Alleinsein und der Wunsch nach Zweisamkeit

Alleinsein

Depressionen machen einsam, heißt es, und Einsamkeit infolge von Alleinsein macht depressiv. Ist es deshalb so schwer, wieder aus dem Seelentief heraus zu kommen? Und wäre es nicht einfacher, man bliebe auf Dauer mit sich allein und fände sich damit ab? Dann hätte man auch nie wieder Trennungsstress. Manche Menschen tun dies tatsächlich und aus ganz unterschiedlichen Gründen. Warum kann ich das nicht? Ich komme doch sonst recht gut im Leben zurecht, nur wenn es an das Thema Beziehungen geht, scheine ich zu schwächeln…


Ich kann nicht gut allein sein

Eine Frage, die ich mir in letzter Zeit öfter stellte, ist: Wie ist das eigentlich mit dem Alleinsein? Wünschen sich alle Menschen eine gut funktionierende Partnerschaft? Oder bin ich in Zeiten von allein erziehenden Eltern und Singlehaushalten ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten? Immerhin wächst die Zahl derer, die sich für ein Alleinleben entscheiden, ja ständig. In 2012 gab es rund nur ein Viertel weniger Single- als Mehrpersonenhaushalte. In großen Städten wie Hamburg oder Berlin sind die Zahlen sogar eher gleichauf oder es überwiegen schon die Einzelhaushalte. (Quelle: statista.com)

Der Singletrend

Der Trend scheint tatsächlich zum Individualsystem hin zu gehen. Jeder kann machen, was er will. Keine Zeterei mehr, kein Theater, keine diskutablen Entscheidungen! Keine Rücksichtname, keine Anpassung, keine Benachteiligung, kein Ärger, keine Enttäuschung, keine Verletzung – die Vorteile des Alleinlebens scheinen zu überwiegen, sonst wäre es ja wohl nicht so, oder? Wie aber passt das zusammen mit der Aussage, der Mensch sei ein soziales Wesen? Brauchen Menschen nicht doch den Austausch, ich meine einen wirklichen Austausch oder liegt im Alleinsein die Lösung meiner Seelennot?

Nähe und Zärtlichkeit

Während ja ein Smalltalk zu jeder Zeit und an fast jedem Ort möglich ist, mag ich mein Herz bei weitem nicht jedem Fremden oder auch Bekannten öffnen. Hierzu braucht es eine gewisse Nähe, welche ihrerseits Vertrauen voraussetzt, tiefes Vertrauen, zumindest eines gehörigen Vorschusses darauf. Und wie steht es mit dem Thema Zärtlichkeiten? Während man sich beim Sex noch mit käuflicher Liebe oder One-Night-Stands aushelfen könnte, so steht man als Single mit der Entscheidung zum Alleinsein beim Thema Zärtlichkeit doch so ziemlich auf dem Schlauch. Hier wären nämlich echte Gefühle gefragt.

Zärtlichkeit und Oxytocin

Zärtlichkeiten dienen, soviel weiß man inzwischen, der Vertiefung einer Bindung. Unter anderem ist hierfür das Bindungshormon Oxytocin verantwortlich, das auch Kuschelhormon genannt wird. In der neurobiologischen Forschung wird Oxytocin beim Menschen seit Jahren mit Gefühlszuständen wie Liebe, Vertrauen und Ruhe in Zusammenhang gebracht. Es handelt sich hierbei um einen Botenstoff, der im Gehirn des Menschen produziert wird.

Oxytocin

Auch alle anderen Säugetiere können Oxytocin herstellen. Über das Blut gelangt Oxytocin dann in den Körper und ist unter anderem dafür verantwortlich, dass die sogenannte glatte Muskulatur kontrahiert. Das sind Muskelzellen, die nicht willentlich gesteuert werden können und die benötigt werden, um beispielsweise Blut- oder Lymphgefäße zu verengen, Kontraktion des Darmes zu ermöglichen oder die berühmte „Gänsehaut“ zu erzeugen.

Das Kuschelhormon

Oxytocin, im Volksmund auch als Kuschelhormon bezeichnet, wird in der Regel durch wohltuende Berührung ausgeschüttet, wie das etwa bei einer Umarmung oder beim Streicheln der Fall ist, aber auch beim Orgasmus. Wenn das kleine Baby an der Mutterbrust saugt, sorgt Oxytocin für den Milchfluss und verstärkt gleichzeitig auch die Mutter-Kind-Bindung. Aber Oxytocin kann noch viel mehr. So gilt es allgemein im zwischenmenschlichen Bereich als vertrauensfördernd. Sogar die Lust- und Orgasmusfähigkeit soll es steigern können.

Ein hoher Oxytocinspiegel könne auch dazu beitragen, dass Paare sich eher treu bleiben. Forscher entdeckten unlängst, dass Oxytocin Männer ihre Partnerin eindeutig attraktiver finden lässt, während fremde Frauen als weniger attraktiv bewertet würden. Oxytocin wirke wie eine Art Droge, heißt es. Beim Anblick der Partnerin werde über das Oxytocin das Belohnungssystem im Gehirn aktiviert und es tritt ein Wohlfühleffekt ein. Beim Anblick langjähriger Bekannter könne man diesen Effekt nicht herbei führen.

Die Angst vor dem Alleinsein

Ich weiß nicht, ob es auch ein Effekt ist, der dem Oxytocin geschuldet ist oder nicht. Für mich ist in einer Partnerschaft auch noch eine ganz andere Sache von Bedeutung. Es ist einfach schön, wenn da ein Mensch ist, dem ich vertrauen kann. Es ist schön, wenn da ein Mensch ist, auf den ich mich verlassen kann. Jemand, der mich nicht in Frage stellt, sondern mich so annimmt, wie ich bin, jemand der auch mir vertraut, weil er mich für vertrauenswürdig hält.

Es ist schön zu erleben, dass es einen Menschen gibt, der mir wohl gesonnen ist, der mir Gutes will und in dessen Gegenwart ich mich nicht schützen muss. Es tut mir gut, wahrzunehmen, dass sich jemand freut, wenn ich nach Hause komme, ja es macht mein Haus erst richtig zu meinem Zuhause. In einer Fernbeziehung habe ich dieses Gefühl nicht in der Form, dafür aber ständig eine ungestillte Sehnsucht. Alleinsein ist für mich auf Dauer tatsächlich keine Option, denke ich.

Das ultimative Gefühl

In einer Partnerschaft gibt es für mich das ultimative Gefühl, dass alles, aber auch alles im Leben gut ist. Kein Wunder also, dass es mich immer dermaßen aus der Bahn wirft, wenn eine Trennung im Raum steht und ich das Alleinsein befürchten muss. Plötzlich scheint nichts mehr in Ordnung zu sein, nichts mehr verlässlich, nichts mehr sicher. Vielleicht hast du ja selbst ähnliche Erfahrungen gemacht? Ich glaube daran, dass Mann und Frau zusammen gehören, aber irgendwie fehlt es uns zunehmend an Vorbildern einer gelungenen Zweierbeziehung.

Mit der richtigen Frau zu leben, macht mich glücklich, jedenfalls solange die Beziehung von beiderseitigem Respekt und Zuneigung getragen wird. Ja, es ist tatsächlich wie eine Droge und das Schlimmste ist das Absetzen. Aber selbst wenn du „clean“ bist, etwas bleibt immer zurück. Vielleicht ist das ja auch die Erklärung dafür, warum wir uns zunehmend für das Alleinsein entscheiden und (lieber) als Single durch’s Leben gehen – die Angst vor den Absetzsymptomen, die Angst vor dem Schmerz, die Angst vor Enttäuschung und Verletzung?

Die Zeiten haben sich geändert

Während früher Mann und Frau, vermutlich eher infolge wirtschaftlicher Abhängigkeiten als aufgrund dauerhafter Zuneigung, zusammen lebten, bis dass der Tod sie schied, besteht heutzutage infolge veränderter gesellschaftlicher Bedingungen diese Not, Gott sei Dank, nicht mehr. Und so trennen sich die Paare, wenn der Haussegen auf Dauer schief hängt, um mit dem nächsten Partner vermutlich etwas ähnliches zu erleben. Was viele nämlich nicht bedenken, ist dass sie ihren Anteil am Scheitern einer Beziehung ständig bei sich tragen, auch beim nächsten Versuch.

Natürlich spielt das alles keine Rolle, wenn man verliebt ist, denn auch hier haben uns die Botenstoffe voll im Griff. Verliebtheit gleicht einem emotionalen Ausnahmezustand. Das limbische System (Belohnungszentrum im Gehirn) läuft auf Hochtouren. Du willst mehr immer nur noch mehr und kannst dich dem Zauber des geliebten Menschen einfach nicht entziehen. Deine Denk- und Wahrnehmungsfähigkeit ist stark eingeschränkt. Die Psychologen nennen das Tunnelblick, der Volksmund nennt es rosarote Brille.

Der präfrontale Cortex beispielsweise, Zentrum für das Planen von Handlungen und Lösen von Aufgaben sowie Ort rationaler Entscheidungen und des Arbeitsgedächtnisses fährt seine Aktivität deutlich herunter. Wir sind nahezu unfähig, klar zu denken. Auch ein Bereich, der dafür zuständig ist, andere Menschen sozial einzuschätzen vermindert seine Aktivitäten. Ja, Liebe scheint tatsächlich blind zu machen…

Die Chemie der Liebe

Während der Dopaminspiegel im Banne der Verliebtheit ansteigt, nimmt der Serotoninspiegel ab. Dopamin ist der Stoff, der uns antreibt, der uns Motivation verleiht. Durch die vermehrte Ausschüttung des Botenstoffs Dopamin, das auch als Belohnungs-Neurotransmitter gilt, versetzt die Verliebtheit die meisten Menschen tatsächlich in eine Art Rausch der Glücksgefühle. Dieses Hochgefühl erleichtere uns auch die Vorstellung, dass es das Richtige ist, sich auf diese Beziehung einzulassen.

Beim als Glückshormon bekannten Serotonin sieht es ganz anders aus. Der Serotoninspiegel von Verliebten ähnelt denen von Menschen mit einer Zwangsstörung, wie jüngste Untersuchungen ergaben. Der Hirnforscher Semir Zeki behauptet deshalb: „Liebe ist am Ende eine Form von Obsession.“ Sie lähme das Denken und lenke alle Wahrnehmung in Richtung des geliebten Menschen. Man kann also getrost davon sprechen, dass die Liebe dich besessen macht. Alles dreht sich nur noch um den Anderen. Tag und Nacht kreisen die Gedanken um ihn oder sie.

Wenn es also erst einmal gefunkt hat, folgen wir unseren Anlagen. Wir können nicht anders. Vielleicht denken wir später einmal daran, wenn wir im uns im Zuge einer Trennung betrogen fühlen. Nämlich immer dann, wenn der Partner plötzlich Seiten aufzieht, die wir überhaupt nicht von ihm kennen. Mag sein, dass er sie vor uns verborgen hat, um uns zu gefallen, ebenso ist es aber auch gut möglich, dass wir es gar nicht hätten wissen wollen.

Auseinandersetzungen als ein Zeichen von Wahrnehmung

So sehr sie mir verhasst waren, die Auseinandersetzungen, während ich mit meiner Frau zusammen lebte, so sehr fehlten sie mir später. Es schien plötzlich alles so egal zu sein. Ob ich es so machte oder so, wenn interessierte es? Das Alleinsein hat eben auch seinen Preis. Wenn ich am nächsten Tag nicht mehr da gewesen wäre, was dann? Nichts. Niemand hätte es bemerkt, weil ich nicht wirklich irgendwo dazu gehörte. Sicher hätten sich meine Kinder irgendwann gewundert, wenn ich auf ihre Mails nicht mehr reagiert hätte, aber das hätte Wochen dauern können.

Bedeutungslos

So direkt im Alltag irgendeines Menschen hätte meine Abwesenheit keinerlei Bedeutung gehabt. Und ist es nicht auch das, wofür wir leben? Wollen wir nicht eine Bedeutung im Leben eines anderen Menschen haben? So lange die Kinder noch klein waren, war diese Rolle für mich unangefochten da, aber dann? Solange meine Ehe intakt war, war auch mein Seelenleben intakt. Als ich später in einer neuen Partnerschaft lebte, hatte ich wieder dieses schöne Gefühl, dazu zu gehören, gebraucht zu werden, geliebt zu sein.

Auseinandersetzung

Meine Frau stritt sich (gern) mit mir. Gern in Klammern, weil sie das nicht wirklich gern tat, aber es war für sie eine Form des Sich-Ansehens, eine Form des Miteinander. Die Auseinandersetzung bei Meinungsverschiedenheiten beinhaltete für sie die Suche nach einer gemeinsamen Lösung, einer Lösung in der beide Parteien vorkamen. Für mich bedeutete dies hingegen immer nur ein Abweichen müssen von meiner Linie, ein Nachgeben müssen.

Vermeidung

Ich vermied solche für mich brenzlichen Situationen, so gut es ging. Und so vermied ich, mit ihr zu leben. Ich vermied, sie besser kennen zu lernen, ich vermied, ihr das Gefühl zu geben, dass sie wichtig für mich ist. Ich ignorierte ihre Bedürfnisse. Und wenn mir das auch nicht klar war – an dieser Stelle ignorierte ich sie. Wir gern würde ich mich heute mit ihr auseinander setzen, mich mit ihr streiten, eine Lösung finden, auch mal nachgeben. Doch ist es dafür nun zu spät. Ich hatte meine Chance und das Leben ist mit ihr weiter gezogen.

Eine gelungene Beziehung

Wie soll man es nun richtig machen? Wie gelingt eine Beziehung? Ist es reine Glückssache? Vielleicht sollten wir uns ja einfach von der Vorstellung trennen, eine gute Beziehung müsse ein Leben lang halten? Schön, wenn sie dies tut, aber auch kürzere Beziehungen können für diese Zeit gute Beziehungen gewesen sein. Beziehungen, die einem das Leben schöner und reicher gemacht haben, die etwas Glanz brachten in die Tristesse des Alltags. Wenn es uns gelingt, die Erwartungen etwas nach unten zu schrauben und anstatt die perfekte Beziehung anzustreben, dann ist dies vermutlich gar nicht so schwer.

Vertrauen und Ehrlichkeit

Ich denke, eine gute Beziehung ist immer möglich, wenn die Ehrlichkeit zum Partner größer ist als die Angst vor dem Alleinsein, wenn das Vertrauen größer ist als als die Summe aller bisherigen schlechten Erfahrungen und wenn das Wort Treue nicht ausgesprochen werden muss. Zu einer guten Beziehung gehören für mich ferner eine Liebe, die nicht aufrechnet, die nicht fordert, nicht erwartet, eine Liebe die nur darauf aus ist, sich zu verschenken. Und zu einer guten Beziehung gehört die Freiheit. Freiheit, dass jeder so sein darf, wie er ist, eine Atmosphäre gleichsam, in der sich jeder Teil frei entfalten kann. Klingt doch eigentlich alles ganz einfach, oder? Ja, das tut es ja recht oft im Leben und doch ist das Alleinsein öfter Thema als es die meisten Menschen wahrhaben wollen.

Die Crux der Verliebtheit

Manchmal denke ich auch, man sollte sich in der Phase des Kennenlernens nicht ständig von seiner besten Seite zeigen. Denn was, wenn der oder die Zukünftige ein Problem damit haben, wenn sie später die bis dahin verborgenen Seiten am Anderen entdecken? Oftmals wird dann versucht, den Partner wunschgemäß  zurecht zu biegen, was in aller Regel aber auf wenig Begeisterung stößt. Hätte man gleich erzählt, was den potentiellen Partner später stören könnte, ersparte man sich womöglich eine Menge Unannehmlichkeiten. Aber wer würde das am Anfang einer Beziehung schon tun, wenn er doch unbedingt den anderen Menschen da draußen „haben“ will. Da werden eben doch alle Augen und Ohren zugedrückt und los geht es schnurstracks mit Tunnelblick und Co in Richtung hoffnungsvoller Liebeslab. Es liegt uns eben in den Genen und wir werden es vermutlich nicht ändern, auch wenn wir noch so viel darüber wissen.

Und wenn es doch zur Trennung kommt?

Vielleicht hilft es uns, am Ende etwas gelassener auf das zu sehen, was gerade und immer wieder geschieht: Menschen trennen sich. Darum prüfe einmal, ob du dich in solch einem Fall eventuell auf folgende Grundsätze einlassen könntest:

  • Lass deinen Partner in Liebe gehen, denn eine Zeit lang war er/sie gut für dich…
  • Trage nichts nach, denn du wärst es, der dann an etwas zu tragen hätte…
  • Mache deinen Frieden, dann hat auch die Welt etwas davon…
  • Gib niemandem die Schuld an der Trennung, aber übernimm für deinen Teil die Verantwortung…
  • Grolle nicht, sei lieber dankbar für jede Erfahrung, die du machen durftest…
  • Eine Trennung ist nicht das Ende deiner Lebensgeschichte, nur das Ende eines Kapitels…

Und nun, da du Frieden hast mit dir und der Welt, bist du auch bereit für neue Erfahrungen. Lasse dich nicht von deiner Angst vor dem Alleinsein führen, denn sonst ist nicht ausreichend Platz für deine Liebe. Eine wahre Liebe kennt keine Angst, denn sie erwartet nichts. Eine wahre Liebe ist etwa die Liebe, mit der du die Natur liebst. Du tust es einfach. Du kannst nicht anders. Und du erwartest keine Gegenleistung. Wahre Liebe vermag die Welt zu einer besseren Welt zu verändern, am meisten aber  wird sie es mit deinem Leben tun…

Quellen zu „Einsamkeit und Alleinsein“

Foto: Michaela Schöllhorn / pixelio.de , Wikipedia,  fr-online.de,  dasgehirn.info,   focus.deallein sein

Das könnte dich auch interessieren …