Selbsthilfegruppe Vorbehalte und Ängste – Mein erstes Mal

Selbsthilfegruppe Vorbehalte und Depression

Selbsthilfegruppe Vorbehalte und Ängste – Nicht Wenige sind betroffen

Die Selbsthilfegruppe. Allerorts wird dazu geraten. Helfen soll so etwas, heißt es. Dennoch scheint unter Depressiven der Anteil derer, die den Weg in solch eine Gruppe finden, eher gering. Es gibt beim Thema Selbsthilfegruppe Vorbehalte und Ängste, zu viele Ängste. „Was ist, wenn jemand davon erfährt? Mir hat doch bislang kaum etwas geholfen, was soll da so eine Gruppe bringen?“ Für viele Betroffene ist es nach Jahren des Rückzugs aber auch eine Gelegenheit, erste Schritte hinaus in die Welt zu machen. Für Maya war es nicht leicht, diesen Schritt zu tun. Obschon sie es wagen wollte, gab es beim Thema Selbsthilfegruppe Vorbehalte. Vielen Dank, Maya, für deinen berührenden Leserbeitrag!


Selbsthilfegruppe Vorbehalte

Ich hatte mir schon vor Monaten Adressen zu Selbsthilfegruppen aus dem Internet gesucht und auf eine Anfrage so eine einladende persönliche Antwort bekommen, dass ich wirklich hingehen wollte.

Meine Überwindung dahin reifte, wie gesagt, Monate. Vorgestern stellte ich mich dem Augen-zu-und-durch-Prinzip. Ich kneife dabei wirklich immer wieder die Augen zu. Während ich versuche, mir die Haare hochzustecken, und sie nicht halten, wie ich es notwendig finde, und ich bereits mit Wut und Tränen in den Augen die Haare und das Vorhaben wieder fallen lassen will. Ich wische mir die Tränen weg, kneife und gucke weg, während ich auf mich einrede, katalogweise. Nimm dich nicht so wichtig! Dein Perfektionismus interessiert niemanden. Du bist nun mal so alt geworden, akzeptiere das endlich und gesund bist du auch nicht, akzeptiere das auch endlich, deshalb wolltest du jetzt auch losgehen und deine Luxusprobleme spazieren führen.

Um dich herum sterben die Menschen, flüchten, tun alles um zu überleben, egal wie, nur dir geht es zu gut, deshalb willst du dauernd sterben.

Ich hatte die Haustür noch nicht verlassen, da war ich schon klatschnass vor Angst. Und das ja nun leider nicht im sprichwörtlichen Sinne, sondern wirklich. Zudem wurde es bereits finster draußen, so gar nicht meine Art, abends meinen Turm zu verlassen und der Weg dorthin zu dieser Adresse war mir völlig unbekannt.

Ich folge meinem Weg den nassen Straßen entlang, deren Pfützen die Lichter der Stadt spiegeln und mich in Erinnerung versetzen. Der Strom der Menschen will nachhause, schleppt Einkaufstüten, schiebt Kinderwagen, tippt auf Handys. Ich versuche mir diese Realität hervor zu rufen, denn immer wieder blitzen die Bilder meiner Jugend auf, das gleiche Gefühl, der gleiche Geruch, das Glitzern im Regen, die Motorengeräusche und ich mittendrin, nicht wissend wohin, vollkommen verzweifelt, randvoll mit Angst. Das ist lange her und jetzt weißt du wohin, du hast einen Wohnungsschlüssel in der Tasche, mit dem du jederzeit zurück in dein Nest kannst und im Übrigen ist das jetzt einer der wertvollen therapeutischen Momente, nutze ihn! Das denke ich mir so. Aber mein negativer Bewertungsapparat ist schneller, ich spüre wie mir der Angstschweiß den Rücken runter rieselt. Ich bin so enttäuscht von mir.

Den Blicken der Menschen, die mich in der Straßenbahn interessierter betrachten, als flüchtig, weiche ich aus, aber innerlich antworte ich ihnen, wüsste zu gern, was sie interpretieren.

Ja, du siehst es sicherlich nicht, aber mir geht’s beschissen, ich war nicht fleißig arbeiten wie du und ich schäme mich. Irgendwie hilft mir mein innerlicher So-tun-als-ob-Philosoph zum Gebäude des Instituts, – sehe ich aus wie eine Betroffene? Ich könnte auch Psychologin sein. Oder Journalistin.

Ein schönes historisches Haus mit modernen Elementen, hohe Eisentüren neben gemütlich beleuchteten Altbaufenstern, ein Cafe dahinter, mit nicht weniger Stil als ein Starbucks, ich staune, bekomme Panik und will umdrehen. Aber ich öffne bereits eine Seitentür. Bleib bloß in Bewegung, damit du nicht suchend aussiehst! Wehe es spricht dich jemand an, ob er dir helfen kann, dann bist du verloren und brichst in Tränen aus! Ohne den geringsten Durchblick läuft es mich die Treppen rauf, meine Augen suchen wild auf eigene Faust nach Schildern und Hinweisen.

Bis ich mir selbst eine Art Sackgasse verordne, vor einer offenen Tür ende, aus der mich eine kontaktfreudige Frau auch noch anlächelt: „Kann ich Ihnen helfen?“ „Ja, wo finde ich denn die Depressionsgruppe?“, sage ich mutig und schneller, als ich denken kann und bekomme auch die Antwort subito und so unkompliziert, als sei meine Frage die normalste der Welt. Ist sie wohl auch. In dieser Welt. Hinter diesen Mauern. Oder ich bin doch die Psychologin und nicht die Betroffene. Wenige Schritte weiter wiederholen sich Tür und Frage und ich sage oberwitzig: „Bin ich hier richtig bei den Depressiven?“ und ernte ein paar einladende Lacher. „Hier ist ein Stuhl frei…“.

Es mutet wie in einer Teeküche eines Betriebes an, Getratsche und Gegacker, man kennt sich hier – aha eine Neue – es werden Becher und Tassen auf den großen runden Tisch gestellt, über dem eine wirklich große Uhr hängt. Ich beäuge die etwa neun Frauen, die schon Platz genommen haben und rätsele, welche die leitende Therapeutin sein könnte. Das süße schwarz gekleidete Mädchen mit dem Ring im Nasenflügel ähnelt meiner Schwester als sie jung war. Naja, im Prinzip auch mir und ich schiebe sie optisch auf die Borderlinestation.

Neben mir auch eine schwarze Schönheit mit sehr langen Haaren und fantasievollen Tattoos, aber vielleicht schon um die dreißig. Mir gegenüber zwei Frauen, die mir auf Anhieb sympathisch sind. Tatsächlich könnte eine von ihnen eine junge Ärztin sein. Ich hoffe, mir sieht niemand meine Schweißausbrüche an. Aber selbst wenn, denke ich, aus irgendeinem Grund entspanne ich mich langsam etwas und bin trotzdem gespannt auf die Runde.

Eine der Frauen hat teure hohe Stiefel an, fast Guccidress, durchdachtes Make Up, mit einem Büchlein in der Hand lacht sie hin und wieder und macht einen aufgeweckten, stilvollen Eindruck. Ich entscheide mich für sie.

Kurz vor 18.00 Uhr schiebt sich die Älteste mit einem Rollator durch Jacken und Taschengemenge zur Heizung, um sich zu trocknen. Als ich fast ein wenig entsetzt beobachte, wie sie sich umständlich breit macht, treffen sich unsere Blicke. Sie lächelt umwerfend charmant. Würden ihr nicht zwei Zähne fehlen, die weißen Haare wie letzte Federn dastehen, würde ich ihr jetzt schnell mein Make Up zu einem Shooting verpassen können, sie könnte wie eine Meryl Streep aussehen. Ich muss durchatmen. Was für Extreme! In mir und da draußen.

Dann schließt sich die Tür und die zwei schwarzen jungen Mädels ergreifen das Wort…

Quellen zu „Selbsthilfegruppe Vorbehalte und Ängste – Mein erstes Mal – Maya erzählt“

Foto: Foto: ©BAREL

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