Jochen – Bilanz eines Lebens – Erfahrungsbericht

Immer wieder geschieht es. Es trifft Männer wie Frauen, Arme und Reiche, Junge und Alte. Die Depression bringt dich an deine Grenzen. Das sind Sätze, die wir kennen. Aber ist es auch wirklich so? Bringt die Depression uns an unsere Grenzen oder haben wir uns selbst an diese Grenze gebracht und die Depression ist das Ergebnis? Bei anderen kann man das zumeist leichter sehen als bei sich selbst. Heute gewährt uns Jochen einen Einblick in sein Leben. Auch Jochen hat vermutlich Depressionen und fragt sich, wie lange er das alles noch aushalten muss… Danke, Jochen für deinen Beitrag!


Beitrag von Jochen

Hallo alle zusammen,

ich nenne mich hier mal Jochen, damit man meinen realen Namen nicht über Google findet. Ich bin 53 Jahre alt und bin seit Januar 2016 arbeitslos und AU.

Ob ich depressiv bin, weiß ich nicht, aber irgendwie vermute ich es doch.

Ich habe zahlreiche Test aus dem Internet gemacht und alle sagen mir als Ergebnis, ich solle einen Psychologen aufsuchen.

Immer wenn ich Bennos Bericht hier lese, stärkt mir das den Rücken und gibt mir Mut, aber nach kurzer Zeit fange ich wieder an zu grübeln, wie ich eigentlich immer nur grüble.

Ich lese es und sage mir, „ja, so in etwa ist es bei mir und genauso werde ich es angehen“!.

Haben Depressive Kraft?

Dann denke ich später, „wie kann ich depressiv sein und so entschlossen auftreten?. „Das wird mir keiner glauben und man wird mich als Simulant abstempeln!“. „Depressive Menschen haben doch gar     keine Kraft“, denke ich mir immer.

Meine Depression, ich nenne sie jetzt einfach mal so, weist sehr viele von Bennos aufgezählten körperlichen Symptome auf. Auch sehr viele der seelischen Symptome sind bei mir wiederzufinden, nur eines ist bei mir völlig anders. Ich fühle mich sehr schnell angegriffen und/ oder bin sehr gereizt. Ich meckere sehr viel und keiner kann es mir mehr recht machen. Alles, was nicht so ist, wie ich es gemacht hätte, macht mich rasend. Ich weiß auch, dass ich dann sehr unfair werde.

Das war nicht immer so, ich war sozial immer sehr angenehm. Erst seit ungefähr 1 Jahr habe ich mich dahin entwickelt. Ich stand immer auf dem Standpunkt, fordere nichts, was du nicht selbst leisten kannst. Ich hatte immer Verständnis für alles, aber nun ist mein Verständnis arg geschrumpft.

Alles, was ich persönlich nicht mehr will, mache ich auch nicht mehr. Notfalls lasse ich mir Ausreden einfallen, oder trete die Flucht an. Das Ziel der Flucht ist dann meistens das Alleinsein und das Bett, obwohl ich dann erst Recht nicht schlafen kann.

Sollte eine Flucht nicht möglich sein, bekomme ich Panikattacken, bei denen es mir richtig schlecht geht (Durchfall, Erbrechen, Schwindel, Schweißausbrüche).

Mein bisheriges Leben und wie ich wurde, was ich bin:

Ich bin 1963 geboren und meine Geschwister und ich wurden sehr schnell zur Selbstständigkeit erzogen. Meine Eltern haben den 2. Weltkrieg miterlebt und sind wohl dadurch verhärtet und abgestumpft, was Gefühle angeht. Die Liebe, wie man sie heute kennt, wurde uns nie richtig gezeigt, sie wurde aber auch nicht vermisst. Es war halt so. Nachdem mein Vater, als ich 12 Jahre alt war, gestorben ist, empfand ich keine Trauer und habe auch nicht geweint. Doch als ich dann meine sehr schlechte Schulzeit hinter mir gebracht hatte und ich meine Lehre anfing, dachte ich oft an meinen Vater. „Wäre er jetzt endlich stolz auf mich, nachdem ich in der Schule versagt habe“? Diese Gedanken begleiten mich bis heute, bzw. bis zu dem Zeitpunkt, als ich gesundheitsbedingt arbeitslos wurde.

Bis dahin arbeitete ich immer unter Schwerlast. Ich bekam die Diagnose LWS-Morbus-Scheuermann etc. Diese Diagnose führte dazu, dass ich 4 Jahre arbeitslos war, dann aber einen Neustart wagte. Diesen Neustart leistete ich unter Einnahme von Schmerzmittel, deren Einnahme für mich immer wichtiger wurde. Ich lernte Schmerzen zu ignorieren, oder zu überspielen. Wenn ich Urlaub hatte, ruhte ich mich nur noch aus und war zu nichts anderem zu gebrauchen. Es kam auch vor, dass ich mich in der Arbeitsphase krankschreiben lassen musste, weil es nicht mehr ging. Meine Medikation ist kontinuierlich gestiegen, bis hin zu 3x tägl. Ibuprofen 800 + 3x tägl. 40 Tropfen Novalgin + 2x täglich Tramadol. Meine Hausärztin warnte zwar immer vor Nierenschäden, aber diese habe ich Gott sei Dank nicht bekommen.

Jetzt wo ich wieder arbeitslos geworden bin, kann ich die Medikation wieder zurückschrauben.

Immer wieder Schmerzen

Jetzt, wo ich weniger Medikamente nehme, merke ich da und dort neue hinzukommende Schmerzen. Ich gehe jetzt wegen allem zum Arzt und lasse es untersuchen. Durch die ständige Einnahme der Schmerzmittel, habe ich vieles gar nicht wahrgenommen und/oder beiseite geschoben. Nun wurde zu meinem LWS noch HWS diagnostiziert und ich vermute BWS kommt noch dazu.

Wenn ich länger als 30 Minuten sitze, schmerzt mir so der Steiß, dass ich kaum noch hochkomme und dann gehe, als hätte ich in die Hose gemacht.

Ich habe zudem noch eine Rippenbogenfraktur, die Schultern schmerzen, teilweise die Ellenbogen und meine rechte Hüfte.

Bei kurzen Strecken von etwa 100 Metern, schmerzen mir die Schienbeine so sehr, dass ich nicht mehr weiterlaufen kann. Sogar im Stand sind dann die Schmerzen arg. Um überhaupt noch weiter zu kommen, laufe ich dann wie ein Behinderter. Das ist auch einer der Gründe, dass ich nicht mehr das Haus verlasse. Bei Schmerzen fange ich auch wahnsinnig an zu schwitzen, was mir sehr unangenehm ist. Die Rippenfraktur müsste operativ stabilisiert werden, aber ich habe panische Angst vor Ärzten bzw. Eingriffen.

Am Rücken habe ich seit Jahren ein Lymphom, welches auch entfernt werden müsste, aber je mehr Wehwehchen ich habe, umso mehr Panikattacken bekomme ich. Selbst wenn ich nur daran denke.

Ich weiß, dass ist kindisch, aber ich bin nicht mehr in der Lage, meine Gefühle zu kontrollieren.

Die ganze Situation, in der ich mich befinde, macht mich kaputt und verändert mich ungewollt.

Hatte Vater Recht?

Was wird sein, wenn ich zukünftig nicht mehr funktioniere?  Hat mein Vater damals doch Recht gehabt, als er sagte, „ich tauge nichts“ ? Was denken die Mitmenschen von mir? Macht meine Frau das auf Dauer mit? Kommt jetzt der soziale Abstieg? Kann ich den Forderungen des Alltags noch gerecht werden?

Ich will nicht mehr so leben und denke oft an den Tod, wäre ich doch nie geboren.

Meine 87 Jährige Mutter, die ich alle 14 Tage besuchen fahre, um mich ein wenig um sie zu kümmern, was wird sie über mich denken? Sie ist pflegebedürftig und ich habe sie damals, wegen meiner Arbeitslosen-Hoffnungslosigkeit verlassen und bin 500 Kilometer weit weggezogen, was mich jetzt sehr beschäftigt.

Meine 3 Geschwister wollen keinen Kontakt mehr zu mir, aber auch sie selbst haben sich alle zerstritten.

Viele Fragen und immer wieder Schmerzen

Ich will mich nicht an der Wirbelsäule operieren lassen, weil es keine Garantie gibt, dass diese eine Verbesserung herbeiführt und außerdem ist mir das Risiko zu hoch. Muss ich mich operieren lassen? Kann die Krankenkasse, oder Rentenkasse, bei einer Operationsverweigerung die Zahlung einstellen, oder die EM-Rente ablehnen?

Ich könnte vielleicht noch geringe berufliche Tätigkeiten ausüben, aber nur unter Einnahme von den ganzen Medikamenten, die ich aber nicht mehr so in den Mengen nehmen möchte. Kann man mich so einstufen, dass ich arbeiten muss, eben unter Einnahme der ganzen Schmerzmittel?

Fragen über Fragen, so viele und unbeantwortete, dass ich immer weiter verstumme. Das kann ich am besten, Schnauze halten, Zähne zusammen beißen und durch, das habe ich im Leben gelernt.

Irgendwann kommt dann wieder so eine Hassattacke.

Wie können die behaupten, ich kann geringfügige Tätigkeiten ausüben?

Ich habe Schmerzen und ja, ich will ja weiter zu der Gesellschaft gehören, aber nicht um jeden Preis.

Ihr könnt mich alle mal…Leistet erst einmal das, was ich bisher geleistet habe.

Das Arbeitsamt will mich loswerden und schickt mich zur Krankenkasse. Die wollen mich loswerden und schicken mich zur Rentenkasse. Diese wiederum lehnen die Rente wohl möglich ab. Na toll.

Warum muss ich den Weg über Hartz IV nehmen, um letztendlich irgendwann mit 67 die Rente zu bekommen und bis dahin aber keine Arbeit mehr bekomme? Mein körperliche Zustand wird sich nicht verbessern und ich gelte als unvermittelbar.

Hassattacke zu Ende.

Danach geht es mir aber auch nicht besser!

Liebe Grüße,

Jochen

Quellen zu „Jochen – Bilanz eines Lebens“

Hinweis: Die Überschriften wurden vom Sdministrator hinzugefügt

Foto: pixabay.com 

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