Selbstbild abzugeben – gut erhalten

Selbstbild und Selbstwert

Stimmen Selbstbild und Sein auch wirklich überein?

Die Depression sei eine emotionale Erschöpfung, heißt es, und habe viel mit gefühlter Hilflosigkeit zu tun. Sie sei einfach nur ein Mangel an Botenstoffen im Gehirn, eine organische Krankheit wie jede andere, liest man an anderer Stelle. Probleme in der Kindheit lägen ihr zugrunde und eine gewisse genetische Vorbelastung. Thesen zur Entstehung der Depression gibt es inzwischen viele und so wie die Menschen verschieden sind, sind es vermutlich auch die Ursachen dieser Erkrankung. Was viele Depressive aber oft gemeinsam haben, ist ein hoher Selbstanspruch. Ist das vorhandene Selbstbild nun Folge oder Ursache ungünstiger Lebensumstände und wie wirkt sich ein zu hoher Selbstanspruch womöglich aus?


Alles ist erlernt

Wenn man dem verhaltenstherapeutischen Ansatz folgt, gibt es keine psychischen Erkrankungen. Alles sei erlernt, heißt es, das normale wie auch das abnormale Verhalten, das gesunde wie auch das kranke. Das ist eine spannende These, wie ich finde. Zum Einen nimmt sie das Stigma von seelischen Erkrankungen, zeigt aber zugleich einen Weg auf, die eigene Situation zu verbessern. Manchmal ist es jedoch so, dass ich diesem Gedanken zwar folgen, dennoch aber keine Lösung für mich finden kann. Und das hat vielleicht mehr mit meinem Selbstbild zu tun, als man oberflächlich denken mag.

Suizidalität kam nicht vor

Früher beispielsweise dachte ich nie über Suizidalität nach. Sie kam nicht vor im Baukasten meines Lebens. Wenn es Probleme gab, suchte ich nach Lösungen und wenn ich keine Lösung fand, war ich möglicherweise frustriert. Sehr wahrscheinlich war ich sogar frustriert. Dennoch brachte es mich niemals auch nur in die Nähe dessen, was man gemeinhin als suizidale Gedanken bezeichnet.

Das ist anders geworden, seit ich tatsächlich einmal keinen Ausweg mehr sah. Ich war so sehr verzweifelt damals und unter Druck, dass mir die Vorstellung durchaus wohltuend erschien, einfach einzuschlafen und niemals wieder aufzuwachen. Ich wünschte mir, dass mein Herz einfach stehen bliebe und hätte ich die Möglichkeit gehabt, es willentlich anzuhalten, hätte ich es vermutlich getan.

Das ist jetzt viele Jahre her. Damals lebte ich in einer fragilen Beziehung und immer wenn ich das Gefühl hatte, die Beziehung sei in Gefahr oder gar verloren, tat sich ein großes schwarzes Loch unter meinen Füßen auf und zog mich in die Tiefe.

Rückzug als Schutz

Weil mir das mit der Suizidalität immer nur in Beziehung passierte, im Kontakt mit anderen Menschen, schirmte ich mich mehr und mehr ab, ließ Menschen nicht mehr so nah an mich heran. Besagte Beziehungen zerbrachen und andere, neue, waren erwartungsgemäß jeweils nicht von Dauer. Doch die Lösung war das auch nicht für mich. Eigentlich möchte ich ja nicht allein leben. Ich fühle mich wohl in einer Partnerschaft und eigentlich möchte ich auch unter Menschen sein. So dauerte es jeweils nie lange und ich ging erneut auf die Suche nach den Menschen. Das genau scheint das Spannungsfeld zu sein, in dem ich lebe. Es ist das Feld zwischen Suche und Flucht, immer mit dem Wunsch, endlich ankommen zu dürfen. Aber wo?

Was ich suche

Was suche ich wirklich? Was ist es, was ich eigentlich suche? Ist es im Grunde nicht nur der Frieden mit mir selbst, dem ich auf der Spur bin? Wie stehe ich zu mir und dazu, oftmals nicht konform zu sein, insbesondere in Beziehung zu anderen Menschen? Erst reiße ich mir ein Bein aus und tue alles für mein Gegenüber, mit dem ich in Beziehung treten mag, um dann irgendwann zu merken, dass ich auch Bedürfnisse habe, die ich aber weitestgehend unter den Tisch fallen ließ, um besser gefallen zu können.

Ja, gefallen – das wollte ich schon als Kind. Nicht allen und jedem, aber wenn ich gefallen will, leiste ich ganze Arbeit. Der Andere glaubt dann, ich wäre immer so und vermutlich ist ja genau das auch unbewusst mein Plan. Die Crux an der Sache ist, dass ich dann nicht mehr zurück kann, ohne das Bild, das der Andere von mir hat, ins Wanken zu bringen und somit Gefahr laufe, dass er seine Meinung über mich ändert, womöglich das Interesse an mir verliert.

Mein Selbstbild

Es ist sogar noch viel schlimmer. Letztlich ist es Selbstbild von mir selbst, das da ins Wanken gerät. Aber bin das auch wirklich ich? Bin ich so oder möchte ich einfach nur gern so sein? Ist mein Selbstbild in Wirklichkeit nicht nur ein Idealbild meiner selbst, fernab jeder Realität? Immer wenn das passiert, wenn ich mich eigentlich verhalten möchte, wie ich tief in mir bin, es mir aber nicht erlaube, treibt es mich in die Enge. Wenn ich dann weder vor noch zurück kann, wenn ich mich hilflos fühle, immer dann, wenn ich eine Situation als ausweglos wahrnehme, weil ich mit dem angepassten Verhalten nicht weiter komme, dann macht sich Überforderung in mir breit. Und genau dann steigt sie leise wieder auf in mir, die süße Sehnsucht, das liebreizende Verlangen, dem Ganzen auf Dauer eine Ende zu bereiten.

Es kommen dann diese Impulse, weglaufen zu wollen und gleichzeitig das Bewusstsein, dass dies doch sinnlos ist. Da kommen Fragen nach dem Sinn des Ganzen und wozu ich mich derart anstrengen sollte. Und wenn diese Art Gedanken erst einmal in meinem Kopf sind, dann ist die Generalfrage, die Frage nach dem Sinn meines Lebens überhaupt auch nicht mehr weit.

Gibt es eine Legitimation für mich?

Worin besteht eigentlich meine Legitimation, hier sein zu dürfen? Vielleicht ist mein Gefühl ja richtig, dass ich keinen Platz auf der Welt habe, niemand an mir interessiert ist, es egal ist, ob es mich gibt oder nicht? Habe ich meine Bestimmung nicht längst schon erfüllt, weil meine Kinder inzwischen groß und eigenständig sind? Auf diese Weise verengt sich dann meine Wahrnehmung mehr und mehr…

Die Auslöser für meine suizidalen Gedanken scheinen von außen betrachtet eher banal zu sein. Nicht dass mein Leben zu irgendeinem Zeitpunkt wirklich in Gefahr ist – vom suizidalen Gedanken zur Umsetzung ist noch ein ganzes Stück Weg zu gehen, aber dass im Grunde genommen Kleinigkeiten genügen, mich in diese Stimmung zu bringen, sorgt mich dann schon ein wenig…

Wer bin ich?

Ganz ehrlich? Manchmal weiß ich vor lauter Nachdenken gar nicht mehr, wer ich eigentlich bin. DIe sache mit dem Selbstbild scheint mir eher so ein unbewusstes Ding zu sein. Manchmal gibt es so ein inneres Aufbegehren, mich doch einfach nur ich sein zu lassen. Aber kann ich mich denn selbst so sein lassen, wie ich bin? Wie bin ich denn? Und ist das wirklich so wichtig oder geht es eigentlich um etwas ganz anderes?

Ist die Welt nicht für mich in Ordnung, wenn ich mich geliebt fühle und anerkannt und respektiert? Manchmal komme ich ja schon in so einen Zustand. Dann muss ich mich gar nicht in Frage stellen. Dann kann ich mein Leben einfach schön finden, die Menschen schön finden, den Tag schön finden und die Situation, in der ich mich gerade befinde. Hört das eigentlich nie auf? Bin ich etwa dazu verdammt, auf der Suche zu bleiben nach der Liebe meiner Mutter, die viel zu früh starb und nach der Liebe meines Vater, der zu mehr einfach nicht in der Lage ist?

Wann ist es gut?

Kann ich es nicht irgendwann einmal gut sein lassen, mit dem Wissen und der Weisheit von heute und mir sagen, dass ich bereits alles bekam, was ich zum Leben brauche, dass ich bereits alles in mir trage, ich nichts mehr zu bekommen habe? Wie fühlt sich diese Vorstellung an? Was würde sich ändern, wenn dem so wäre? – Frieden macht sich breit in mir, bei diesem Gedanken. – Irgendwie ist das eine schöne Vorstellung. Eigentlich bin ich doch autark. Ich kann doch selbst für mich sorgen.

Eigentlich bin ich mit vielen guten Gaben ausgestattet, den Weg durch mein Leben zu nehmen und die Bilanz kann sich im Grunde auch durchaus sehen lassen. Und ob es mir passt oder nicht, es gibt Menschen, die mögen mich per se und es gibt Menschen, die tun dies nicht, ganz so, wie ich selbst es auch handhabe. Dann ist doch eigentlich alles in Ordnung, oder? Dann müsste ich doch eigentlich nur mein Selbstbild korrigieren oder am besten ganz abschaffen? Womöglich braucht man so ein Ding überhaupt gar nicht? Wozu ein Bild? Ich könnte doch einfach nur ich sein? Einmal, als es mir nicht gut ging, schrieb ich in meine Tagebuch:

„Wenn ich eine Blume wäre, würde ich einfach nur blühen…

…und die Welt hätte Freude an mir.“

Der Wunsch, einfach nur sein zu dürfen, ist vermutlich schon sehr lange in mir. Wie wäre es also, ich würde mir jetzt selbst einmal einen Herzenswunsch erfüllen…?

Quellen zu „Selbstbild abzugeben – gut erhalten“
Foto: pixabay.com

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