Nicht gut genug – inneren Frieden finden
Wie oft fühlte ich mich schon zerrissen in meinem Leben, glaubte den Anforderungen und der Welt nicht mehr gewachsen zu sein? So oft stellte ich mir die Frage, warum denn alles so war wie es war? Wie oft fühlte ich mich schon hoffnungslos überfordert? Wenn man immer alles richtig machen will, wenn man immer bestrebt ist, sein Bestes zu geben, weil nur das Beste gerade gut genug zu sein scheint, dann gehören solche mentalen wie emotionalen Einbrüche wohl dazu, oder? Wie soll ein Mensch denn Frieden finden, wenn das was er tut, nicht gut genug ist, er aber den Anspruch an sich hat, immer gut genug oder besser zu sein?
Höher Schneller Weiter
„Höher, schneller, weiter!“ ist nicht nur bei Olympia das Motto des Tages, sondern hat längst schon einen festen Platz in unser aller Alltag gefunden. Je besser, umso besser, nicht wahr? „Mein Kind kann schon lesen und geht noch nicht einmal in die Schule!“ Ein wenig später sind es die Schulnoten, die unsere Spezies auf Leistung einschwören. Keine guten Noten – kein brauchbarer Mensch – kein guter Abschluss – keine Ausbildung – keine gute Ausbildung – keine Arbeit – keine Leistung bei der Arbeit – Kündigung! Leistung, Leistung, Leistung! Leistung ist leider nicht nur Arbeit, sondern Arbeit pro Zeit. Möglicherweise macht jemand dieselbe Arbeit sogar besser, braucht aber länger dafür?
Dennoch hat er dann unter Umständen die schlechtere Leistung abgeliefert. Alle Menschen sollen gleich schnell und gleich gut sein. Und schon morgen sollen sie ein wenig besser sein. Denn gut ist nicht gut genug, viel ist nicht ausreichend. Es wird der Tag kommen, da wird man das Wörtchen „genug“ aus dem Duden streichen, denn es hat schon heute in vielen Bereichen keine Bedeutung mehr.
Nicht gut genug – zumindest nicht lange
Wir sind eine hochentwickelte Gesellschaft. Wir verlangen viel vom Einzelnen. Mag sein, das dies für eine hochentwickelte Gesellschaft von Nutzen ist, aber ist „hochentwickelt“ auch noch für das Individuum gut? Es ist allerdings nicht die Gesellschaft, die uns fordert, auch wenn uns dies oft so vorkommt. Das sind wir schon selbst, die diese Forderungen aufstellen oder zulassen, das andere dies tun.
Die Gesellschaft ist nur ein Abbild von uns selbst. Alles was wir da draußen finden, tragen wir in Anteilen auch in uns. Alle die etwas fordern und uns oftmals auch überfordern, tragen unsere Gesichtszüge. Was wir von uns selbst nicht verlangen, wird auch niemand anders schaffen. Die Verantwortung liegt letztlich bei jedem selbst. Natürlich gibt es immer Gründe im Außen. Da ist eine Familie zu ernähren oder ein Kredit abzuzahlen, da gibt es einen Konkurrenten am Arbeitsplatz oder eine Beurteilung steht an, was immer es sein mag, es treibt uns an zu immer noch mehr Leistung.
Mittlerweile denkt und fühlt jede Zelle unseres Körpers so. Wir sind programmiert. Das ist fatal. Leistung an sich ist zwar nicht schlecht, wenn sie zeitlich begrenzt ist. Allein für die Dauerleistung aber sind wir Menschen nicht geschaffen. Depressive erlagen diesem Irrtum in aller Regel. Sie glaubten, sie könnten alles schaffen. Und in der Tat brachten sie Top-Leistungen und sahen auch noch gut aus dabei. Sie waren umgänglich, beliebt, bescheiden, freundlich und immer bereit, wie selbstverständlich fast allen und jedem das Beste zu geben. Und wenn wir unser Bestes geben, dann erwarten wir dies natürlich auch von den Menschen um uns herum. Das kann man doch erwarten, oder? Wenn wir uns hier abschuften, dann sollen die es gefälligst auch tun, nicht wahr? Null Toleranz für Drückeberger und Faulenzer! Die sind einfach nicht gut genug! Null Toleranz für Simulanten und Sozialbetrüger! Null Toleranz für…
Leistung verändert den Menschen
Ich will nicht so weit gehen und sagen, dass es unmenschlich sei, Leistung zu erwarten. Aber es drängt sich mir schon seit längerem der Verdacht auf, dass uns durch den Leistungsgedanken zumindest etwas von unserer Menschlichkeit verloren geht. Die Leistungserwartung lässt uns hart werden – hart im Geben, aber auch hart im Nehmen. Wir erwarten und bekommen wir nicht, was wir erwarten, reagieren wir enttäuscht oder frustriert oder gar zornig. Wir haben ein Anspruchsdenken etabliert. Es ist oftmals nur ein kleiner Schritt hin zur Selbstgerechtigkeit.
Auf Dauer aber macht uns das innerlich arm. Die immerwährende Leistungsbotschaft nimmt uns die Tiefe im Leben und lässt uns eines Tages vielleicht sogar an seinem Sinn zweifeln. Es gibt noch so viele andere Botschaften, die eher geeignet scheinen, uns ein gutes Leben zu bescheren, wie Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit, Dankbarkeit, Annahme, Toleranz, Wohlwollen, Liebe, Verständnis, Geduld, Mitleid, Erbarmen, Vergebung, um beispielhaft nur einige zu nennen, aber oftmals ist der Platz eben schon besetzt. Die Leistung fordert ihren Tribut.
Zurück zu alten Werten
Ich wünsche mir eine andere Gesellschaft. Ich wünsche mir Menschen, die bereit sind Leistung zu erbringen, weil sie dies gern tun, weil es ihnen Freude bereitet. Nicht die Angst sollte Triebfeder sein, sondern ein gesundes Selbstwertgefühl und ein individuelles Leistungsvermögen. Ich wünsche mir eine Gesellschaft in der auch Platz ist für Menschen, die weniger oder gar nicht „leistungsfähig“ sind, denn auch diese Menschen haben etwas zu geben, können unser Leben reicher machen. Ich wünsche mir, dass uns der Wert der alten Währungen, Währungen die es schon lange vor dem Geld gab, wieder mehr ins Bewusstsein gelangt.
Das sind Währungen wie Dankbarkeit, Respekt, Annahme, Bestätigung, Anerkennung, Liebe, Aufmerksamkeit. Denn eigentlich geht es im Leben immer hierum. Die Leistung mit all ihren abgeleiteten Größen ist im Grunde doch nur ein Ersatz. Was wir Menschen uns wirklich wünschen ist nicht Geld. Wir wünschen uns Aufmerksamkeit. Ja, wir wünschen uns wahrgenommen zu werden, wollen beachtet werden. Wir wollen eine Bedeutung haben. Aber wir geben uns zufrieden mit einem Stück Papier oder einer Zahl auf dem Kontoauszug. Ist das alles? Und macht uns das auch wirklich zufrieden?
Innerer Frieden
Solange wir nur einfordern, von uns und auch von anderen, werden wir wohl keinen Frieden finden, können wir nicht gut genug sein. So sehr sich das viele von uns auch wünschen mögen – eine einzige offene Forderung dürfte ausreichen, dieses Vorhaben ad absurdum zu führen. Frieden ist nicht etwas, das uns geschenkt werden kann. Nein, Frieden ist nicht etwas, das wir uns verdienen können und Frieden ist auch nicht etwas, das wir mal eben so finden. Frieden müssen wir schließen. Und wie können wir das tun?
Wir schließen Frieden, indem wir JA sagen, zu dem was ist, mit allen Konsequenzen. Wir schließen Frieden, indem wir aufhören zu fordern, von uns und auch von anderen. Und Frieden schließen wir, indem wir bereit sind, zu vergeben und zu verzeihen. Frieden ist eine Antwort auf die Liebe an das Leben, dich selbst und die Menschen. Inneren Frieden kannst du für kein Geld der Welt und sei die Summe noch so hoch kaufen und doch kann ihn sich jeder leisten, ganz ohne Leistung. Umsonst ist er jedoch nicht zu haben…
Quellen zu „Nicht gut genug“
Foto zu „Nicht gut genug“: pixabay.com