Ich bin dagegen – Mein Lebensgrundsatz
Depressionen und Angst gehören zusammen. Besonders die Angst vor Ablehnung spielt oftmals eine bedeutsame Rolle im Leben depressiver Menschen. Doch ohne dass sie es bemerken, verstricken sie sich selbst in ablehnende Verhaltensmuster und verstärken dadurch ihre Angst unbewusst. Welche Auswirkungen die Ablehnung auf das Leben eines depressiven Menschen haben kann und welches seine eigenen Anteile dabei sein können, beleuchtet der nachfolgende Artikel aus Sicht eines Betroffenen.
Mein Name ist: Ich bin dagegen!
„Ich bin dagegen!“ So oder ähnlich könnte man mein Leben überschreiben. Ich bin dagegen, wenn es um den Zeitgeist geht, den sogenannten Mainstream und ich bin gegen die ständige Beschleunigung unseres Lebens. Auch bin ich gegen Unterdrückung, Ausbeutung und Freiheitsberaubung. Ich bin gegen soziale Ungerechtigkeit, Kindesmissbrauch und Gewalt. Auch bin ich gegen Korruption und Lobbyismus. Ich bin gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Krieg.
Die Verrohung der Menschheit, die Kommerzialisierung aller Lebensbereiche und eine zunehmend fehlende Sinnhaftigkeit des Lebens – ich bin dagegen. Ich bin gegen Religionen, die die Weisheit für sich gepachtet zu haben glauben und dagegen anderen Menschen die eigene Überzeugung aufzudrängen. Es gibt so viele Dinge, denen ich nicht zustimmen mag. Ich bin gegen die Umstellung der Banküberweisungen auf das SEPA-Verfahren und ellenlange Zifferncodes. Auch bin ich dagegen beim Thema ungesundes Essen, bin gegen das Rauchen, Drogen oder Tierquälerei. Ich bin gegen Feigheit, Duckmäusertum und Arschkriecherei. In aller Regel wähle ich die Opposition, weil ich mit der aktuellen Politik nicht zufrieden bin. Ich bin dagegen!
Die Angst vor Ablehnung
Neulich ging mir auf, dass ich im Grunde ein ziemlich ablehnender Mensch bin. Und das ist nicht erst seitdem ich Depressionen habe so. Meine größte Angst, die Angst vor Ablehnung, scheint Ausdruck einer Charaktereigenschaft zu sein, die mich vielfach hindert, das Leben als ein Glück und als Geschenk anzunehmen. Ist das nicht paradox? Ich fürchte die Ablehnung wie der Teufel das Weihwasser und bin selbst der Ablehner vorm Herrn in Person? Hier scheine ich auf einen Grundwiderspruch meiner Persönlichkeit gestoßen zu sein. Wie kann ich mein Leben als Gesamtheit positiv empfinden, wenn ich grundsätzlich erst einmal gegen alles Neue bin? Das heißt jetzt nicht, dass ich immer nur alles ablehne, aber zunächst tendiere ich schon in diese Richtung. Ich habe mir angewöhnt, zunächst einmal NEIN zu sagen. Im Zweifelsfall verschafft mir diese Haltung erst einmal Zeit für eine weitere Prüfung und bindet mich nicht an eine Zusage.
Vor vielen Jahren schenkte mir eines meiner Kinder zum Geburtstag einen Wandtafelmagneten mit einem Motiv von Uli Stein, der die Aufschrift trug „Dagegen!“. So fasste sie damals unbewusst erstmals in Worte, was mich wohl weithin sichtbar auszumachen schien. Sie hätte mir ja auch einen Magneten mit der Aufschrift „Jawoll!“ schenken können, aber das tat sie nicht. Ich finde, es macht einen Unterschied, ob ich erst einmal meine Zustimmung zu etwas gebe und sie nach entsprechender Prüfung oder eintretender negativer Erfahrung wieder einschränke beziehungsweise ganz zurück ziehe oder ob ich von vorn herein eine ablehnende Haltung einnehme
Mehr Ablehnung als Zustimmung
Eigentlich galt ich mein Leben lang als Querdenker, als jemand der den Mund nicht hält, wenn es um die Benennung von Unrecht geht. Ich beugte mich keinem Diktat und eckte so immer wieder an. Das war schon in der Schule so, in der Lehre, später auch während meines Wehrdienstes und zog sich durch all meine Arbeitsverhältnisse. Nun, meine Leistungen waren immer überdurchschnittlich und so konnte ich den Mund womöglich auch weiter aufmachen als andere, ohne dass man mich gleich feuerte, aber was diese Charaktereigenschaft im Gegenzug bedeutet, ist mir bis heute nie aufgefallen. Ich war sogar stolz darauf, kein Kopfnicker, Ja-Sager oder wie auch immer zu sein.
Und so war ich auch stolz darauf, dagegen zu sein, selbst und besonders wenn alle dafür waren. Ich will nicht sagen, dass ich nunmehr diese Eigenschaft an mir ablehnen will (also hier siehst du schon, wie sehr ich es mit der Ablehnung habe), aber zur Grundhaltung meines Lebens will ich sie in Zukunft nicht länger verpflichten. Wenn ich überwiegend ablehnend auftrete, ist es eigentlich kein Wunder, dass ich selbst auch Ablehnung hinter jedem Baum vermute. Ich bin einfach zu viel mit diesem Thema beschäftigt, als das ich ausreichend positiv auf mein Leben schauen kann.
Die Ablehnung überwiegt. Und wenn das so bleibt, wird das irgendwann die Bilanz meines Lebens sein. Wenn sich meine Frau mit mir stritt, lehnte ich dies ab. Ich lehnte es auch ab, dass es zur Trennung kam. Auch allein zu leben, lehnte ich ab. Ich lehnte es ab, dass ich Depressionen hatte, und so weiter… Irgendwann wird auf meinem Grabstein stehen: „Er lehnte sein Leben ab. Darum liegt er nun hier.“ Selber Schuld, denkt es da spontan in mir! Wer nicht will, der hat schon! Aber will ich das wirklich so weiter machen?
Man kann es mir nicht recht machen
Ich bin dagegen. Mit meiner ablehnenden Grundhaltung lehne ich alles ab, was (ohnehin schon) da ist. Ich befinde mich in ständigem Konflikt zur Realität, weil ich die Welt so wie sie ist nicht haben will. Und tatsächlich, kann man es mir dann nur schwer recht machen. Schreibt man mir zum Beispiel nicht, ärgert mich das. Ich fühle mich ausgegrenzt und abgelehnt. Schreibt man mir häufig, bin ich schnell genervt, weil ich schon wieder antworten „muss“. Ist der Brief kurz gehalten, komme ich mir abgespeist vor, ist der Brief lang und ausführlich, fühle ich mich schnell überfordert. Werde ich häufig eingeladen, denke ich, die sollen mich doch in Ruhe lassen, sie wissen doch, wie krank ich bin. Werde ich nicht eingeladen, fühle ich mich ungeliebt, unwillkommen, vergessen, verstoßen, abgemeldet. Irgendwie scheint es völlig egal zu sein – ich bin dagegen.
Mein Leben – meine Regeln
Ich habe es tatsächlich schwer, die Welt so anzunehmen, wie sie ist. Es funktioniert nur, wenn ich selbst bestimmen darf. Nach dem Motto: „Mein Leben – meine Regeln“. Wie aber soll das gehen, wenn ich auch mit anderen Menschen leben möchte? Sollen sie etwa alle nach Bennos Regeln leben? Das kann ja nicht funktionieren! Vermutlich steckt dahinter ein übergroßes Begehren nach Sicherheit. Alles muss erst abgecheckt und ausgiebig geprüft werden. Ich muss immer die Kontrolle über alles haben, was mit mir geschieht. Wenn ich die Kontrolle verliere, fühle ich mich schnell hilflos, ohnmächtig, fühle ich mich verloren und das vermeide ich tunlichst.
Das glückliche Leben aber will diese Kontrolle nicht. Man kann nicht kontrolliert glücklich werden. Das scheint mir ein Widerspruch in sich zu sein, gründet sich doch jegliches Glück auf Hingabe. Erst wenn ich mich einem Menschen ganz hingeben kann, kann ich zur Tiefe des Glücksgefühls vorstoßen. Wenn ich mich meiner Arbeit ganz hingeben kann, erfüllt sie mich auch, selbst dann, wenn viel von mir verlangt wird. Erst wenn ich mich dem Leben ganz hingeben kann, bin ich in der Lage, die vielen Geschenke auch wahrzunehmen, die es für mich bereit hält.
Die Angst vor dem Kontrollverlust
Das Gefühl der Ablehnung ist kein schönes Gefühl. Es ist ein Gefühl der Enge, also ein Gefühl der Angst. Wenn ich etwas oder jemanden ablehne, sage ich NEIN zur Realität. Ich lehne im Grunde mich und mein Leben selbst ab. Das fühlt sich nicht gut an und führt vermutlich überdies dazu, dass auch ich immer wieder abgelehnt werde. Denn erstens, kehrt zu mir zurück, was ich an Gedanken und Gefühlen aussende und zweitens nehme ich Ablehnung einfach auch intensiver wahr als die Menschen, die ihren Fokus eher auf Annahme gelegt haben.
Ablehnung
Wie soll denn mein Leben schön werden, wenn ich es immerzu und jeden Tag ablehne? Wovor habe ich eigentlich Angst? Was soll mir denn passieren, wenn ich mich auf das Abenteuer Leben einlasse? Ich könnte doch beispielsweise zunächst immer erst einmal Ja sagen, anfangs vielleicht unter Vorbehalt, aber zumindest ein Ja. Das wäre sicherlich eine andere Botschaft an mein Leben!
Eigentlich weiß ich doch, dass sich am Ende die Dinge wieder dem Guten zuwenden. Ich weiß doch, dass ich mich auf mich verlassen kann. Ich muss diese Angst nicht mehr haben. Zwar gab es eine Zeit in meinem Leben, da war diese Angst berechtigt, Kontrolle erlangte ich aber auch nicht durch sie. Es ist eher eine zusätzliche Last. Das erklärt auch, warum ich so wenig spontan und so wenig flexibel bin. Das erklärt so viel. Allein schon wenn ich einmal hinein fühle in das Wort Ablehnung, dann sinkt sofort meine Stimmung.
Zustimmung
Ganz anders ist es bei dem Wort Zustimmung. Wenn ich zustimmen kann, fühle ich mich bestätigt. Wenn ich zustimmen kann, fühle ich mich als Teil des Ganzen. Meine Zustimmung bedeutet ein Ja zu meines Leben und letztlich zu mir selbst. Ich bin mir nicht sicher, aber womöglich ist meine innere Ablehnungshaltung, die über die Jahre schon ganz ohne mein Zutun, also unbewusst stattfindet, ein wesentlicher Grund für meine Depression? Ein Gedanke, den es sich bestimmt zu prüfen lohnt…
Quellen zu „Ich bin dagegen“ – Depression und innere Ablehnung
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