalte es für mich, wenn ich glaube, eigentlich wieder gesund zu sein. Ich brauche die Depression, damit ich ohne Depressionen leben kann. In gewisser Weise bin ich also doch Opfer der Umstände, nur geht es mir jetzt, da ich die Botschaft der Depression verstanden habe, erheblich besser.

Quellen zu „Opfer der Umstände – Ohne Not keine Veränderung – Sinn und Botschaft der Depression – was will sie mir sagen?“
Foto: pixabay.com

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Überarbeitet: 27.01.2025