Gereiztheit – Die latente Wut

Wut Gereiztheit und Depression

Gereiztheit bei Depression – Wut und Aggression sind oft nach innen gerichtet

Kaum jemand denkt bei dem Begriff Gereiztheit an Depression oder bei Depression an Wut. Depressive Menschen scheinen eher schwach und traurig zu sein. Ein Klischee, das so nicht zutrifft. Insbesondere bei Männern kann sich die Depression durch eine gesteigerte Gereiztheit bemerkbar machen. Betroffene und Angehörige können damit oftmals überhaupt nicht umgehen und stellen daraufhin die Depression in Frage. Völlig zu Unrecht, wie der nachfolgende Artikel aufzeigen möchte.


Typische Merkmale der Depression

Die Depression, so sollte man meinen, ist gekennzeichnet von einem grundlegenden Gefühl der Niedergeschlagenheit, der Bedrücktheit, der Schwere, Trauer und Hoffnungslosigkeit. Das sind alles Gefühle, die herunterziehen, das Leben dämpfen. Überall liest man das so, selbst in der Klassifikation der WHO, dem ICD. Dort heißt es: „Bei den typischen leichten (F32.0), mittelgradigen (F32.1) oder schweren (F32.2 und F32.3) Episoden nach ICD-10 leidet der betroffene Patient unter einer gedrückten Stimmung und einer Verminderung von Antrieb und Aktivität. Die Fähigkeit zu Freude, das Interesse und die Konzentration sind vermindert. Ausgeprägte Müdigkeit kann nach jeder kleinsten Anstrengung auftreten. Der Schlaf ist meist gestört, der Appetit vermindert. Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind fast immer beeinträchtigt. Sogar bei der leichten Form kommen Schuldgefühle oder Gedanken über eigene Wertlosigkeit vor.

Offiziell kein Wort über Gereiztheit und Aggression

Die gedrückte Stimmung verändert sich von Tag zu Tag wenig, reagiert nicht auf Lebensumstände und kann von so genannten „somatischen“ Symptomen begleitet werden, wie Interessenverlust oder Verlust der Freude, Früherwachen, Morgentief, deutliche psychomotorische Hemmung, Agitiertheit, Appetitverlust, Gewichtsverlust und Libidoverlust. Abhängig von Anzahl und Schwere der Symptome ist eine depressive Episode als leicht, mittelgradig oder schwer zu bezeichnen.“ Nicht ein Wort von Wut oder Gereiztheit! Nicht ein einziges Wort über Aggression bei Depression? Und ich bin so voll davon! Manche Tage fühle ich mich so wütend, dass ich jemanden umbringen könnte. Ich koche dann innerlich und jede auch noch so kleine Kleinigkeit ist an solchen Tagen geeignet, das Fass zum Überlaufen zu bringen. Immer wenn das so ist, dann denke ich, dass es gut ist, dass ich alleine lebe.

Wut gegen alles

Meine Wut richtet sich auf alles, was mich umgibt: meine Tiere, die ausgerechnet an diesem Tag alles vollzuschei*** scheinen, den Briefträger, der wieder einmal besonders spät dran ist, die Politik, so dass ich es nicht ertrage, Nachrichten zu hören und jede und jeden, der sich mir anbietet, einfach weil sie oder er da ist. Es macht mich zum Beispiel wütend, dass ich zum dritten Mal eine Gabel aus dem Besteckkorb ziehen will und wieder einen Löffel erwische oder dass ich wieder einmal im Supermarkt stehe, während mein Einkaufszettel noch brav zu Hause liegt. Obwohl das menschlich ist und ich an guten Tagen höchstens ein Augenzwinkern dafür übrig habe und meinen Einkauf problemlos auch ohne Spickzettel erledige, treibt es mich an anderen Tagen schlichtweg auf die sprichwörtliche Palme. Ich bin dann wütend auf mich. Wie kann man nur so blöd sein? Vollidiot! Blödmann! (…und schlimmer!) So werte ich mich dann ab.

Manchmal hatte ich ob meiner Gereiztheit schon Zweifel, ob ich tatsächlich Depressionen habe. Aber es wird mir von sachkundiger Stelle immer wieder versichert, dass dem so sei. Ich hätte eine klassische Depression.

Beziehungsabbruch und Depression

Die Wut ist latent immer da. Empfindsame Menschen, wie meine Frau es war, spürten es durch meine Fassade hindurch. Es bereitete ihr Unbehagen, um nicht zu sagen Angst, mich so zu erleben. Ich selbst spürte die Wut noch nicht einmal. Erst wenn sie mich darauf ansprach, reagierte ich gereizt. Das dürfte dann allerdings ein Zeichen dafür gewesen sein, dass sie Recht hatte, dass sie mitten ins Schwarze getroffen hatte. Erst dann spürte auch ich die Wut, aber dann auch gleich heftig. Oft gerieten wir in Streit ob solcher Situationen. Wir haben uns eigentlich nie um irgendetwas Konkretes gestritten. Darüber konnten wir uns einigen. Wenn Streit aufkam, war dies immer nur auf der Beziehungsebene der Fall.

Es ging um nichts oder mit anderen Worten gesagt, um die berühmte Zahnpastatube. Ein Wort gab das andere, eine Verletzung wurde durch die nächste übertroffen. Wir hatten das ganze Repertoire drauf, von lautem Argumentieren über tränenreiche Gefühwallungen bis hin zum völligen Dichtmachen.

Schweigen kann Aggression sein

Wenn es uns irgendwann zuviel war, schwiegen wir. Das Schweigen als Deckel der Wut, sozusagen. Das Schweigen war  dabei für mich jeweils das Unaushaltsamste. Manchmal hielt es tagelang an. Wir gingen uns dann völlig aus dem Weg. So haben wir uns gegenseitig gequält. Wir waren nicht imstande, die übermannenden Gefühle zu trennen und adäquat zuzuordnen. Wir konnten nicht unterscheiden, welches Gefühl wohin gehörte. Irgendwie wussten wir, dass das alles jetzt hier nichts mit uns beiden, nichts mit unserer Liebe zu tun hatte und dennoch waren wir unseren Gefühlen regelrecht ausgeliefert. Da war die Wut, diese Wut, die nicht sein durfte. Eine Wut ohne Grund, eine Wut ohne Daseinsberechtigung. Ich wollte diese Wut nicht, doch das machte sie nur stärker.

So suchte ich nach Auswegen, nach Erklärungen. Ich suchte nach Ablenkung, trieb Sport, machte Ausdauerläufe, weil ich gelesen hatte, dass man so besser entspannen könne und Ausdauersport gerade bei der Depression sehr positive Einflüsse hätte.

Die falsche Lösung

Aber ich konnte den Knoten nicht durchschlagen. Wieder und wieder gerieten wir in die Falle von Gereiztheit, Wut und Verletzung. Immer schneller steigerten wir uns da hinein. Und so wundert es wohl niemanden, außer uns selbst, dass es eines Tages zum Beziehungsabbruch kommen musste. Nun war es ausgesprochen! Nun war Schluss mit den leidseligen Auseinandersetzungen! Weder wollte ich mich länger meiner Wut rechtfertigen, noch konnte ich sie verbergen. Es schien mir wie eine Erlösung. Natürlich war ich nicht erlöst. Die Wut war immer noch da, nur meine Partnerin war weg. Ich habe etwas Schönes verloren, ich verlor Zweisamkeit. Ich verlor einen Halt in meinem Leben, einen Ankerpunkt. Die Wut behielt ich. Na Dankeschön!

Wut und Kindheit

Wenn Kinder etwas haben wollen und es nicht bekommen, haben sie in der Regel zwei Reaktionsmuster: Sie reagieren traurig oder sie reagieren wütend. Ich durfte weder das eine noch das andere. Ich hatte unauffällig zu sein. Reagierte ich traurig, provozierte ich damit und reagierte ich wütend? Ich reagierte niemals wütend… Hat meine Gereiztheit von heute vielleicht etwas mit der Wut zu tun, die ich als Kind aus Angst unterdrücken musste? Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht. Ich habe mir diese Frage schon so oft gestellt. Natürlich habe ich Theorien, aber Theorien kann man viele haben. Es ist wie mit Wünschen. Sie müssen nicht in Erfüllung gehen. Wenn ich die Wut in einer konkreten Situation spüre, ist sie stets mit der Situation verknüpft. Dann hat eben der Briefträger die Schuld oder mein Hund, die deutsche Politik oder wer auch immer.

Wenig Freiheiten

Ich kann keine Verbindung zu Vergangenem herstellen und doch muss es eine solche Verbindung geben. Meine Wut ist abgespalten vom ursprünglich auslösenden Ereignis. Das  ist ein Überlebensmechanismus bei uns Menschen. In großer seelischer Not, trennen wir unsere Gefühle von unseren Erinnerungen. Wenn ich mich auf Spurensuche begebe, versuche ich herauszufinden, in welchen Situationen ich wohl hätte Wut empfinden können. Als erstes fällt mir da natürlich mein Elternhaus ein. Mein Vater war ein strenger Mann. Er dachte, es wäre gut, was er tat. Er wollte ordentliche Menschen aus uns Kindern machen. Und so ließ er uns nichts durchgehen. Er hatte die Kontrolle. Er stellte die Regeln auf, die für alle zu gelten hatten (nur nicht für ihn). Zum Beispiel durften wir Kinder bei Tisch nicht reden. „Beim Essen spricht man nicht!“, lautete die passende Regel dazu, während mein Vater jedes Mal in voller epischer Breite seinen Arbeitstag oder andere Erlebnisse schilderte.

Ich hatte nicht viele Freiheiten und wenn ich sie mir doch das eine oder andere Mal zu nehmen versuchte, dann gab es Schläge.

Ein narzistischer Vater

Es gab Schläge und Verbote. Ich denke, dass Wut hier ein angemessenes Gefühl für ein Kind oder einen Jugendlichen ist. Aber ich kann diese Wut nicht fühlen. Auch heute nicht. Da fühle ich eher noch die Angst, obwohl mein Vater heute ein alter kranker Mann ist. Diese Angst einer übermächtigen Gewalt schutzlos ausgeliefert zu sein, steckt mir noch immer tief in den Knochen. Für die Szene bei Tisch empfinde ich auch keine Wut, eher Verachtung. Die Erinnerung an die Schläge, die er austeilte, lösen eher Angst in mir aus, aber auch Bedauern, Bedauern dafür, dass er es nicht besser wusste. Für die vielen Verbote empfinde Unverständnis. Aber Wut? Nein, ich bin nicht auf meinen Vater wütend. Ich bin enttäuscht. Ich bin ängstlich und ich bin traurig, dass er Liebe zu zeigen so wenig in der Lage und womöglich gar nicht imstande war.

Die Staatsmacht und die Wut

Was sich im Kleinen bei uns zu Hause abspielte, dass fand sich auch draußen außerhalb der heimischen Mauern wieder. Mein Vater regierte mit eiserner Hand. Er war ein kleiner Diktator, wenn man so will. Und das Land, in das hinein ich geboren wurde, war ebenfalls eine Diktatur. Walter Ulbricht, Lotte Ulbricht, Erich Honecker, Erich Mielke, Willi Stoph, Egon Krenz, all diese Namen stehen für Unterdrückung, für Freiheitsberaubung, für Gehirnwäsche, Bespitzelung, Denunziation. Sie stehen für Zwangsmaßnahmen und das Verbreiten von Angst. Es war ein Polizeistaat, in dem ich aufwuchs. Du konntest keine halbe Stunde durch irgendeine Stadt gehen, ohne einem Vopo (Volkspolizisten) begegnet zu sein. Sie waren überall. Überall waren auch die „Unsichtbaren“, die Geheimdienstler und ihre Mittelsmänner. Sie waren die wahre Macht im Staate, denn sie kontrollierten auch die Volkspolizei, das Politbüro, ja sie kontrollierten sogar sich selbst. Abweichler mussten auf jeden Fall sofort kenntlich gemacht werden.

Alles wurde kontrolliert

Der Staat kontrollierte alles. Ob du Abitur machen durftest, war nicht abhängig von deinen Noten, jedenfalls nicht nur. Ich wollte auf das Gymnasium. EOS (Erweiterte Oberschule) hieß das in der DDR. Ich hatte keinen so schlechte Durchschnitt, lag unter 1,5. Aber zum Abitur wurde ich nicht zugelassen. Wut wäre hier wohl das richtige Gefühl gewesen. Aber damals spürte ich auch diese Wut nicht. Wut gegen den Staat zu zeigen, war immerhin auch lebensgefährlich. Das hatte ich bis dahin wohl schon begriffen. Auch später, als ich jung verheiratet keine Wohnung bekam, während linientreue Parteigenossen ohne Kinder in Wohnungen mit Kinderzimmer einzogen, spürte ich mehr Ohnmacht als Wut. Der Staat hatte die Kontrolle über die Wohnraumvergabe.

Spott und Hohn

Jeden Dienstag lief ich zur Sprechstunde ins Rathaus, um endlich eine passende Wohnung für meine Familie mit seinerzeit immerhin schon zwei Kindern zu erhalten. Aber ich erhielt nichts außer Absagen, still verhöhnenden Blicken und dem Gefühl, ich sei ja selbst Schuld an allem. Würde ich mich etwas mehr für die Idee des Sozialismus ins Zeug legen, würde es sicherlich auch mit einer Wohnung klappen.

Wohin mit der Wut?

Wozu Menschen fähig sind, wird immer in Grenzsituationen deutlich, in Kriegen, während Naturkatastrophen oder eben in Diktaturen. Heute kann ich Wut fühlen, wenn ich in Gedanken zurück gehe in jene Zeit. Aber heute gibt es die DDR nicht mehr. Keiner will mehr etwas wissen von den alten Geschichten und überhaupt, so schlecht war es doch nun auch wieder nicht, sagen nicht wenige! Jetzt spüre ich Wut und Gereiztheit! Ja, ich bin stinkwütend auf die ehemaligen Genossen, die ganze Muschpoke, die sich heute mit unser aller Steuergeldern ihren „wohlverdienten“ Lebensabend versüßen lässt, während die Opfer jener Zeit eine Psychotherapie nach der anderen machen und dennoch keinen Frieden finden.

Wo soll ich also hin mit meiner Wut? Soll ich vielleicht einen Antrag auf Wiedergutmachung stellen? Ha, das tat ich. Der wurde abgelehnt, weil man nicht mit Sicherheit sagen könne, dass meine Erlebnisse im sozialistischen Staat, speziell meine monatelange Inhaftierung durch die Staatssicherheit ursächlich für meine heutigen seelischen Probleme seien. Ein Antrag hilft also auch nichts. Da werden Wut und Gereiztheit nur noch größer. Wohin also soll ich gehen mit meiner Wut? Wie kann ich sie wieder los werden?

Wut Gereiztheit und Stolz

Ich habe die tiefsten Tiefen der Depression durchlebt. Ich wollte nicht mehr weiter leben. Manchmal lag ich da und fühlte mich nicht in der Lage, mich zu bewegen. Meine Füße waren gleichsam schon zu Eis erstarrt. Ich fühlte sie nicht mehr. Ich dachte, dass ich sie vielleicht bewegen sollte, aber selbst das war mir zuviel. Sogar das Atmen schien mir eine unnötige Anstrengung zu sein. Ich dämmerte vor mich hin und wünschte, ich müsste nie mehr aufwachen.  Einige Male half ich auch nach, blieb aber immer erfolglos, stellte mich zu dumm an, war wohl tatsächlich nicht mehr ganz bei klarem Verstand. Von allen Gefühlszuständen, die ich kenne, ist die Depression wohl die, die mir am meisten zu schaffen machte. Sie machte mich so unendlich hilflos, ohnmächtig, hoffnungslos, ließ mir alles so sinnlos vorkommen. Nichts und niemand konnte mich mehr halten, auch die, die es versuchten.

Alles zuviel

Du möchtest dir das Leben nehmen, aber auch das ist dir noch zuviel. Wenn es einfach geschähe, denkst du, ja wenn es einfach geschähe, das wäre gut. Und dann fühlst du irgendwann die Wut. Wut ist ganz anders als die typischen Gefühle der Depression. Wut fühlt sich stark an und mächtig. Du spürst Energie, Lebensenergie. Du spürst plötzlich etwas, das du schon nicht mehr zu haben glaubtest und das fühlt sich zugegebenermaßen auch ein wenig gut an. Es macht dich stolz, diese Kraft zu fühlen, es macht dich stolz, das Leben wieder zu fühlen, auch wenn es über die Wut ist. Erst einmal ist es eine positive Erfahrung für dich, wenn du lange Zeit nur Depressionen kanntest.

Wut Gereiztheit und Scham

Aber nicht dass es damit getan wäre. Du fühlst Wut und Kraft und Stärke und kehrst der Depression den Rücken, denkst du? Das dachte ich auch. Aber leider sind die Dinge ein ganz klein wenig komplizierter. Seit ich das erste Mal die Wut spürte während meiner Depression ist schon viel Zeit vergangen. Die Wut ist noch da. Die Depression auch. Hinzu gekommen ist die Scham. Denn ich schämte mich alsbald dafür, wütend zu sein. Kaum war das erste angenehme Gefühl verflogen, bemächtigten sich auch schon die ersten Zweifel meiner. Wieso bist du denn jetzt wütend? Du hast doch keinen Grund! Hör auf damit! Ich schämte mich dafür, wütend zu sein. Meiner Frau Unbehagen zu bereiten, löste ebenso Scham in mir aus wie die Tatsache, dem Briefträger Unrecht getan zu haben oder meinem Hund. Das war dann jeweils die zweite Stufe der Selbstabwertung.

Falsche Bewertung der Wut

Nachdem ich mich ja vorher schon mehrfach fertig gemacht und als unfähig abgestempelt hatte, kommt nun, nachdem ich dem gewahr wurde was ich da tat, auch noch Scham dazu. Eigentlich will ich doch ein guter Mensch sein! Da passt die Wut nicht in mein Schema. Wut ist ein destruktives Gefühl. In meiner Gereiztheit verletze ich Menschen, tue ich Menschen Unrecht, füge ihnen Leid zu. Nein, darauf kann man wahrlich nicht stolz sein, denke ich…

Besser Gefühle nicht unterdrücken

Falsch! Die Wut ist nur ein Gefühl. Wut allein zerstört noch gar nichts. Wut zeigt nur an, was ist. Entscheidend ist hier wohl mein Umgang mit der Wut. Weil ich nicht weiß, wohin damit, weil ich Wut und Gereiztheit als etwas ansehe, dass ich lieber nicht an mir haben möchte, also ablehne, kann ich sie auch schlecht lenken. Ich will sie ganz weg haben, anstatt ihr nachzuspüren. Man kann Gefühle nicht weg machen. Man kann sie bestenfalls unterdrücken – für eine Zeit. Aber etwas zu unterdrücken macht auch immer Druck und irgendwann ist sie wieder da, die Wut – stärker denn je.

Wut Gereiztheit und Mitgefühl

Es wird einen Grund geben für meine Gereiztheit, auch wenn ich das in der konkreten Situation oft nicht kausal zuordnen kann. Es gibt immer einen Grund. Vielleicht sollte ich langsam begreifen, dass nichts ohne Grund geschieht. Wenn ein Kind weinend am Straßenrand hockt, nehme ich es in den Arm und versuche, es zu trösten, zu beruhigen, ihm beizustehen. Erst an zweiter Stelle frage ich, was passiert ist, um zu verstehen. Zu allererst ist Verstehen gar nicht nötig. Das Kind braucht mein Mitgefühl. Und wie gehe ich mit mir selbst um? Ich bin wütend auf mich, weil ich wütend bin und schimpfe mich aus? Ich werte mich ab? Und damit nicht genug, schäme ich mich auch noch für mich? Am Ende habe ich damit alle destruktive Energie gegen mich selbst gerichtet. Ob dazu die Wut wohl angetreten war?

Kann es der Sinn der Wut gewesen sein, mich selbst zu verletzen? Mitnichten! Denn Gefühle sind eigentlich Lebenshelfer. Sie zeigen mir an, was ist und was nötig ist.

Drei Schritte sind nötig

  • Als ersten Schritt sollte ich begreifen, dass es da eine Wut in mir gibt, die womöglich schon einige Jahre alt ist. Es wäre zunächst nicht die Frage, ob die Wut berechtigt ist oder nicht. Es ginge lediglich darum festzustellen, dass sie da ist.
  • In einem zweiten Schritt hieße es Ja zu dieser Wut zu sagen und sie nicht länger als etwas wie „Das tut man nicht!“ abzulehnen.
  • Und in einem dritten Schritt ginge es darum, ein Mitgefühl zu entwickeln, ein Mitgefühl für den Menschen, der zum ersten Mal diese Wut gespürt haben muss.

Ich weiß nicht, ob ich es je aufklären kann, woher die Wut tatsächlich kommt, aber über eines bin ich mir am Ende dieses Beitrages sicher geworden: Mit Ablehnung, Selbstabwertung, Eigenverurteilung, mit Wut gegen mich selbst und mit Scham komme ich nicht weiter. Dieses Muster praktiziere ich nun schon einige Jahre, wobei sich dies absolut nicht als hilfreich erwiesen hat. Die Wut ist noch da und die Depression auch. Womöglich sollte ich mich in Zukunft liebevoller mit den dunkleren Seiten meiner Persönlichkeit beschäftigen, die wenn ich meinem Über-Ich glaube, eigentlich nicht in mein Schema passen? Menschen sind nicht nur lieb, brav, freundlich, großzügig, hilfsbereit, gerecht und sanftmütig. Menschen sind auch immer genau das Gegenteil davon und je mehr sie dies an sich ablehnen, umso mehr sind sie es vermutlich.

Die Wut gehört zu mir. Ich denke, es wird langsam Zeit, ihr ein Bett anzubieten…

Quellen zu „Depression Gereiztheit – Die latente Wut“

Foto: clipdealer.de gereiztheit

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