Achtsamkeit – Leben für den Moment

Achtsamkeit und Depression

Achtsamkeit ist ein Geschenk der Götter an die Menschen

Wir Menschen lieben ja die Dinge für die Ewigkeit. Und so bauen wir uns Häuser aus Stein und kaufen uns Autos mit Langzeitgarantie. Wir streben einen unbefristeten Arbeitsvertrag an und sind traurig, wenn unsere Lieblingsjeans nicht fünfzig Jahre hält. Wir wünschen uns den Partner für’s Leben und werten eine Trennung oftmals als Versagen. Was ewig hält ist gut, dessen sind wir überzeugt. Obwohl es gerade die Veränderungen in unserem Leben sind, die uns voranbringen und die unser Leben lebendig halten, scheuen wir sie oftmals wie der Teufel das Weihwasser. 


Meist sind es Nöte oder äußere Zwänge, die uns dazu veranlassen, einmal etwas anderes auszuprobieren. Selbst der in unserer Gesellschaft vielgepriesene hochflexible Erfolgsmensch ist nicht unbedingt immer der,  für den er sich ausgibt. Fünfzig Prozent seiner Energie verwendet er nämlich nicht selten darauf, das bislang Erreichte vor Anderen zu schützen und zu verteidigen. Was wir Menschen wirklich wollen, was wir wirklich brauchen, ist Sicherheit. Es ist ein Grundbedürfnis, ähnlich wichtig wie Nahrung und Liebe. Weil wir in unserem Leben möglichst viel Sicherheit haben wollen, lieben wir die Dinge für die Ewigkeit. Sie stehen in unserer Werteskala ziemlich weit oben. So haben wir das gelernt. Schließlich machen es alle so. So muss es richtig sein. Aber ist es das auch wirklich und was hat das alles mit der vielgepriesenen Achtsamkeit zu tun?

Nichts ist von Dauer

Unser Leben ist endlich. Und die Wahrheit ist: Nichts währt ewig, vermutlich nicht einmal das Universum. Manchmal glauben wir, die Dinge seien unendlich, nur weil wir das Ende gerade nicht sehen können. Dennoch gibt es ein Ende. Alles hat ein Ende, jede Beziehung, jeder Arbeitsvertrag, jede Erfolgsstory, jeder Tag. Jedes Jahr hat ein Ende, aber auch jede Krankheit, jedes Leid, jeder Schmerz und jede Enttäuschung. Alles ist für den Moment. Selbst dein sogenannter „Letzter Wille“ ist es mit Sicherheit nicht, es sei denn, dich segnet das Zeitliche noch ehe die Tinte trocken ist.

Der Wunsch nach Sicherheit

Ich finde es inzwischen gut, dass es so ist. Ich war auch immer so gepolt, dass alles für die Ewigkeit sein musste und habe dabei oftmals den Zauber des Moments gar nicht mehr wahrnehmen können. Viel zu sehr war ich damit besetzt, für die Ewigkeit vorzusorgen. Da fällt mir eine Geschichte aus der Bibel ein, in der ein wohlhabender Landwirt eine gute Ernte hatte. Die Ernte war so gut, dass seine Scheune nicht ausreichte, alles eingefahrene Korn aufzunehmen. Und so entschloss er sich, weitere Scheunen zu bauen und füllte sie alle bis zum Rand. Als die viele Arbeit getan war, sagte er zufrieden zu sich selbst: „So, nun kann kommen, was will. Wir haben zu essen und zu trinken. Es wird uns an nichts fehlen.“ “ Du Narr“, sagte da Jesus zu ihm, „noch heute Nacht wird man dein Leben von dir zurück fordern.“

Meinungen dürfen sich ändern

Nichts ist für die Ewigkeit. Alles was wir denken, fühlen und empfinden, alles was wir wahrnehmen, glauben und wovon wir überzeugt sind, gilt eigentlich nur für den Moment. Wir können nicht wirklich wissen, ob wir morgen die Dinge auch noch so sehen. Es passiert nicht selten, das Menschen ihre Meinung ändern. Gerade bei Politikern finden wir dies immer unaushaltsam. Wir nennen sie dann schnell einen Wendehals und meinen das nicht unbedingt freundlich. Es verletzt unser Bedürfnis nach Sicherheit, wenn Dinge sich ändern, die wir als verlässlich einstuften. Und das was unsere Sicherheit verletzt, macht uns wütend, vielleicht sogar aggressiv, mit Sicherheit aber ängstlich. Und wir sind enttäuscht. Enttäuschung ist eine Mischung aus Wut und Trauer. Doch sind wir nur deshalb enttäuscht, weil wir von einer unrealistischen Vorstellung ausgingen.

Wie konnten wir ernsthaft glauben, dass ein Mensch seine Ansichten nicht ändert? Ändern wir denn unsere Ansichten nie? Und wenn nein, ob das wohl ein gutes Zeichen ist?  Es ist alles nur für den Moment. Jedes Gefühl ist für den Moment, ob Trauer, Freude, Ärger, Wut, Ekel, Scham oder Überraschung – jedes Gefühl vergeht. Gefühle die nicht vergehen, gibt es nicht. Womöglich werden sie fälschlicherweise manchmal von uns als Gefühle verstanden, weil wir etwas fühlen, zum Beispiel wenn wir uns gekränkt fühlen. Die Kränkung aber ist kein Gefühl. Sie ist ein Zustand. Zustände sind etwas anderes als Gefühle. Zustände können andauern. Mitunter hören sie nicht auf, bis dass wir selbst sie beenden.

Das Leben ist Veränderung

Was aber, wenn wir gezwungen wären, ein Leben lang denselben Göttern nachzulaufen? Wie wäre es, wenn man uns übel nähme, dass wir zu neuen Erkenntnissen kämen, zu anderen Ansichten und veränderten Einstellungen? Macht nicht gerade jene Veränderung das Besondere am Leben aus? Sind es nicht gerade diese Momente, die uns das Leben in seiner ganzen Lebendigkeit fühlen lassen? Wie könnten wir uns je weiter entwickeln, wären wir nicht bereit, unseren Standpunkt zu verlassen? Könnten wir so etwa reifen und gar Weisheit erlangen? Wie könnten wir uns an neuen Erlebnissen erfreuen, wenn ein Tag doch immer dem anderen gliche? Der Zauber des Lebens liegt im Wandel. Er liegt im Kommen und Gehen, im Geborenwerden, Heranwachsen und Reifen bis ins hohe Alter.

Der Zauber liegt im Augenblick

Der Zauber des Lebens liegt ganz in dem   M   o    m   e   n   t.   Jetzt, da du hier gerade ein Wort buchstabierst, ist dieser Moment, um den es geht.  Du nimmst dir gerade Zeit und liest diesen Beitrag, machst dir Gedanken über dich und dein Leben. Gerade jetzt und in diesem Augenblick findet es statt – dein Leben. Leben ist die bewusste Wahrnehmung dessen, was ist. Das geht nicht in der Zukunft. Leben ist, etwas zu erleben. Das geht auch nicht in der Vergangenheit. Der Zauber des Lebens liegt im Augenblick. Das macht ihn so kostbar, so einzigartig, so unwiederbringbar.

Festhalten wollen

Manchmal versuchen wir, die besonderen Augenblicke des Lebens festzuhalten, mit Fotoapparaten, Handys oder Videokameras. Manchmal versuchen wir den Augenblick für die Ewigkeit zu archivieren. Und dennoch können wir nur einen Teil dessen was war, speichern. Ein Foto kann weder den Geruch, noch den Geschmack beschreiben. Ein Foto ist nur eine Illusion. Oftmals ist es auch so, dass das Anfertigenwollen eines Erinnerungsfotos den erinnernswerten Augenblick nahezu ruiniert, insbesondere dann, wenn die Erwartungen an das Foto besonders hoch sind. Aber wir Menschen lieben Erinnerungen. Ich liebe sie auch. Wir lieben Fotos und erfreuen uns später an ihnen oder sind traurig beim Betrachten, weil die Welt dann vielleicht nicht mehr so ist, wie auf dem Bild gezeigt wird.

Alles ist nur für den Moment.

Achtsam sein für den Moment

In der Psychotherapeutischen Arbeit gibt es sogenannte Achtsamkeitsübungen. Achtsamkeit ist das bewusste Wahrnehmen des Augenblicks. Menschen mit seelischen Erkrankungen (und nicht nur diese) haben es oftmals verlernt, sich selbst und den Augenblick wahrzunehmen. Sie hetzen zwischen dem Bedauern der Vergangenheit und einer Besorgnis erregenden Zukunft hin und her und scheinen den Bereich des wirklichen Lebens dabei nahezu auszuklammern. Vielleicht am Wochenende! Oder vielleicht im Urlaub? Vielleicht mit der Rente. Sie rennen durch ihr Dasein, getrieben von Sorgen und Ängsten und nennen es Leben. Ist das ein Leben? Ich habe auch so gelebt und tue es in weiten Teilen noch heute. Heute bin ich Rentner und hätte Zeit, aber ich sorge tunlichst dafür, dass dies niemals eintritt. Ich bin Mitte fünfzig und habe oftmals das Gefühl, das Leben erst noch erlernen zu müssen. Mithilfe von Achtsamkeitsübungen wird versucht, den Menschen wieder mit den Füßen auf die Erde zu bringen.

Achtsamkeit – Wie geht das?

Es gibt verschiedene Techniken hierfür. Eine Achtsamkeitsübung kann zum Beispiel darin bestehen, auf den eigenen Atem zu achten, bewusst ein- und auszuatmen, zu spüren wie sich die Bauchdecke bei jedem Atemzug hebt und senkt. Eine andere Achtsamkeitsübung kann es sein, einen Spaziergang zu machen und bewusst die Natur wahrzunehmen, den Wind, der über eine Wiese streicht, einen Baum, der Schatten spendet, einen Bach, der leise und unaufhörlich dem Meer entgegen fließt, die Hummel auf einer Blüte, den Gesang einer Amsel, die Sonne auf der Haut oder den Sturm in den Haaren. Wenn du achtsam bist, passiert etwas Wunderbares. All die Hetze der Zeit, all die Schnelligkeit scheint ausgehebelt zu sein. Die Zeit scheint sich zu dehnen. Du kommst von deiner hohen Drehzahl herunter, du tourst ab. Du entspannst…

Ein entspanntes Leben

Ein entspanntes Leben hat, wer ein Leben im Moment führt, wer ganz im Augenblick ist. Nur wer eins ist, mit dem was er gerade tut, wer bewusst lebt, kann auch entspannt leben. Wie oft stopfen wir unser Essen so ganz nebenbei in uns hinein? Keine Zeit! Nur mal eben schnell etwas essen! Am besten ein Fertiggericht, denn für eine Zubereitung fehlt uns gerade auch die Zeit. Ist das wirklich so, oder haben wir es nur so für uns entschieden? Dabei kann Essen sehr sinnlich sein, ein wahrer Genuss. Selbst die Zubereitung kann mit der rechten Einstellung eine Zeit der Wahrnehmung sein, eine Zeit der Entspannung, eine Zeit um zur Ruhe zu kommen. Man kann dies allein tun oder mit einem anderen Menschen.

Das Leben kann so einfach sein, wenn wir erst einmal bereit sind, uns darauf einzulassen. Wir müssen nicht bis zum Feierabend darauf warten, bis zum Wochenende, zum Urlaub oder bis zur Rente. Das Leben ist jetzt.

Mir gefällt dieser Gedanke und ich freunde mich mehr und mehr damit an. Selbstredend fällt mir das nicht immer leicht. Ein Leben lang hatte ich andere Überzeugungen und Glaubenssätze wie etwa:

  • „Man muss zu seinem Wort stehen.“ (Muss man das wirklich?)
  • „Man kann doch seine Meinung nicht jeden Tag ändern?“ (Warum nicht?)
  • „Ich muss den Menschen in meiner Nähe doch Sicherheit geben.“ (Ist das wirklich meine Aufgabe? Sind sie dafür nicht selbst verantwortlich?)
  • „Ich muss vorsorgen.“ (Vorsorge bis zu einem gewissen Grad scheint mir in Ordnung zu sein, aber was, wenn aus der Vorsorge eine Dauersorge wird?)
  • „Ich muss doch mein Versprechen halten.“ (Weshalb kann ich nicht auch ein Versprechen wieder lösen, wenn es mir doch selbst im Weg steht?)

Beziehung Partnerschaft und Achtsamkeit

Manche Ehen oder Partnerschaften bestehen viele Jahre über den Zeitpunkt hinaus, wo es beiden gut tut. Bei manchen Paaren empfinde ich sogar eher Mitleid und Unverständnis als Bewunderung. Ich frage mich, warum sie eigentlich noch zusammen sind. Weil sie es sich versprochen haben? Sind sie noch zusammen, weil eine gute Beziehung ewig hält? Und wenn sie schon nicht gut ist, dann soll sie wenigstens gut aussehen? Oder ist es weil es eine Schande wäre, zuzugeben dass sich etwas verändert hat? Warum können wir nicht anerkennen, dass das Leben Wandel bedeutet?

Wenn sich ein Partner trennen will, aus welchen Gründen auch immer, dann verletzt uns das. Schnell wird er verdammt dafür, dass er seinen eigenen Weg gehen will, einen nun zurücklässt. Aber hat er nicht das Recht, über sein Leben zu entscheiden? Tut er nicht genau das Richtige und nimmt die Verantwortung für sein Leben wahr, anstatt alles unzufrieden und unreflektiert so weiter laufen zu lassen?

Wenn wir imstande wären, unsere Erwartungen und Glaubenssätze in dieser Hinsicht zu modifizieren, gäbe es deutlich weniger Leid, Verletzungen und Schmerz in dieser Welt. Im Grunde unseres Herzens wünschen wir uns doch, dass unser Partner aus Liebe und aus freien Stücken bei uns bleibt und wollen nicht, dass er dies allein aufgrund eines Versprechens tut, hinter dem er zudem heute nicht mehr stehen kann, oder? Wie viel mehr Toleranz, Respekt und Freiheit könnte in diese Welt kommen, wenn es uns gelänge, dem Anderen zuzubilligen, dass er seine Meinung ändern darf, selbst wenn er dies jeden Tag tun würde. Könnten wir ihm das verbieten? Wollten wir, dass man uns dies verböte?

Der Augenblick ist sicher

So unsicher die Vorstellung so einer Welt auch anmuten mag, wäre sie am Ende doch sicherer als sie es heute ist. Denn die Sicherheit von heute trügt. Die Sicherheit von heute ist nur scheinbar da. Das Leben lehrt uns täglich etwas anderes. Würden wir nicht davon ausgehen, die Welt wäre sicher, dann könnten wir vielleicht für den Moment wieder sicher sein. Denn in diesem Moment ist alles so, wie es ist. Es ist sicher. Wir würde uns nicht länger damit plagen, dass es einmal anders sein könnte, sondern vielmehr wertschätzen und genießen, dass es jetzt so ist, wie es ist. Wir bräuchten nicht mehr beachtliche Mittel in diverse Versicherungen investieren, um eine Sicherheit zu erlangen, die man sowieso nicht erlangen kann.

Es gibt keine Sicherheit in der Zukunft. Banken sterben, Firmen gehen pleite und ganze Staaten verschwinden von heute auf morgen auf dem Atlas. Das einzige was wirklich sicher ist, ist der Moment. Es wäre ein großer Schritt hin zu mehr Lebendigkeit, zu mehr Leichtigkeit und zu mehr Wahrhaftigkeit. Wir würden uns mehr mit dem befassen, was gerade ist und weniger mit der Zukunft oder der Vergangenheit. Es wäre ein großer Schritt hin zu mehr Achtsamkeit. Die Bedeutung des Augenblicks wäre einfach höher, weil klar würde, dass nur in diesem Augenblick etwas Spannendes passieren kann und ich nur jetzt wirklich darauf zu reagieren imstande wäre.

Ich wünsche uns Menschen, dass wir mehr und mehr die Bedeutung des Augenblicks wieder anerkennen, ihn überhaupt erst einmal wieder wahrnehmen können. Das wirkliche Leben ist jetzt und und es umfasst gerade eben nur genau diesen Moment…

Quellen zu „Achtsamkeit“

Foto: clipdealer
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