Ursache meiner Depression – Eine Lebensgeschichte

Ursache Depression

Warum bin ich depressiv?

So vielgestaltig Depressionen sein können, so verschieden können auch die Gründe und Ursachen für eine Depression sein. Meist handelt es sich nicht nur um eine alleinige Ursache. Eine Verkettung mehrerer Ereignisse und Schicksalsschläge ist typisch für die Depression. Und letztlich spielt natürlich auch die genetische Veranlagung eine nicht ganz zu vernachlässigende Rolle. Die Fachleute sprechen hierbei von Disposition. Menschen sind verschieden und manche sind einfach anfälliger, im Laufe ihres Lebens einmal eine Depression zu entwickeln. 


Man hat festgestellt, dass Personen, die gleiches erlebt haben, durchaus unterschiedlich damit umgehen können. Die einen entwickeln eine Depression infolge eines schwerwiegenden Ereignisses, die anderen nicht. Frühkindliche Erfahrungen haben aber doch einen ganz entscheidenden Einfluss auf die psychische Entwicklung eines Menschen. Gewalt im Elternhaus, Liebesentzug oder der frühe Verlust eines Elternteils gehen an der Psyche des kleinen Menschen nicht spurlos vorüber. Hier liegen meist die ersten Ursachen einer Depression.

Die Belastung als Ursache der Depression

Der Rest der Geschichte ist aus meiner Sicht einfach. Es braucht dann, je nach Belastbarkeit des einzelnen Menschen noch ein weiteres oder mehrere schwerwiegende Ereignisse im Leben. Dinge von großer Belastung fungieren oftmals als Ursache der Depression. Wenn die persönliche Grenze der Belastbarkeit erreicht ist, tritt die Depression zu Tage. Hierbei kann ein Burnout ein wichtiger Vorbote sein, muss aber nicht. Es ist kein Zeichen von Schwäche, wie oft angenommen wird, sondern es ist ein Zeichen von zu viel Belastung, einer Depression zum Opfer zu fallen. Die stärkste Brücke wird zerbrechen, wenn sie zu sehr belastet wird, denn auch sie hat eine Lastgrenze.

Verlusterleben

Als ich sechs Jahre alt war, starb meine Mutter an Leukämie. Mein Vater heiratete zwei Jahre später wieder. Meine „neue“ Mutter war nur neun Jahre älter als ich. Ich musste sie mit „Mutti“ ansprechen. Tat ich das nicht, gab es Schläge von meinem Vater dafür. Ich hasste meine Stiefmutter dafür, dass sie nicht imstande war, auf diese verlogene und demütigende Anrede zu verzichten. Hier ging es nicht um Liebe, nicht um Familie – hier ging es um Macht und Unterordnung. Ich hatte gerade meine Muter verloren und niemand war in der Lage, diesen Verlust auszugleichen – NIEMAND! Ich beugte mich der Gewalt und nannte sie fortan „Mutti“, wenn es sich nicht vermeiden ließ.

Das konnte natürlich nicht gut gehen. Wir konnten nie ein ehrliches Verhältnis zueinander entwickeln, da ich ihr ja immer etwas vorlügen musste. Häusliche Gewalt tat ihr Übriges. Mein Vater war ein starker Mann, jedenfalls gegenüber seiner Frau und seinen Kindern… Und auch meine Stiefmutter fühlte sich aufgrund dieses vorbildhaften Einflusses ermutigt und ermächtigt, mich mit Schlägen zu „erziehen“. Es gab keinen Ausweg für den kleinen Benno. Das war sein Leben, sein Zuhause und sicher auch eine Ursache für seine heutigen Depressionen.

Armeezeit

Später war es die anderthalbjährige Zeit bei der Nationalen Volksarmee der DDR – die meinem Leben eine weitere Schramme verpasste. Es gab eine Wehrpflicht und nicht die Möglichkeit, sich beispielsweise durch Wehrdienstverweigerung diesem Schicksal zu entziehen, so wie es etwa im Westteil Deutschlands möglich war. Eigentlich wollte ich nie Soldat werden und schon gar nicht eine Waffe in die Hand nehmen, um sie auf Menschen zu richten. Das verbot mir meine christliche Einstellung. Aber die Alternative war das Gefängnis bei Verweigerung oder ein Bausoldatendienst mit Drill am Holzgewehr.

So ließ ich das mit der Verweigerung sein und schluckte die Kröte. Ich wurde ans „Ende der Welt“ eingezogen und kam nur sehr selten nach Hause. Wir wurden gedrillt, hatten zu gehorchen, durften nicht denken, nur gehorchen. Gefiel es den „Schleifern“ nicht, was wir taten, wurden wir bestraft. Es war eine eigene, farblose Welt mit eigenen Gesetzen. Ein Entkommen war nicht möglich und damit eine weitere Ursache der Depression geschaffen.

Die Staatssicherheit

Der dritte Bruch in meinem Leben kam durch die Zersetzungmaßnahmen der Staatssicherheit der DDR. Ich hatte 1985 für meine Familie die Ausreise in die Bundesrepublik beantragt, weil unsere Wohnsituation desolat war, aber sämtliche Wohnungen staatlich vergeben wurden. Als Christ ohne Jugendweihe und ohne Parteibuch war ich irgendwie immer am Ende der Liste und konnte zusehen, wie die Genossen in „meine“ Wohnungen einzogen. Als ich begriff, wie das Spiel lief, wurde mir klar, dass das so nie etwas wird. Entweder ich arrangierte mich mit dem System und tat, was alle taten oder ich musste ausbrechen.

Ausreiseantrag

Ich entschied mich für Letzteres und stellte einen Ausreiseantrag. Aber dann ging es erst richtig los…. (ich komme gerade vom Thema ab, ich glaube das füllt einmal einen eigenen Blog). Meine Freunde wandten sich von mir ab. Auch meine Familie distanzierte sich von mir. Meine Nachbarn und Kollegen sahen ab jetzt besonders genau hin. Meine Stasiakte ist 20 cm dick. Ich wurde zum erklärten Staatsfeind und das alles nur, weil ich nicht länger in der DDR leben wollte. Auch hier gab es scheinbar keinen Ausweg. Ich halte diesen Teil meines Lebens für die hauptsächliche Ursache meiner jetzigen Depression.

Das wohl fatalste Erlebnis lieferte dann die größte Belastung. Nach 3 Jahren Bearbeitungszeit, und das kannst du mir glauben, ich wurde wirklich intensiv bearbeitet, lehnte man meinen Antrag auf ständige Ausreise ab. Die Begründung fiel kurz aus: ich sei nicht antragsberechtigt gewesen. Natürlich wollte ich das so nicht hinnehmen, denn wenn ich nicht antragsberechtigt gewesen wäre, hätte man mir dies ja sofort nach Antragstellung sagen können. Ich schrieb also einen Beschwerdebrief. Zwei Wochen danach wurde ich von der Staatssicherheit der DDR verhaftet. Ich wurde der öffentlichen Herabwürdigung der sozialistischen Ordnung beschuldigt und in einem geheimen Prozess vor dem Kreisgericht Halle zu 14 Monaten Freiheitsentzug verurteilt.

Schuld als Ursache für Depressionen

Bislang war ich jedesmal das Opfer. Aber nun wurde ich zum Täter. Meine Oma, die nach dem frühen Tod meiner Mutter immer für mich da war, mir Liebe und Wärme gab und womöglich der einzige Mensch war, der stolz auf mich war, wohnte seit 1990 mit uns in einer Wohnung. Kurze Zeit später wurde eine Demenz bei ihr diagnostiziert. Anfangs war das nicht weiter schlimm. Sie hatte nur Gedächtnislücken.

Alzheimer

Mit der Zeit aber veränderte die Krankheit meine Oma mehr und mehr. Am Ende war sie orientierungslos und äußerst misstrauisch geworden. Sie erkannte ihr nahe stehende Menschen nicht mehr, konnte nicht mehr allein sein. Sie vergaß ihre Körperpflege und wurde von Tag zu Tag unruhiger. Ihre größte Sorge war es, dass wir sie nicht mit zum Sonntagsgottesdienst mitnehmen würden. So fragte sie bei jeder Gelegenheit, die sich bot, was für ein Tag denn heute sei und ob wir schon in der Kirche waren. Am Ende war meine Haut so dünn, dass sich mir schon die Nackenhaare aufstellten, wenn ich sie nur über den Hausflur schlürfen hörte.

Überforderung

Sie kam auch nachts an mein Bett und fragte, was für ein Tag wäre. Ich konnte irgendwann nicht mehr, wir konnten alle nicht mehr. Meine damalige Frau hatte das den ganzen Tag, ich ja nur nach der Arbeit. Unsere Kinder versteckten sich, wenn Oma im Anmarsch war. Sie konnten mit Omas Art überhaupt nicht umgehen. Irgendwann war es soweit, dass ich zu ihrem Hausarzt ging und mich offenbarte. Er erklärte mir, dass man einen dementen Menschen nur bis zu einem gewissen Grad adäquat zu Hause pflegen könne und dass es besser sei, für Oma ein Altenheim zu suchen.

So suchte ich für meine Oma ein Altenheim aus. Es roch nach Urin und war alles andere als wohnlich, es erinnerte mich eher an eine Kaserne oder ein Krankenhaus. Ich fand keinen wirklichen Ersatz für ihr jetziges zu Hause. Da aber ohnehin nirgendwo ein Platz frei war, ließen wir uns überall auf die Warteliste setzen.

Das Altenheim

Nach einem weiteren halben Jahr war es dann soweit. Ein Platz ganz in der Nähe wurde frei. Aber Oma wollte nicht ins Altersheim. Sie wollte bei uns wohnen bleiben. So bediente ich mich einer Lüge und sagte ihr, dass es nur für eine Zeit sei, wie für einen Urlaub. Das kannte sie und sie willigte ein. Denn wenn wir einmal im Jahr in den Urlaub fuhren, dann brachten wir sie auch schon mal zur Kurzzeitpflege unter. Als der Tag kam, hatte ich das Gefühl, meine Oma war völlig klar. Sie spürte wohl, dass diesmal etwas anders ist. Sie fragte mich:“Junge, du willst mich doch wohl nicht etwa hier lassen?“ Ich log sie an und versicherte ihr, es sei nur für ein paar Wochen und ich würde sie wieder abholen. Aber ich sah in ihren Augen den Schmerz und die Enttäuschung und wir beide wussten in dem Moment um den Verrat.

Das war ein sehr einschneidendes Erlebnis. Ich wusste, dass es die richtige Entscheidung war, für meine Familie, für Oma und auch für mich. Aber ich wusste auch, dass ich meine geliebte Oma in diesem Moment feige verraten hatte. Ich sah einmal mehr in meinem Leben keinen Ausweg. Da war es wieder, dieses mir inzwischen so gut bekannte Gefühl der Ausweglosigkeit. Vermutlich hatte ich es zu oft fühlen müssen in meinem Leben. Vermutlich ist gerade diese Ausweglosigkeit die Ursache für meine Depression.

Als ich meine Oma eine Woche später besuchte, erkannte sie mich nicht mehr, freute sich aber über meinen Besuch. So war es fortan immer. Ich habe mir das bis heute nicht wirklich verzeihen können.  Meine Oma, vermutlich der einzige Mensch, der mich von klein auf liebte, habe ich in ein Altenheim abgeschoben. Ich habe sie allein gelassen. Das hatte sie nicht verdient. Sie war ein guter Mensch.

Trennung als Ursache der Depression

Die letzte große Belastung passierte, als ich mich nach über zwanzig Jahren Ehe von meiner damaligen Frau trennen musste. Mit dem Zerfall meiner Familie, fiel auch mein ganzes Leben auseinander. Jetzt brach ich zusammen – ich wollte nicht mehr leben. Aus heutiger Sicht glaube ich jedoch, dass ich zu diesem Zeitpunkt schon massiv unter Depressionen litt. Ich glaube heute, dass ich meiner Exfrau nicht mehr genügte, weil ich ihr kein guter Mann mehr sein konnte. Und somit hätte die Depression die Depression genährt, bis zum totalen Zusammenbruch.

Was ich damit sagen will ist, es gibt also nicht die eine Ursache für eine Depression, sondern eher eine Verkettung von vielen Ursachen und ungünstigen Umständen. Wenn wir die Geschichten kennen, die sich hinter den Menschen verbergen, werden wir oft milder im Urteil. Geschichten sollten erzählt werden, finde ich. Verständnis darf so in die Welt kommen und Verständnis tut so gut…

Quellen zu „Ursache meiner Depression“
Foto: jutta rotter / pixelio.de

ursachen der depression

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