Ich schäme mich meiner Depression

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Wenn man etwas los werden will, muss man sich auch davon lösen können. Und wenn man etwas loswerden will, muss man es von sich geben, man muss es quasi nach außen geben, sich äußern. Aber das ist nicht unbedingt einfach für jemanden, der sagt: „Ich schäme ich meiner Depression.“ Depression und Scham sind oft gepaart. Was ist Scham, wozu dient Scham und was sagt die Psychologie dazu? Die Depression ist nichts, das man für sich behalten sollte, jedenfalls nicht für eine längere Zeit. Zu leicht nistet sie sich sonst auf Dauer ein und macht sich breit in dir und irgend wann hat sie so sehr von dir Besitz ergriffen, dass du den Unterschied zu vorher schon gar nicht mehr kennst. Du denkst dann, du wärst schon immer so gewesen. Aber das ist vermutlich eine Lüge.


Depression ist ein Tabuthema

Die Depression ist zweifelsohne ein Thema, für viele leider aber auch ein Tabuthema. Doch wie steht es mit dir? Ist sie irgendwo auch dein Thema? Das lässt sich vermuten, denn du bist jetzt hier und liest in einem Depressionsblog. Das ist im Grunde genommen schon mal gut. Ein guter Anfang. Aber was ich noch viel wichtiger finde: Äußerst du dich auch über das, was dich beschäftigt? Wenn auch du zu den Menschen gehörst, die von sich sagen:“ Ich schäme mich.“, dann findest du hier in diesem Beitrag vielleicht einige brauchbare Gedanken.

Über die Depression zu reden ist heilsam, egal ob du nun direkt oder indirekt davon betroffen ist. Auch Angehörige und Freunde von Depressiven leiden unter der Depression, zwar mit abgeschwächten Symptomen, aber doch eindrucksvoll ähnlich. Und wenn sie nicht aufpassen, haben sie sich „angesteckt“ und die Depression umhüllt auch ihre Seele. Vieles kann man sich einfach von der Seele reden, bei einem Partner, einem guten Freund, einem vertrauenswürdigen Kollegen, einem Bekannten. Auch Selbsthilfegruppen, Psychologen oder einschlägige Foren eignen sich hierfür. Das Schlimmste was dir passieren kann ist wohl, dass du alles mit dir allein abmachen musst.

Formen des Ausdrucks

Während ich über mich spreche, erfahre ich immer auch eine Menge über mich selbst. Manchen Gedankenganges wäre ich allein im Inneren gar nicht fähig gewesen. Für mich ist das Bloggen hier im Grunde nichts anderes als ein Nachdenken über mich selbst. Nur dass es hier für mich einfacher ist, meine Gedanken zu sortieren. Es ist Öffentlichkeit da. Da fällt es mir leichter, bei der Sache zu bleiben, die Gedanken und Gefühle nicht entwischen zu lassen, sie festzuhalten und auszudrücken. Genau diese Konstellation erleichtert mir offenbar das Denken. Ich sage immer: Beim Bloggen kann ich am besten denken. Ich brauche nur eine Überschrift, ein Thema, das mich bewegt und schon geht es los. Es fließt dann gleichsam aus mir heraus.

Die Dinge fließen lassen

Ich habe zu Beginn eines Beitrages jeweils kaum keine Ahnung, was da am Ende alles zum Vorschein kommt. Ich schreibe weder vor, noch ändere ich im Nachhinein inhaltlich ab. Auf die Grammatik und Rechtschreibung muss ich natürlich noch einmal einen Blick werfen. Das ist klar. Sich zu äußern, finde ich eine spannende Sache. Aber womöglich ist das Bloggen ja auch nichts für dich. Jeder sollte seine bevorzugte Form des Ausdrucks finden. Das einfachste Mittel ist immer das Gespräch. Ein Gespräch ist jederzeit und überall möglich und bedarf keinerlei Hilfsmittel, sofern sich erst einmal ein geeigneter Gesprächspartner gefunden hat.

Beim Bloggen wird es da schon etwas komplizierter. Aber auch ein konventionelles Tagebuch erweist in diesem Zusammenhang sicher gute Dienste. Wichtig ist, dass du die Möglichkeit hast, dich jemandem anzuvertrauen. Das kann auch ein Tagebuch sein, besser ist jedoch der Austausch mit einem Menschen, denke ich. Hier profitierst du doppelt. Du bekommst zusätzlich noch Aufmerksamkeit und Zuwendung, vielleicht Verständnis und Mitgefühl und du fühlst dich eher als Teil der Welt. Vielleicht erhältst du eine Rückmeldung, wie dein Gegenüber das sieht oder du bekommst einen Rat. Das alles kann ein Tagebuch nicht.

Die Depression und die Scham

Die meisten Menschen schämen sich leider ihrer Depression und versuchen damit hinter dem Berg zu halten. Sie mögen nicht darüber reden. Eventuell melden sie sich anonym auf einer der zahlreichen Internetseiten zu Wort. Kannst du eigentlich offen über deine Depression reden? Oder magst du diesen Teil deiner selbst lieber verschweigen? Empfindest du Scham? Sagst du: „Ich schäme mich dafür wie ich bin.“?

Wozu dient die Scham?

Ich denke, es ist völlig normal, im Kontext der Depression Scham zu empfinden. Wir sind einfach zu lange von der Gesellschaft so konditioniert worden, dass wir uns unserer „Schwäche“ schämen. Ich empfinde auch Scham. Das fühlt sich nicht schön an. Aber wozu dient die Scham eigentlich? Scham macht klein und Scham tut Depressiven nicht gut, denn schließlich fühlen sie sich doch so schon klein genug. Scham ist aus Sicht der Psychologie ein Gefühl, das wir empfinden, wenn wir den Ausschluss aus der Gemeinschaft befürchten. Letztlich soll sie uns genau davor bewahren.

Scham und Psychologie

Also, wozu dient die Scham? Sie dient dem Erhalt des Dazugehörens zu einer Gruppe. Wenn wir Scham zeigen, signalisieren wir, dass es uns leid tut, die Gruppenregeln missachtet zu haben, so die Psychologie. Damit erhöhen wir die Chance erheblich, nicht verstoßen zu werden. In der frühen Zeit der Menschheit glich so ein Verstoß einem Todesurteil. Kein Wunder also, dass die Scham eine so starke Emotion sein kann. Im Falle der Depression allerdings, macht die Scham aus Sicht der Psychologie keinen Sinn, bringt keinerlei evolutionären Vorteil. Ganz im Gegenteil, in dem wir uns aus Scham zurückziehen, vollziehen wir selbst das Verlassen der Gruppe. Die Scham im Kontext der Depression ist konditioniert. Wir schämen uns nicht wegen verletzter Regeln, wir schämen uns, weil wir unsere Leistungsfähigkeit verloren haben. Doch erwirken wir durch die Scham, wovor sie eigentlich schützen soll. Deshalb ist die Frage, wozu die Scham dient, im Kontext der Depression unangebracht. Sie ist hier ebenso wenig nützlich wie ein Kühlschrank am Nordpol.

Meine Scham ist letztlich auch mit ein Grund, weshalb ich mit meiner Depression in die Öffentlichkeit gegangen bin. Scham macht dein Leben kompliziert. Du musst tarnen und verbergen, eventuell musst du lügen, zumindest verschweigen. Das alles ist anstrengend und verbraucht Energie, Energie die du jetzt eigentlich für etwas anderes nötig hättest, nämlich für deine Gesundwerdung. Ich schäme mich jetzt nicht mehr. Naja, ein bisschen vielleicht noch.

Seit ich offen mit meiner Erkrankung umgehe, schäme ich mich deutlich (!) weniger. Ein kleiner Rest bei schlechter Stimmung ist geblieben, aber damit kann ich leben. Ich habe durchweg nur positive Rückmeldungen gehabt. Noch nie hat mein Outing dazu geführt, dass ich mich hinterher klein fühlen musste. Eher das Gegenteil war der Fall. Diesen Vorteil des Umganges mit der eigenen Scham bestätigt auch die Psychologie.

Das neuronale Netzwerk

Wie ist das bei dir? Tut es dir nicht auch gut, einen Austausch zum Thema Depression zu führen? Fühlst du dich nicht doch wohler, nachdem du dich geäußert hast? Ist es nicht auch so, als wärst du etwas losgeworden? Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich schäme mich viel weniger, wenn es mir gelingt, über eine Sache zu sprechen. Geteiltes Leid ist halbes Leid, heißt es und aus eigener Erfahrung kann ich das nur bestätigen. Wenn du etwas von dir preisgibst, wenn du etwas von dir hergibst, fühlst du dich hinterher leichter. Und während du deine Gedanken und Gefühle zum Ausdruck bringst, passieren wundervolle Dinge in deinem Gehirn. Neue Verbindungen werden angelegt, neue Assoziationen sind möglich, ganz neue Perspektiven ergeben sich. Das gilt allgemein und nicht nur für die Depression und ist Stand der Psychologie und der modernen Hirnforschung.

Wenn ich früher ein technisches Problem hatte, das sich nicht auf die Schnelle lösen ließ, so einen richtig hartnäckigen Brocken, der sich einfach nicht knacken lassen wollte, dann half es mir oft, das Problem einem Dritten zu schildern. Das musste gar nicht einmal ein Fachmann sein. Es genügte, dass sich jemand Zeit nahm und mir zuhörte, während ich versuchte, das Problem in Worte zu fassen. Oft war es dann so, dass mir noch während des Erzählens die rettende Idee kam. Während meiner Rede hatten sich tausende neuer Verknüpfungen gebildet, mein neuronales Netzwerk vergrößerte sich und plötzlich war ich zu Dingen befähigt, die mir zuvor noch unmöglich erschienen.

Niemand will es hören

Manchmal habe auch ich das Gefühl, dass es die Menschen nicht sonderlich interessiert, ob ich Depressionen habe oder nicht. Ja manchmal habe ich sogar den Eindruck, es geht ihnen auf die Nerven, ständig meiner zum Teil ziemlich negativistischen Weltanschauung ausgesetzt sein zu müssen. Und in der Tat, das kann auch anstrengend und vor allen Dingen auch ansteckend sein. Ein Zuviel ist hier sicher nicht gut. Vor allem, wenn sich beim Betreffenden nichts ändert und die Geschichten immer wieder dieselben sind, wird es irgendwann für den Zuhörer anstrengend. Gerade für solche Situationen gibt es soziale Netzwerke, Blogs und andere Internetseiten, auf denen sich Menschen begegnen können, die etwas gemeinsam haben und sei es ihre Sorge.

Dieser Blog hier ist auch so ein Ort. Dieser Blog hier bietet Raum für deine Gedanken und Gefühle, deine Sorgen und Nöte, aber auch für deine Freude und dein Glück, deine Wünsche und Sehnsüchte. Finde heraus, wer du im Inneren bist, indem du nach außen gehst, indem du dich äußerst. Hier findest du Menschen, die ein Interesse an dir haben. Es gibt einen Ort, wo du willkommen bist. Hier darfst du sein, wie du bist… (Ergänzung: Leider musste die Kommentarfunktion aufgrund wiederkehrender massiver Hackerangriffe und dem Einschleusen von Schadsoftware abgeschaltet werden. Aber wenn du magst, wende dich gern direkt per Mail an den Autor. Dein Beitrag kann dann auch ergänzend zum Beitrag des Autors angehängt werden.)

Jeder Mensch braucht einen Ort sich mitzuteilen

Ich wünsche mir, dass alle Menschen mit Depressionen, und nicht nur prominente Depressive es hin bekommen, sich öffentlich über die Depression zu äußern. Dies schüfe eine Kultur der gegenseitigen Achtung und des Respekts und vermied ein weiteres Abgleiten der Thematik in die Tabuzone. Alles worüber wir nicht sprechen können, hat Macht über uns. Alles was wir tabuisieren, hält uns im Geiste gefangen, hält uns fest, lässt uns unfrei werden. Fragst auch du dich, wozu die Scham dient? Leg dir ein Pseudonym zu, einen Namen, der zu dir passt, einen schönen Namen, und dann versuch es gleich hier im Kommentarbereich zu diesem Post.

Erzähl von dir und deiner Depression oder verfasse einen Leserbrief. Du wirst womöglich überrascht sein, wie gut sich das am Ende für dich anfühlt. Den Namen halte ich deshalb für so wichtig, weil andere Leser dir vielleicht antworten wollen und wer möchte sich schon anonym unterhalten? Irgendwie ist das eine Barriere. Ein Pseudonym schützt deine Privatsphäre hier ausreichend, gibt dir aber dennoch ein menschliches Antlitz. Also, was hast du uns zu erzählen? Wie geht es dir und wie kommst du zurecht?

Quellen zu „Ich schäme mich – Depression Scham und Psychologie – Wozu dient die Scham?“
Foto zu „Ich schäme mich“: pixabay.com

Überarbeitet: 14.12.2024

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