Schämst du dich deiner Depression?

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Depression Scham treten oft gepaart auf. Die Depression ist etwas, da sind wir uns wohl alle einig, das niemand wirklich haben will. Danach fragt aber die Depression nicht. Sie ist die Antwort unserer Seele auf unser bisheriges Leben. Sie kann keine Rücksicht nehmen auf unsere Befindlichkeiten. Wenn der Tag gekommen ist, schlägt sie mit voller Härte zu. Zwar bestätigen viele Betroffene, dass sich die Depression bei ihnen eher eingeschlichen habe, als dass sie mit einem Paukenschlag in Erscheinung trat, dennoch fühlt es sich oftmals so an. Denn oftmals werden alle Symptome der Depression lange verdrängt, verniedlicht, nicht wahrgenommen oder fadenscheinig begründet. Wenn ich zurückblicke, kann ich heute aus einiger Distanz sagen, dass sich meine Depression mindestens schon sieben Jahre vor meinem Zusammenbruch deutlich bemerkbar machte. Ich habe die Zeichen nur nicht richtig deuten können. Heute ist meine Depression chronisch. Ich bin überzeugt, wenn es gelänge früher einzugreifen, früher Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen, dann müsste es nicht so viele Dauerdiagnosen Depression geben.

Nicht haben wollen – Nicht sehen wollen

So ist es nun einmal. Was wir Menschen nicht sehen wollen, sehen wir nicht, können wir vermutlich gar nicht sehen. Es ist wie ein Filter im Gehirn, der alles ausblendet, das nach einem Makel wie der der Depression aussehen könnte. Wir wollen alle leistungsfähig, stark und belastbar sein. Wir wollen anerkannt und gern gesehen sein. Wie kann da eine Depression hineinpassen? Und so blenden wir aus und schaden uns weiter, führen den Lebenswandel fort, der uns krank macht bis es irgendwann überhaupt nicht mehr weiter geht, am Tag unseres Nervenzusammenbruchs

Am Tiefpunkt angekommen

Nun könnte ja eigentlich alles besser werden, möchte man glauben. Der Tiefpunkt ist erreicht und ab jetzt kann es wieder aufwärts gehen. Kann es! Aber tut es das auch? In vielen Fällen ist das Gegenteil der Fall. Durch so einen Zusammenbruch verringert sich die Belastbarkeit dauerhaft, die Empfindlichkeit erhöht sich und auch die Angst vor einem erneuten Zusammenbruch schwingt täglich mit. Spätestens jetzt wird auch dir klar: Du bist psychisch krank! Du hast Depressionen! Für viele mag das gleich noch ein Grund mehr sein, depressiv zu werden oder zu bleiben. „Könnte ich nicht lieber einen Herzinfarkt haben oder einen Rippenbruch?“, fragen sich viele depressive Menschen. Sie schämen sich für ihre Diagnose. Sie schämen sich für ihre Depression.

Scham wegen Depressionen

Sich seiner Depressionen zu schämen ist weit verbreitet. Auch ich schämte mich ihrer anfangs sehr. Doch wenn du in den Untergrund gehst mit deiner Krankheit, musst du sehr viel Energie dafür aufwenden, alles auch weiterhin geheim zu halten. Du musst Lügen erfinden, überspielen, ausweichen, taktieren und arrangieren. Du musst lauter Dinge tun, für die du jetzt eigentlich gar keine Kraft hast. Sollte nicht alle Kraft deiner Genesung dienen?

Und nun kommt zur Angst, einen erneuten Zusammenbruch zu erleiden auch noch die Angst, entdeckt und enttarnt zu werden hinzu. Du schämst dich. Und du schämst dich nicht nur vor anderen, du schämst dich auch vor dir selbst. Du hast dir das Wertesystem der Gesellschaft zu eigen gemacht und nach diesem System bist du jetzt eine Verrückte/ein Verrückter. Du hast Angst, aus der Gesellschaft verstoßen zu werden und bemerkst nicht, dass du genau dies selbst tust. Indem du dich deiner Depression schämst, stellst du dich selbst an den Rand der Gesellschaft. Die da draußen müssen gar nichts weiter tun. 

Was bewirkt die Scham?

Scham ist etwas, dass dir hier nicht von Nutzen ist. Die Scham macht dich klein, nimmt dir das letzte bisschen Selbstbewusstsein, das du vielleicht noch hast. Die Scham grenzt dich aus. Du wertest dich selbst ab. Indem du die Depression ablehnst, lehnst auch einen Teil von dir ab, denn die Depression ist jetzt ein Teil von dir. Du lehnst die Umstände ab, die zu deiner Depression führten und wirst deshalb auch nicht heraus finden, welche dies sind. Sie verschließen sich vor dir, weil auch hier gilt: „Nicht haben wollen – Nicht sehen wollen!“ 

Ich lade dich ein, deine Scham abzuwaschen von dir, gleichsam abzuduschen. Die Depression ist nichts, wofür du dich schämen müsstest. Die Depression ist eine Krankheit wie jede andere auch. Eigentlich ist sie nicht einmal eine Krankheit, sondern nur ein Symptom ungünstiger Lebensumstände. Irgend wann wird die Wissenschaft soweit sein, jede Erkrankung vor ihrem seelischen Hintergrund zu betrachten. In der westlichen Medizin trennen wir Psyche und Körper, in der fernöstlichen Medizin betrachtet man seit jeher den Menschen ganzheitlich. Wir kommen doch schließlich auch nicht in zwei Hälften daher. Wir sind eins, eins aus Körper und Seele.

Anonymität versus Authentizität

Während es uns Depressiven auf der einen Seite zumeist an Selbstwert und Selbstbewusstsein mangelt, tun wir auf der anderen Seite unbewusst alles dafür, dass dies auf ewig auch so bleibt. Wir schämen uns. Nicht dass es da einen wirklichen Grund gäbe, wir etwas Unrechtes getan hätten, hässlich wären oder schlecht riechen würden – nein, eigentlich wissen wir gar nicht genau, wessen wir uns eigentlich schämen – wir tun es einfach. Wir tun es, ohne zu reflektieren. Und wir tun es, ohne diese Praxis in Frage zu stellen. Wir tun es einfach. Vermutlich, weil dies schon immer so war. Vermutlich, weil wir als Kinder gelernt haben, dass es peinlich ist, psychisch krank zu sein.

Ich finde, es wird langsam mal Zeit, mit diesem dummen Vorurteil zu brechen. Heute sind wir erwachsen und müssen nicht mehr nachplappern, was die Großen alles so von sich geben, denn da ist auch immer eine Menge Blödsinn dabei. Wir glauben ja auch nicht mehr, dass der Storch die Kinder und der Weihnachtsmann die Geschenke bringt! Aber an den Vorurteilen gegenüber psychisch Kranken halten wir wie besessen fest, sogar dann noch, wenn sie sich gegen uns selbst richten. Welch Paradoxum?

Und weil wir uns unserer Depression so schämen, halten wir sie geheim. Zwar haben wir schon das Bedürfnis, uns mitzuteilen, aber niemand darf wissen, wer wir wirklich sind. Und so schlüpfen wir in die Rolle des Anonymus. Das Internet lädt ja allerorts dazu ein, sich zu verbergen. Offiziell ist die Rede von Datenschutz und allerlei so Kram, an den spätestens seit Edward Snowden sowieso niemand mehr glaubt. Ich glaube aber, das etwas ganz anderes dahinter steckt. 

Die Angst sich zu zeigen

Die Menschen haben Angst davor, sich zu zeigen. Sie haben Angst davor, nicht so zu sein, wie man sie eventuell haben möchte. Sie haben Angst davor, aus der Gesellschaft ausgestoßen zu werden. Und so schlüpfen sie in Avatare und Pseudonyme und verbergen sich hinter allerlei Nicknames. Es kommt mir vor wie im Karneval. An ein paar Tagen im Jahr kann ich einmal tun und lassen, was ich will. An ein paar Tagen im Jahr muss ich mich nicht schämen! Und die restliche Zeit? Und außerhalb des Internets? Ich möchte dich einladen, Ja zu sagen zu dir und deiner Depression. Ich möchte dich einladen, zu dir zu stehen mit all deinen Ecken und Kanten, Fähigkeiten und Schwächen, Stärken und Gebrechen. Sag Ja zu dir! Und höre damit auf, dich deiner zu schämen, denn dafür gibt es keinen Grund!

Je eher du bereit bist, aus deiner Anonymität heraus zu kommen, umso eher kannst du dich dem widmen, was es eigentlich ist, deiner Depression. Oute dich! Fange, wenn du magst,  hier in diesem Blog damit an! Ich verspreche dir: Es wird befreiend für dich sein! Und noch etwas wunderbares wird geschehen. Menschen werden Verständnis für dich zeigen. Wenn du dich zu erkennen gibst, wirst du feststellen, dass es in deinem Ort, auf deiner Arbeitsstelle und in deiner Straße noch mehr Menschen gibt wie du und ich, Menschen die an ihrer Seele erkrankt sind und die sich die ganze Zeit vor dir verstecken mussten – aus Scham du könntest sie entdecken, könntest aufdecken, was sie, wie einst auch du, mit aller Macht zu verdecken suchen…

Quellen zu „Schämst du dich deiner Depression“
Foto: Dieter Schütz / pixelio.de

ich schäme mich

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