Ängstlichkeit und Depression – Sind Depressive ängstlich?

Ängstlichkeit

Angst, Liebe, Hass und Eifersucht sind mächtige Gefühle. Sie vermögen den ganzen Menschen zu beherrschen und wie es scheint, schalten sie manchmal sogar den Verstand aus. Angst ist per se nicht schlecht. Sie hat ihren Sinn. Wenn sie aber lebensbestimmend wird, sie zur Ursache für Unfreiheit wird, dann wird sie zum Problem, dann wird sie pathologisch, ebenso wie die Depression. Depression und Ängstlichkeit treten zumeist gepaart auf. Warum ist das so und wie kann ich als Betroffener heilend auf meine Ängstlichkeit einwirken?


Ängstlichkeit wird Teil der depressiven Persönlichkeit

Die Angst ist, obwohl sie einmal von Nutzen war, eine der wohl größten Feinde eines depressiven Menschen. Über die Jahre hinweg hat sie sich mehr und mehr in mein Herz geschlichen. Anfangs bewohnte die Angst nur eine kleine Kammer im Dachgeschoss, aber mit der Zeit machte sie sich breiter und breiter. Heute beherrscht sie ein einst prächtiges, aber im Laufe der Jahre nun doch deutlich heruntergekommenes Schloss, mein Herz. Seit geraumer Zeit schon kontrolliert die Angst alle Eingänge und lässt kaum noch jemanden hinein. Früher war dies ein offener und freundlicher Ort. Menschen waren gern gesehen und kamen auch gern hierher. Doch seit Angst und Ängstlichkeit die Oberhand im Herzen haben, ist es damit vorbei. Die Vorhänge sind zugezogen. Die Türen sind verriegelt.

Einst eine Schutzfunktion

Zuviel Schmerz kam einst durch diese Türen herein. Zuviel Leid schien durch die Fenster und so entschied die Angst: „Ich muss mein Zuhause beschützen. Niemand sonst tut es offenbar. Alle marschieren herein und hinaus wie sie wollen und bedienen sich nach Gutdünken. Nein!“, entschied die Angst, „Damit ist jetzt Schluss!“ Und so übernahm sie einst eine wichtige Schutzfunktion, denn es gab sie tatsächlich, die Eindringlinge, Störenfriede und bösen Geister.

Ängstlichkeit Depression und der Wunsch nach Sicherheit

Das gegenteilige Gefühl zu Depression und Angst ist die Sicherheit. Wenn kleine Lebewesen zur Welt kommen, ist neben der Liebe der Eltern die Sicherheit das zweite wichtige Bedürfnis der neuen Geschöpfe. Wenn eine Henne ihre Küken über den Hof führt, passiert dies im Allgemeinen geräuschlos. Es ist aber schon so, dass sie alle dicht beieinander bleiben. Vergrößert sich der Abstand einmal, weil ein kleiner Wattebausch gerade vor sich hin geträumt hat oder zu sehr mit dem Picken von Köstlichkeiten, die Mutter Natur bietet, beschäftigt war, dann geht ein Gepiepe los, das ohrenbetäubend werden kann. Das kleine Küken fühlt sich plötzlich nicht mehr sicher. Es hat Angst! Normalerweise kommt Mutter Henne nun sofort angelaufen und ihr kleines Babyhühnchen beruhigt sich wieder. Der entscheidende Punkt ist hierbei: Sie kommt wirklich sofort gerannt und „telefoniert nicht erst noch zu Ende“. Es gibt nichts Wichtigeres für die Mama, als ihrem Kind Sicherheit zu geben.

Fatale Erfahrungen

Wir Menschen könnten da etwas lernen von unseren gefiederten Mitbewohnern. Auch Babys brauchen ganz viel Sicherheit, die sie durch die Nähe ihrer Bezugspersonen, in der Regel sind das die Eltern, bekommen. Wenn Kinder in den ersten Jahren ihres Lebens immer wieder allein gelassen werden und vergeblich nach ihrer Mutter schreien, dann machen sie frühzeitig drei Erfahrungen mit fatalen Folgen für ihr gesamtes Leben:

  1. Sicherheit – Ich bin hier nicht sicher. Ich werde allein gelassen.
  2. Vertrauen – Den Menschen um mich herum kann ich nicht vertrauen. Sie kümmern sich nicht um mich. Wenn ihnen danach ist, verlassen sie mich.
  3. Selbstwert – Ich bin ihnen nicht wichtig, also bin ich nicht wichtig.

Mit diesen Erfahrungen im Hinterkopf gehen die Menschen später hinaus ins Leben, in jede Schulklasse, jede Firma und jede Partnerschaft. Du kannst dir jetzt vielleicht schon ausmalen, wie in etwa das dann ablaufen kann. Der Grundstein für eine ängstliche Persönlichkeit wird meistens schon sehr früh gelegt.

Wenn die Angst den Menschen beherrscht

Auch wenn der kleine Mensch noch nicht lesen und schreiben kann, seine mentalen Fähigkeiten erst noch entwickeln muss, ist er emotional doch sehr wohl in der Lage, für sich das Richtige zu tun. Und so werden seine ersten emotionalen Erfahrungen die wichtigsten in seinem Leben werden, nicht seine mentalen. Wenn der kleine Bub oder das kleine Mädchen immer wieder dieselben Erfahrungen macht, dann werden diese Erfahrungen irgendwann zu Überzeugungen. Und wenn es erst Überzeugungen sind, dann werden es zumeist auch Lebenseinstellungen. Diese Menschene können dann nicht mehr voller Vertrauen ins Leben hinausgehen, wie dies behütete Kinder tun. Sie werden jeden und alles immer erst einmal misstrauisch beäugen müssen.

Ängstliche Bezugspersonen

Ebenso werden sich Kinder verhalten, die einen ängstlichen Menschen als Bezugsperson haben. Zu jener Zeit ist aus der üblichen Dachkammer für die Angst schon eine Dreizimmerwohnung mit vergittertem Balkon geworden. Kommen dann noch ein oder mehrere gravierende Erfahrungen hinzu, in denen Menschen sich als unzuverlässig und unsicher erweisen, bekommt die Angst alsbald die Oberhand und übernimmt die Regentschaft im Seelenschloss des Menschen. Von diesem Augenblick an fühlen Menschen sich depressiv. Ihre neuen Überzeugungen wirken in alle Lebensbereiche hinein, betreffen Freunde und Kollegen, die Familie und den Partner. Und das sind wirklich fatale Folgen, denn sie treiben den ängstlich gewordenen Menschen immer mehr in die Isolation und die Einsamkeit.

Überforderung und Rückzug

Depressive sehen sich nicht mehr in der Lage, ihr einst wundervolles Schloss zu beschützen. Mehr und mehr fühlen sie sich überfordert damit, die vielen vermeintlichen Angreifer abzuwehren. Sie kommen unter Dauerstress und fühlen sich alsbald ohnmächtig den von außen einwirkenden Ereignissen und Personen gegenüber. Manche verlassen ihr Schloss für immer. Andere brechen in der Halle zusammen und liegen buchstäblich am Boden.

Depression Angst und Wahrnehmung

Es gibt etwa sieben Milliarden Menschen. Vielleicht zehn oder zwanzig, vielleicht auch hundert von ihnen haben unser Vertrauen missbraucht. Sie haben dazu beigetragen, dass wir unsere Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Menschen aufgegeben haben und ängstlich und unsicher geworden sind.  Als wir das seinerzeit entschieden, war es richtig und gut, aber heute ist das für die meisten von uns lange her. Längst ist das Leben weitergezogen und auch wir sind weitergezogen. Wir haben vielleicht sogar die Menschen gehen lassen, die für unsere Depression und Angst mitverantwortlich waren. Doch an der Angst halten wir beständig fest. Wir halten die Welt da draußen noch immer für bedrohlich, weil das Kind in uns dies tut.

Mit Abstand betrachtet

Ich denke, es ist an der Zeit, dass der Erwachsene hier einmal eine neue Entscheidung trifft. Wenn hundert Menschen mir geschadet haben, heißt das nicht, dass die übrigen sieben Milliarden dies auch tun würden. Mit Abstand und Vernunft betrachtet, ist das sogar eher äußerst unwahrscheinlich.

Überall Gefahr vermutet

Depression und Angst verstellen meinen Blick. Sie verschließen mein Herz und lassen mich in allem, was passiert und jedem eine Gefahr erkennen. Ich  fühle mich viel zu schnell angegriffen und gehe zur Verteidigung über oder eben zum völligen Rückzug. Das kostet Kraft, Kraft die ich eigentlich schon lange nicht mehr habe. Ich denke, Vertrauen ist nicht etwas, was andere sich verdienen müssen. Vertrauen ist etwas, dass ich jedem Menschen in gewissen Maße als Bonus gewähren muss. Das soll nicht heißen, dass ich jedem Fremden gleich meine Brieftasche anvertrauen sollte. Was ich meine, ist so eine Art Grundvertrauen. Ich muss doch nicht in jedem Menschen gleich einen Gegner und in jeder Handlung eine möglicherweise böswillige Tat vermuten? Für mich selbst wünsche ich mir doch auch, dass ich unvoreingenommen angesehen werde. Ich möchte doch für mich selbst auch nicht, dass man mich von vorn herein für einen schlechten Menschen hält..?

Selbstvertrauen statt Angst

Ängstlichkeit verstellt den Blick und verzerrt die Wahrnehmung. Ängstlichkeit schafft eine bedrohliche, irreale, lebensfeindliche Welt. Es wird Zeit, der Angst ihre Befugnisse wieder abzunehmen. Sie hat genug geackert für mich. Sie hat ihr Bestes gegeben, aber heute bin ich nicht mehr das kleine schutzbedürftige Menschenkind, das ich einst war. Heute verfüge ich über weitaus mehr Ressourcen und bin in der Lage, als erwachsener Mensch Problemen entgegen zu treten. Was ich heute brauche, ist Selbstvertrauen. Was ich heute brauche, ist das Vertrauen in mich selbst, zur rechten Zeit, das Rechte tun zu können. Ich sollte also allmählich dem Selbstvertrauen wieder die Schlüssel übergeben und die Angst zurück in ihr Dachstübchen ziehen lassen. Sie hat sich ein paar ruhige Tage verdient, denke ich…

Quellen zu Angst und Depression
Foto: S. Hofschlaeger / pixelio.de

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