Warum sind Beachtung und Aufmerksamkeit so wichtig

Beachtung und Aufmerksamkeit

Aufmerksamkeit und Beachtung – Menschen tun fast alles dafür

Wenn dich jemand fragt, was du dir von anderen Menschen am meisten erwartest, dann sind es bestimmt nicht Beachtung und Aufmerksamkeit, die dir zuerst einfallen. Viel eher kommen dir vermutlich Ehrlichkeit, Freundlichkeit, Höflichkeit, Hilfsbereitschaft, Friedfertigkeit und Respekt in den Sinn. Jeder wird hier seine Schwerpunkte ein wenig anders setzen. Dass es jemandem zuerst um Beachtung und Aufmerksamkeit ginge, halte ich für eher unwahrscheinlich. Zumindest ist das bei mir so. Das hörte sich sonst ja auch ganz so an, als wollte ich ständig im Mittelpunkt stehen, wollte die Nummer 1 sein – Nein! Solche Menschen mag ich nicht! So will ich auf keinen Fall selber sein! Da stellt sich nur die Frage: Warum denn wohl mag ich solche Leute tatsächlich nicht? Entertainer können mir doch auch durchaus sympathisch sein und sie erfüllen genau diese von mir abgelehnten Kriterien?


So will ich nicht sein

Ich bin als Kind so erzogen worden, mich nicht in den Mittelpunkt zu stellen. In dreifacher Hinsicht wurde ich in eine Richtung gelenkt, die es mir nicht gestattete, in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu geraten. Da wäre als Erstes die sozialistische Ideologie zu nennen, die alle Menschen gleich machte. Es war die Lüge von der Gleichheit, der Freiheit und der Gerechtigkeit, die sich schon in der französischen Revolution nicht umsetzen ließ. Menschen sind niemals gleich und das ist auch gut so. Besser müsste es heißen: Alle Menschen sind gleich wertvoll. Das schlösse nicht aus, dass es Menschen gibt, die mehr und andere, die weniger gern im Mittelpunkt stehen. 

Einfluss der Kirche

Als zweiten und nicht minder wichtigen Einfluss ist der der katholischen Lehre zu nennen. „Wer der Erste sein will, soll der Letzte sein! Wenn dich jemand auf die eine Wange schlägt, dann halte ihm auch noch die andere hin!“ Ich war lange diesem Einfluss ausgesetzt und konnte erst durch meine Depression ein wenig Abstand dazu gewinnen. Erst durch diesen gewissen Abstand kam ich in die Lage, Fragen zu stellen, in Frage zu stellen.

Der Vater

Als letzten Faktor möchte ich meinen Vater nennen, der selbst so groß, mächtig und bewundernswert war, dass er, gefühlt, mein ganzes Universum ausfüllte. Da war einfach kein Platz für mich und ich glaube, es war auch eines von den Dingen, die er auf den Tod nicht leiden konnte: wenn ich ihm den Platz im Zentrum des Universums streitig zu machen versuchte. So war bei uns zu Hause das Reden bei Tisch verboten. „Beim Essen spricht man nicht“, hieß es. Ich folgte diesem Satz. Anfangs trug ganz sicher auch die eine oder andere unerwartete Ohrfeige mit dazu bei, aber später war es ein Selbstgänger.

So stellte ich es dann auch nie in Frage, dass mein Vater ununterbrochen redete bei Tisch. Ich mochte es, wenn er von seinem Tag erzählt und sog es in mich auf. Ich war brav und habe diese Neigung, selbst etwas darzustellen, in mir unterdrückt, zunächst als Kind, dann ein Leben lang. Viele Jahre wusste ich tatsächlich nichts davon, hatte es so weit verdrängt, dass es für mich selbst unsichtbar wurde.

Was mir an anderen missfällt

Aber ist es nicht oft so, dass das was uns an anderen missfällt, eine ganze Menge mit uns selbst zu tun hat? Das, was etwas in uns auslöst, was uns trifft, das be-trifft uns auch. Menschen, die in den Mittelpunkt einer Gruppe strebten, standen in Konkurrenz zu mir, ohne dass ich selbst in die Mitte strebte. Das ist doch verrückt! Ich mochte sie nicht, ohne zu wissen, warum. Heute kann ich das deutlich entspannter sehen. Ich erkenne das Muster und lächle. Ich kann mir das liebevoll anschauen, kann ihnen ihr Bedürfnis nach Beachtung, ihr Bedürfnis nach Bewunderung und Anerkennung gönnen. Es macht mir kein schlechtes Gefühl mehr.

Selbstbewusster entscheiden

Das ist einzig und allein dem Umstand geschuldet, dass ich mir selbst dieses Verhalten inzwischen gönnen kann, es nicht mehr an mir verurteile. Entweder ich will nun selbst im Mittelpunkt des Geschehens stehen – ja, dann stehe ich möglicherweise in Konkurrenz, dann wird die Hackordnung ausgefochten oder ich strebe nicht in die Mitte, ja dann lass doch andere dorthin! Sie regen mich nicht mehr auf. Ich verstehe sie und mich jetzt besser. Ich entscheide heute bewusst, im wahrsten Sinne des Wortes selbst-bewusst.

Selbststeuerung

Nicht meine Gefühle überfallen mich und lassen mich ratlos dreinschauen, sondern ich selbst steuere die Situation. Ich habe mich ein Stück weit besser kennen gelernt und konnte annehmen, was ich an mir entdeckte. Das war wie ein kleines Wunder, denn seit ich es bei mir selbst annehmen konnte, konnte ich es auch bei anderen Menschen annehmen. Mein Leben ist friedvoller geworden nun und ich selbst bin mir näher gekommen dadurch, konnte mehr in meine Mitte kommen.

Es dreht sich um Beachtung

Im Grunde dreht sich doch alles auf der Welt um Aufmerksamkeit und Beachtung. Es gab einmal einen Versuch in den sechziger Jahren, da hat man Kinder zwar ernährt, ihnen aber sonst keine Beachtung geschenkt. Du kannst dir denken, wie dieser unsägliche Versuch ausgegangen ist… Ohne Beachtung können wir Menschen nicht leben. Selbst Einsiedler bekommen Beachtung. Sie werden regelmäßig um Rat gefragt. Menschen, die niemand beachtet, sterben oder nehmen sich das Leben. In meinen mehrmonatigen Aufenthalten in der Psychiatrie habe ich diese These aufgestellt, weil mir auffiel, dass alle Patienten, unabhängig davon, mit welchen Diagnosen sie da waren, eines gemeinsam hatten: In der Gruppe konkurrierten sie überdeutlich um Beachtung und Aufmerksamkeit. Man könnte auch sagen, sie konkurrierten um Liebe.

Teilaspekte der Liebe

Beachtung und Aufmerksamkeit sind zweifelsfrei Teilaspekte der Liebe. Menschen, die als Kinder nicht ungehinderten Zugang zu der Liebe ihrer Eltern hatten, entbehren ein Leben lang diese Liebe, versuchen sie überall zu finden, um dieses Defizit zu füllen. Sie versuchen auszugleichen, was sich später allerdings nicht mehr ausgleichen lässt (jedenfalls nicht von außen). So wird ihr Leben zu einer Art „Lauf im Hamsterrad“ – sie kommen jedoch leider niemals ans Ziel. Ich wage die Behauptung: Kinder, die eine behütete Kindheit hatten und die von ihren Eltern bedingungslos geliebt wurden – die Betonung liegt hier auf „bedingungslos“ – werden später nicht psychisch krank. Sie bleiben seelisch gesund, auch wenn Schicksalsschläge kommen. Diese Kinder haben all die Aufmerksamkeit und Beachtung bekommen, die nötig sind, um ein gesundes und stabiles Selbstbewusstsein zu entwickeln.  Sie sind in der Lage, sich selbst genügend mit Anerkennung und Beachtung zu versorgen. Sie haben es gelernt, sich selbst zu lieben.

Ist dann jetzt alles zu spät?

Aus den Kindern sind Erwachsene geworden. Die Eltern sind vielleicht schon tot oder ändern sich sowieso nicht mehr. Ist denn jetzt alles zu spät? Ist die Menschheit nun verloren? Nein, das ist sie mitnichten. Zwar hilft es kaum, Beachtung und Aufmerksamkeit draußen in der Welt zu suchen, beim Chef, den Kollegen, den Freunden und Nachbarn, dem Partner, der Partnerin, aber es gibt dennoch eine Lösung. Zugegeben, einfach ist das auch nicht, wenn man keine Übung darin hat. Bei den meisten, die bis hierher gelesen haben, ist das vermutlich so. Aber es gibt eine Methode, die wiedergutmacht, was in der Kindheit schief gelaufen ist. Es ist die Liebe zu sich selbst, die Selbstliebe, auch Eigenliebe genannt, um die es hier geht.

In Selbstliebe üben

Sich selbst gut zu finden, auf die eigenen Bedürfnisse zu achten und sie im Rahmen der Möglichkeiten auch zu erfüllen. Auf sich und seine Bedürfnisse zu achten, dafür aufmerksam und sensibel zu sein, kann wieder gut machen, was bislang nicht gut lief. Sich selbst mit Liebe anzusehen und anzunehmen, sich einmal hin zu setzen und versuchen, nach innen zu lächeln, kann ein guter Anfang sein. Sich ganz anzunehmen, auch und gerade mit allen „Unzulänglichkeiten“, halte ich in diesem Zusammenhang für besonders wichtig. Denn gerade die Unzulänglichkeiten, die Macken geben uns Kontur, machen uns zu dem wie wir sind und wenn wir sie mit Liebe annehmen können, machen sie uns sogar sympathisch. Was wir im Gegenzug selbst an uns ablehnen, werden auch andere Menschen an uns ablehnen müssen.

Die Grundhaltung

Sicher wird das anfangs kein Selbstgänger sein. Du wirst üben müssen. Möglicherweise gilt es, innere Widerstände zu überwinden. Aber je öfter es dir gelingt, dich liebevoll anzuschauen, wo immer es geht, im Spiegel oder im Geiste, umso leichter wirst du in diese Haltung gelangen können. Irgendwann kann deine neue Haltung zu deiner Grundhaltung werden. Irgendwann wird die Selbstliebe kein Gefühl mehr, sondern ein Zustand sein und ebenso automatisch und grundlegend funktionieren wie es bislang deine Selbstablehnung tat.

Du kannst dich umentscheiden

Verhaltens- und Reaktionsmuster sind eingeübt. Das macht sie resistent und verlässlich. Aber das hat auch den Vorteil, dass du dich umentscheiden und etwas anderes einüben kannst. Wenn du dir bewusst täglich etwas Zeit nimmst und dich in der Selbstliebe übst, kann ein solcher Erfolg schon nach nur sechs Wochen eintreten. Es kostet kein Geld, nicht viel Zeit, verlangt nicht nach aufwendigen Gerätschaften oder Medikamenten und scheint mir doch die wirkungsvollste Therapie schlechthin zu sein. Der Lohn jedoch für diese anfängliche kleine Mühe dürfte unbeschreiblich sein…

Quellen zu „Aufmerksamkeit und Beachtung“

Foto: bluefeeling  / pixelio.de

beachtung

Das könnte dich auch interessieren …