Meine Schwächen und meine Stärken

Schwäche und Depression

Wenn es um unsere Schwächen oder auch um unsere Stärken geht, dann werden wir nicht selten kleinlaut. Darüber reden wir nicht allzu gern. Während uns unsere Schwächen die eigene Unvollkommenheit und Minderwertigkeit vor Augen führen, lässt die Beschäftigung mit unseren Stärken ein unbehagliches Gefühl von Arroganz in uns aufsteigen. Also gucken wir da lieber nicht hin, oder? Und doch gehören sie zu uns und wollen von uns angenommen sein. Vielleicht macht es ja aber auch nur die Einteilung in Schwarz und Weiß so schwierig? Was Schwächen und Stärken miteinander und mit einem heilenden Selbstbewusstsein zu tun haben, damit befasst sich der nachfolgende Beitrag.


Selbstkritik

Wenn Menschen sich selbst bewerten sollen, fallen ihre Urteile meist härter aus, als die ihrer Mitmenschen. In der Regel sind wir nämlich unser schärfster Kritiker selbst. Wir finden uns zu dick, zu hässlich, zu langweilig, zu dumm, zu ungeschickt, zu langsam, usw. Nun sollte man denken, das ist doch gut so! Wenn ich meine Schwächen kenne, kann niemand mir etwas anhaben. Ich bin eben selbstkritisch. Nur so kann ich mich weiterentwickeln. Aber ich glaube nicht, dass dies tatsächlich so ist. Denn immer wenn wir etwas „zu viel“ oder „zu wenig“ finden, immer wenn wir denken, etwas an uns ist (noch) nicht so, wie es sein sollte, dann lehnen wir diese Eigenschaft an uns ab und damit lehnen wir uns selbst ab.

Wie soll denn dann ein anderer Mensch je annehmen können, wozu wir selbst nicht einmal imstande sind? Ich denke, dass gerade in diesen Punkten uns Kritik von außen besonders hart trifft, wo wir uns selbst kritisieren. Wir fühlen uns erkannt, ertappt. Etwas, das wir an uns nicht mögen, wie wir nicht sein wollen, ist öffentlich geworden und jetzt weiß alle Welt, wie unzulänglich wir sind. Es ist eine Katastrophe und wir reagieren unverzüglich darauf. Wir rechtfertigen uns, reagieren aggressiv oder traurig, und  werten uns im Prozess des Geschehens noch weiter ab.

Selbsterkenntnis

Selbsterkenntnis hat nichts mit Selbstkritik zu tun, finde ich. Während Selbsterkenntnis einer vorbehaltlosen Innenschau gleichkommt, geht Selbstkritik nämlich noch einen entscheidenden Schritt weiter. Selbstkritik bewertet. Selbstkritik wertet ab, beschneidet, straft ab, lehnt ab. Der Selbstkritik fehlt es an Liebe. Sie ist niemals konstruktiv, sie dient allein dem Gott Destruktivismus. Selbstkritik zerstört. Sie zerstört unser Selbstvertrauen unsere Selbstliebe und unseren Selbstwert.

Selbsterkenntnis hingegen bemüht sich darum, zu erkennen, was da ist. Selbsterkenntnis freut sich über alles, was es findet. Es freut sich besonders über verborgene Gefühle wie Scham, Schuld und Wut, über Ängste und Aggressionen,  Lust und Gier, Neid und Missgunst, Schadenfreude und Mitleid, Kleinheit und Angeberei. Es freut sich über Unentschlossenheit ebenso wie über Unbesonnenheit und heißt ohne zu urteilen oder zu bewerten alles Willkommen, was es finden kann. Der Vorgang der Selbsterkenntnis kommt dem ersten Betrachten des eigenen, gerade geborenen Kindes gleich. Es ist ein Staunen, ein Wohlwollen, ein Akt der Liebe und womöglich ist es ein lebenslanger Prozess.

Selbstbewusstsein Selbsterkenntnis und Selbstwert

Das Wort Selbstbewusstsein ist in unserer Gesellschaft in aller Munde. Von zuviel oder zuwenig Selbstbewusstsein ist die Rede und davon, wie man dies ändern kann. Der selbstbewusste Mensch habe Erfolg, heißt es, und komme leichter durchs Leben. Der selbstbewusste Mensch meistere Krisen eher und lasse sich die Butter nicht so einfach vom Brot des Lebens nehmen. Doch was wir landläufig unter Selbstbewusstsein verstehen, muss nicht wirklich etwas mit Selbstbewusstsein zu tun haben. Ich würde an dieser Stelle deshalb lieber der Begriff „Selbstwert“ benutzen wollen. Was im Allgemeinen unter Selbstbewusstsein verstanden wird, meint nämlich eher unser Selbstwertgefühl.

Selbstbewusstsein geht dann noch einen Schritt weiter. Ich kann ein gutes Selbstwertgefühl mein Eigen nennen und doch zugleich über ein geringes Selbstbewusstsein verfügen. Ebenso kann es mir völlig an Selbstwert fehlen, ich habe aber dennoch ein sehr ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Selbstbewusstsein bedeutet nichts anderes, als sich bewusst zu sein, wie man ist, sich selbst zu kennen, die unbewussten Anteile gesehen und angenommen zu haben. Selbstbewusstsein ist die Voraussetzung für ein glückliches Leben, denke ich. Selbstwert hingegen kann trügerisch sein und verhindert nicht unbedingt persönliche Katastrophen oder Zusammenbrüche.

Selbstbewusstsein setzt also Selbsterkenntnis voraus, gefolgt von Selbstannahme. Auch Selbstwert setzt Selbsterkenntnis voraus und Selbstannahme, geht aber nicht unbedingt soweit, sich auch die dunklen Seiten der eigenen Persönlichkeit anzusehen, die Unzulänglichkeiten, die vermeintlichen Defizite und diese zu integrieren.

Warum Defizite ansehen?

Weshalb soll ich mir eigentlich meine Defizite ansehen? Ich habe ganz bewusst diese Überschrift gewählt, um sie sofort wieder in Frage stellen zu können. Das Wort Defizit vermittelt mir, dass mir etwas fehlt. Es vermittelt mir, dass ich (noch) nicht vollständig, nicht integer, nicht gut bin. Es vermittelt mir, dass ich erst noch etwas aus mir machen muss, ich noch nicht viel wert bin. Und deshalb ist die Bezeichnung Defizit in diesem Kontext auch unangebracht, denke ich. Denn ich bin schon etwas wert. So wie ich bin, bin ich vollkommen, jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt. Das heißt nicht, dass ich mich nicht noch weiter entwickeln kann. Es heißt nur, dass es okay ist, so wie es jetzt ist, dass ich okay bin, wie ich bin.

Der Mensch besteht aus Gegensätzen

Wir tragen immer beides in uns. Ich denke, wir bestehen nahezu vollständig aus Polaritäten. Wir sind gut, aber auch böse. Wir sind freundlich, aber auch garstig, geizig und großzügig, sanft und aggressiv, liebevoll und hart, ehrlich und verlogen, gönnend und neidend, wohlwollend und verachtend, hoffnungsvoll und resignierend, ängstlich und mutig, oberflächlich und suchend, mitfühlend und abgrenzend, neugierig und desinteressiert…

Und es ist gut, dass dies so ist. Ohne den Gegensatz könnten ich mich nicht entscheiden, so oder so zu sein. Ohne den Gegensatz würde mein menschliches Antlitz verblassen und zu dem einer Puppe werden, vorherbestimmt, unveränderbar, langweilig.

Die Gegensätze bringen Farbe in mein Leben und in die Gesellschaft. Es kommt nicht in erster Linie darauf an, gut zu sein, denke ich. Es kommt darauf an, zu erkennen, wie ich bin und mich dann und zwar erst dann für das Gute zu entscheiden. Meine ungewollten Anteile und Eigenschaften zu verdrängen, abzulehnen, nicht wahr haben zu wollen, macht sie nur stärker, entzieht sie aber meiner Kontrolle und Entscheidungsgewalt. Was ich von mir nicht weiß, kann ich auch nicht berücksichtigen.

Meine Schwächen

Und so habe ich mir einmal Gedanken gemacht über meine Schwächen, meine vermeintlichen Defizite. Ebenso wie das Wort Defizit hat auch der Begriff Schwäche hier einen eher destruktiven Charakter. Denn es geht nicht um die Eigenschaft, die ich habe, sondern eher darum, wann ich diese wo und wie einsetze. Die betreffende Eigenschaft ist an und für sich neutral. Es ist eine Eigenschaft. Die tut nichts. Erst wenn ich sie nach außen bringe, wenn ich sie einsetze, bewirkt sie etwas und das kann dann gut oder schlecht sein. Und dabei kam mir dann der Gedanke, dass meine Schwächen gleichzeitig auch meine Stärken sind. Je nach Anwendungsfall, je nach Kontext sind sie das eine Mal von Vorteil und ein anderes Mal vielleicht eher hinderlich. Sie jedoch ausblenden zu wollen, würde mir etwas nehmen. Das wäre dann nicht mehr ich. Ich würde mich verlassen und so käme ich mir dann auch bald vor.

Dann habe ich mir ein Stück Papier genommen und einmal aufgekritzelt, was mir an Eigenschaften einfiel, die ich unter die Rubrik Schwäche schreiben wollte. Dann bin ich hergegangen und habe das positive Pendant dazu gesucht. Dabei entstand nachfolgende Liste:

Fehler und Schwächen

  • Ich kann mich schlecht trennen — ich bin beständig und zuverlässig.
  • Ich bin oft zu angepasst — ich kann gut auf andere Menschen eingehen.
  • Ich bin zaghaft, unentschlossen — ich handle nicht unüberlegt, finde zu guten Entscheidungen.
  • Ich bin manchmal uneins indem was ich glaube und tue — ich erkenne Widersprüchliches in mir.
  • Ich muss allem immer auf den Grund gehen — ich bin interessiert und lernfähig.
  • Ich bin konfliktscheu — ich bin ausgleichend.
  • Ich bin verdrängend — ich muss mich nicht an allem sofort festbeißen.
  • Ich bin nach Bestätigung suchend — ich habe die Fähigkeit, Menschen für mich zu gewinnen.
  • Ich bin ängstlich — Ich bin vorsichtig, behutsam.
  • Ich bin ein Besserwisser — ich kann gut erklären.
  • Ich bin unterschwellig aggressiv — ich bin imstande, mich zu wehren.
  • Ich suche nach Aufmerksamkeit — ich kann auf Menschen zu gehen.
  • Ich habe manchmal ein zu geringes Selbstwertgefühl — ich bin kein Großkotz.
  • Ich bin oftmals zu empfindlich — ich kann schöne Momente tief erleben.
  • Ich fühle mich schnell angegriffen — ich kann mich gut abgrenzen.
  • Ich bin ungeduldig — ich spüre Leben und Leidenschaft.
  • Ich fühle mich als Opfer — hierzu fällt mir leider nichts Positives ein, vermutlich gibt es da auch nichts Positives, als wäre das etwas, dass ich nicht behalten muss

Fazit zu Schwächen und Stärken

Es hat mir Spaß gemacht, diese Liste zu schreiben, die sich sicherlich auch noch erweitern ließe. Wenn ich nur den linken Teil lese, fühle ich mich unwohl. Ich kann so unmittelbar erkennen, wie ich mich selbst bewerte. Ich fühle mich schlecht und unvollkommen und so sehe ich mich dann wohl auch. Das klingt nicht unbedingt nach einem verheißungsvollen und glücklichen Leben, oder? Aber wenn ich den rechten Teil lese, hebt sich meine Stimmung sofort wieder, steigt mein Selbstwert. Hier kann etwas Heilsames entstehen. Hier begegnen sich meine Natur und mein Verstand aufs Neue und ich kann zu anderen Einsichten gelangen, die alten Urteile aufgeben und durch liebevolle Annahme von mir selbst zu ersetzen.

Mir hat diese kleine Übung auf jeden Fall geholfen, meine von mir ungeliebten Anteile ein wenig besser anzunehmen. Ein Anfang zunächst, aber der erste Schritt ist ja bekanntlich der wichtigste. Weitere werden folgen, der Auftrag an meine Seele ist nun erteilt – über die Zeit wird sie ihn erfüllen und mein Verstand und mein Gefühl werden ihr dabei helfen. Ich hole nun nach Hause, was zu mir gehört und ich freue mich darauf, irgendwann wieder eins mit mir sein zu können.

Meine Schwächen sind auch meine Stärken – wie schön ist das denn…?

Quellen zu „Meine Schwächen sind meine Stärken“
Foto: pixabay.com

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