Rechtfertigung und Selbstbewusstsein

Rechtfertigung versus SelbstbewusstseinSelbstsichere Menschen tun es sicher selten. Menschen, die in Frieden mit sich leben, tun es wohl auch nicht. Menschen, die sich selbst Fehler erlauben können, tun es ebenfalls nicht sonderlich oft. Dennoch ist die Welt voll davon, jeden Tag jede Stunde und an fast jedem Ort. Es geht um das leidliche Thema Rechtfertigung. Warum in aller Welt müssen wir Menschen uns immer wieder rechtfertigen für etwas das wir tun oder unterlassen? Ist es ein Zeichen von Unsicherheit oder ist es tatsächlich zu etwas gut?


Rechtfertigung gibt es überall

Die Rechtfertigung ist ein fester Bestandteil des menschlichen Miteinander. Da rechtfertigen sich Kinder vor ihren Eltern, aber auch Eltern vor ihren Kindern. Es rechtfertigen sich Kollegen auf der Arbeit ebenso voreinander wie vor ihren Vorgesetzten. Manchmal rechtfertigen sich auch Vorgesetzte, aber meist nur wieder vor ihren Vorgesetzten, denn Rechtfertigung wird ihnen als Schwäche ausgelegt, glauben sie. Ehepartner rechtfertigen sich ebenso voreinander wie Politiker und Promis es vor der Öffentlichkeit tun. Die Rechtfertigung scheint allgegenwärtig, aber ist sie auch allgegenwärtig gut für den Menschen? Zunächst einmal gehe ich davon aus, dass sie zu etwas gut sein muss, sonst gäbe es die Rechtfertigung wohl nicht, vor allem wäre sie wohl nicht so weit verbreitet, oder? Doch wie kommt es dazu, dass wir glauben, uns alle Nase lang rechtfertigen müssen?

Grund zur Rechtfertigung

Der Begriff Rechtfertigung entstammt dem Christentum. So fragt die kirchliche Rechtfertigungslehre danach, was geschehen muss, damit das Verhältnis zwischen Mensch und Gott, das durch Sünden belastet worden ist, wieder in Ordnung kommen kann. (Quelle: Wikipedia) Es ist also eher eine Frage nach der Tat als nach dem Wort. Hier ist gemeint, sein Verhalten zu ändern. Hier ist gemeint, abzulassen von ungünstigen Denk- und Handlungsmustern und durch wohlgefälligeres Verhalten das getrübte Verhältnis aufzubessern. Heute hingegen hat das Wort Rechtfertigung eine ganz andere Bedeutung. Es geht nunmehr eher in die Richtung, sich selbst zu behaupten. Um Handlungen geht es zwar meist auch noch, aber es geht kaum mehr darum, diese zu verändern, sondern eher darum, sie zu untermauern. Wenn wir über Rechtfertigung reden, reden wir deshalb zumeist über Gründe. Wir wollen dann andere Menschen überzeugen, dass unser Verhalten richtig war. „Was rechtfertigt solch ein Verhalten?“, ist eine beliebte Frage in diesem Zusammenhang.

Die Suche nach Bestätigung

Rechtfertigung – wenngleich in der Anwendung des Wortes nicht mehr viel an seine Herkunft erinnert, so bleibt es in der Sache doch dem eigentlichen Anliegen treu. Nur die Konsequenz hat sich irgendwie ins Gegenteil gekehrt. War gemäß der alten Bedeutung von Rechtfertigung der sich rechtfertigende Mensch bemüht, sein fragwürdiges Verhalten wieder gut zu machen, glaubt er heute, dass eine entsprechende Erklärung gleiches verrichten würde. Und so erklärt er sich und erklärt, begründet und hinterleuchtet seine Motive aufwändig und das alles, um nur eines zu erreichen: Dass jemand das, was er tut oder tat, gut findet oder zumindest in Ordnung, auf jeden Fall nicht schlecht. Worum geht es hier also eigentlich? Es geht um Bestätigung.

Es geht vermutlich um Selbstbehauptung

Während der christliche Mensch um die Bestätigung durch Gott nicht betteln musste, weil er sich immer geliebt fühlen durfte, ja gleichsam von ihm erschaffen wurde, fehlt uns heute oftmals diese tiefe Geborgenheit. Nicht dass wir sie nicht bräuchten, die Bestätigung. Wir suchen ja bewusst oder unbewusst ständig danach, wenn wir sie jedoch in uns selbst nicht finden, finden wir sie nur schwerlich irgendwo anders. Während man also früher versuchte nach einer fragwürdigen Handlung oder Aussage und dadurch entstandener Schieflage in einer Beziehung (hier in der Beziehung zu Gott), etwas ins Gleichgewicht zu bringen, etwas zu richten, recht zu machen oder eben zu rechtfertigen, geht es heute eher darum, darzulegen weshalb man gerade dies nicht tun wolle oder müsse. Es geht nicht mehr um Wiedergutmachung und auch nicht darum, einen Schritt auf den Anderen zu zu gehen. Es geht, denke ich, einzig um einen zumeist eher hilflos anmutenden Versuch der Selbstbehauptung.

Rechtfertigung ist anstrengend

Was habe ich mich in meinem Leben schon alles rechtfertigen müssen! Am meisten habe ich mich, so kommt es mir vor, jeweils vor meiner Ehefrau gerechtfertigt. Ich rechtfertigte mich insbesondere immer dann, wenn ich scheinbar in Ungnade fiel, mich angegriffen fühlte, also Vorwürfen ausgesetzt sah oder ich mich anders verhielt, als von mir erwartet wurde. Ich rechtfertigte mich, was das Zeug hielt. Der Einzige der am Ende „recht fertig“ war, war ich jedoch selbst, denn sich zu rechtfertigen kostet Kraft, besonders dann, wenn alle Bemühungen ins Leere zu laufen scheinen. Sogar Art und Inhalt dieses Blogs waren schon Anlass für mich, mich rechtfertigen zu müssen. Aber musste ich auch wirklich?

Müssen wir uns rechtfertigen?

Sag mal, müssen wir uns denn rechtfertigen für unsere Gedanken und Gefühle, ja letztlich für uns selbst? Müssen wir uns rechtfertigen oder glauben wir, uns rechtfertigen zu müssen? Ganz ehrlich: So oft ich mich auch rechtfertigte in meinem Leben, hat es nie, aber auch nicht ein einziges Mal, das bewirkt, was es aus meiner Sicht hätte tun sollen. Entweder kam die Rechtfertigung nicht auf der anderen Seite an oder sie kam an und alles wurde nur noch schlimmer.

Auf den Anderen zugehen

Das alles wundert mich nun aber auch nicht mehr, habe ich doch vergessen, was eine Rechtfertigung eigentlich bedeutet. Eine Rechtfertigung bedeutet eben nicht, große Reden zu schwingen. Eine Rechtfertigung bedeutet auch nicht zum Gegenschlag auszuholen, frei nach dem Motto: „Was du darfst, darf ich schon lange! Du hast doch selbst…“. Eine Rechtfertigung im eigentlichen Sinne bedeutet, auf den anderen Menschen zuzugehen, zu versuchen ihn zu verstehen, Mitgefühl zu haben. Es bedeutet, einzusehen, dass etwa nicht gut war und es in Zukunft besser zu machen, eben recht zu machen.

Die wichtigste Rechtfertigung

Eigentlich sollte es nur eine Rechtfertigung geben, denke ich – die Rechtfertigung vor dir selbst. Wenn du das was du tust oder auch unterlässt vor dir selbst rechtfertigen kannst, dann ist es auch vor anderen Menschen gerechtfertigt. Ich glaube, manchmal leben wir doch zu oberflächlich, im Alltag eben, und gehen zu leichtfertig mit anderen Menschen und auch mit uns selbst um. Manchmal machen wir uns nicht mehr die Mühe, unser Verhalten zu hinterfragen und schaffen so das eine oder andere Mal Anlass zu einer Rechtfertigung. Wenn wir aber mit uns selbst im Reinen leben, ausgeglichen sind, auf dem rechten Weg sind, Frieden mit uns haben, dann benötigen wir die Rechtfertigung nicht, nicht im alten und auch nicht im neueren Sinne.

Unberechtigte Angst

Wir brauchen nicht den Verlust der Nähe zu Gott befürchten, denn Gott wohnt im Herzen eines jeden Menschen. Auch müssen wir uns nicht um Bestätigung sorgen, weil wir diese Bestätigung aus uns selbst schöpfen können. Wir wissen dann, das es gut ist. Und wir wissen, dass es recht ist. Wir müssen nichts rechtfertigen.

Die Verbindung zum Herzen

Bestätigung ist für viele Menschen zu einer Droge geworden, insbesondere auch für mich. Sie ist zu einer Droge geworden, von der ich überhaupt nicht genug bekommen kann und deshalb auch nicht genug bekommen werde. Bestätigung ist eigentlich etwas für unsichere Menschen, für Menschen die glauben, sie machten zu viele Fehler. Eigentlich glaube ich das nicht von mir. Eigentlich fühle ich mich zumeist sicher in meinen Entscheidungen und auch wohl damit. Nicht in allen Dingen – das ist klar, aber den meisten. Eigentlich sollte ich ein sicherer Mensch sein und nach außen hin wirke ich meist auch so: sicher, ruhig, ausgeglichen. Woher also kommt dieser unbändige Hunger nach Bestätigung? Nun, ich denke, Bestätigung ist etwas, das der kleine Benno nicht genug bekam.

Unsicherheit

Ein unsicherer Mensch bin ich nicht gerade, aber es ist ein Teil meiner selbst. Es ist das Kind in mir, das sich hier meldet. Ein Kind, dessen Bedürfnisse nach Annahme und Geborgenheit, Bestätigung und Anerkennung bis heute nicht erfüllt wurden. Darum diese Ambivalenz. Ich bin mir sicher, aber auch nicht. Wenigstens in dieser Erkenntnis bin ich mir sicher. Wenn mir jedoch klar wird, dass ich mich vor niemandem als mir selbst zu rechtfertigen habe, dann kann ich in Zukunft eine Menge Energie durchaus konstruktiver einsetzen. Wie wäre es denn, wenn ich zur alten Bedeutung des Wortes Rechtfertigung zurückkehrte und mich in Zukunft so verhielte, wie es meinem Herzen gefällt, dem Ort wo Gott wohnt? Wenn ich die Verbindung zu meinem Herzen suche und halte und pflege, dann bin ich ganz bei mir, dann ist die Welt in Ordnung. Dann bin ich sicher. Dann ist, so scheint mir, alles recht fertig…

Quellen zu Selbstwertgefühl und Depression
Foto: clipdealer.de
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