Griechische Mythologie und der Umgang mit Zeit

Umgang mit Zeit

Was ist Zeit?

Es gibt Menschen, die behaupten, es gäbe sie gar nicht. Es sei alles nur ein Schwindel. Zwar versuchen wir, sie zu messen, zu fassen, zu begreifen, doch im Grunde genommen können wir nichts davon wirklich tun. Unsere sogenannte Zeit ist frei erfunden. Sie wächst weder auf Bäumen, noch fällt sie vom Himmel. Man kann sie nicht sehen, nicht anfassen, nicht wahrnehmen. Sie scheint ein pures Konstrukt unseres Geistes zu sein.


Wir haben alle gleich viel Zeit

Das mit der Zeit ist wohl eher der Versuch, unsere Lebenszeit in mess- und vergleichbare Abschnitte zu teilen. Wir nennen diese dann Jahr, Monat, Woche, Tag, und Stunde. Wir benutzen die Zeit, um uns zu verabreden, um uns für unsere Arbeit bezahlen zu lassen und um andere für ihre Arbeit zu bezahlen. Aber eigentlich brauchen wir keine Zeit. Wir brauchen sie nicht, um leben zu können. Es wird uns das nur immer wieder suggeriert mit Sätzen wie „Zeit ist kostbar“ oder „Zeit ist Geld“. Wir sprechen von vertaner oder verschwendeter Zeit, aber in Wirklichkeit, spielt die Zeit als solche keine Rolle.

Zeit kann man nicht sparen

Wir haben alle gleich viel Zeit. Und wir können sie nicht wirklich sparen. Man hat herausgefunden, dass zum Beispiel alle Menschen auf der Welt täglich etwa gleich viel Zeit aufwenden, um sich von A nach B zu bewegen, etwa 70 Minuten am Tag. Nach der sogenannten Constant-Travel-Time-Hypothese ist dies überall so, in den USA mit ihren Highways, aber auch in Gegenden Afrikas, wo die Menschen noch zu Fuß gehen. Unser technischer Fortschritt, der uns Zeit ersparen sollte, tut dies also in Wirklichkeit nicht. In diesem Fall vergrößern sich einfach nur die Distanzen. Ein anderes Beispiel: Wenn du auf der Arbeit etwas sehr schnell erledigst, hast du nicht etwa s für dich erspart – du bekommst höchstens noch mehr Arbeit.

Wie wichtig ist die Zeit?

Die Wahrheit ist: Wir haben überhaupt keinen Sinn für die Zeit. Wir können tasten, schmecken, sehen. Wir können hören, riechen und haben einen Gleichgewichtssinn. Aber wir haben keinen Sinn für die Zeit. Wie wichtig kann aus Evolutionssicht also die Zeit sein, um überleben zu können? Mir ist schon klar, dass ohne Zeitangaben kein Fahrplan richtig funktionieren würde. Aber funktioniert er denn mit Zeitangaben? Früher verabredeten sich die Menschen bei Sonnenaufgang oder zur Mittagsstunde. Es war nicht so wichtig, ob jemand eine Stunde früher oder später kam. Man hatte die Zeit. Heute gehört es zu den Tugenden, pünktlich zu sein. Wie viel Stress entsteht allein durch diese vermeintliche Tugend? Wie viele Unfälle passieren im Straßenverkehr, weil jemand spät dran ist? Wir alle leben unter der Geißel der Zeit. Sie läuft uns davon. Wir haben alle zu wenig von ihr. So oder so ähnlich nehmen sie wahr.

Chronos der Gott der Zeit

In der griechischen Mythologie gibt es zwei Götter der Zeit. Der erste Gott ist Chronos, Sohn des Himmelsgottes Uranus und der Erdgöttin Gaja. Wir verwenden seinen Namen noch in Begriffen wie chronisch oder Chronometer. Chronos steht für das ewige Verstreichen von Zeit. Wir können Chronos begreifen als Sinnbild für unsere Lebenszeit oder die Zeit der Existenz des Universums. Der Gott Chronos wird in der Überlieferung als sehr grausamer Gott beschrieben.

Die alleinige Macht

Um die alleinige Macht zu erhalten, entthront er seinen Vater Uranus und entmannt ihn mit einer Sichel. Seither herrscht er über allem, was ist und niemand kann sich seiner Macht entziehen. Damit ihm nicht dasselbe wie seinem Vater widerfahren konnte, nämlich dass er selbst durch die Hand seiner Söhne entthront würde, verschlingt Chronos fortan all seine Kinder. Er tötet sie alle, mit einer Ausnahme.

Zeus – Sohn des Chronos

Zeus, der einzig überlebende Sohn des Chronos und Sinnbild göttlicher Macht, überlebt das todbringende Ansinnen seines Vaters. Die Bedeutung ist klar. Nur wer Macht über seine Lebenszeit gewinnt, wer sein Leben selbst in die Hand nimmt, Verantwortung übernimmt für das was geschieht und unterbleibt, nur der hat eine Chance den Fängen des Chronos zu entkommen.

Die Tatherrschaft

Nur wer die Zeit als seine eigene definiert, wer die Tatherrschaft jeden Tag bei sich behält, hat gegen den übermächtigen Chronos eine Chance. Wem es gelingt, die rechte Macht über seine eigene Zeit zu erlangen, der reift mit ihr und mit seinen Erfahrungen. Wer jedoch dazu neigt, eher alles laufen zu lassen, Entscheidungen anderen zu überlassen, die Verantwortung anderen zu übergeben, die Schuld anderen zuzuweisen, der wird auf Dauer eher chronisch unzufrieden sein. Ja, er wird vielleicht sogar chronisch krank. Er wird hadern mit seinem Leben und mit seinem Schicksal. Vielleicht wird er chronisch erschöpft sein oder auch chronisch überfordert.

Kairos – Sohn des Zeus

Zeus jüngster Sohn heißt Kairos. Kairos ist der zweite der erwähnten griechischen Götter der Zeit. Aber anders als Chronos steht Kairos nicht für die ewig dahin fließende Zeit, sondern für den Moment. Kairos ist der Gott des rechten Augenblicks. In der griechischen Mythologie wird Kairos beschrieben als ein Jüngling mit Flügelchen an sein Füßen, der stets nur auf Zehenspitzen läuft. Er bewegt sich nicht langsam und stetig wie sein göttlicher Großvater Chronos, sondern huscht umher, steht niemals still, ist mal hier und mal dort, niemand weiß genau, wann er wo sein wird und ist er da, ist er auch schon wieder weg.

Der kahle Schädel

Kairos wird dargestellt als ein junger Mann mit einem kahlen Schädel und einem Rasiermesser in der Hand. Das Rasiermesser ist schärfer als jedes andere Messer. Es schneidet mühelos. Und so scheint auch Kairos allem was sich dem rechten Zeitpunkt widersetzen will, überlegen zu sein.

Die Gelegenheit

An der Stirn trägt Kairos einen Haarbüschel, eine Art Zopf, die einzigen Haare am ansonsten völlig kahlen Schädel. Das soll symbolisieren, dass du den rechten Moment nur beim Schopfe fassen kannst (übrigens hat diese Redewendung auch in dieser Geschichte ihren Ursprung), wenn du ihn auch erwartest, wenn du gut vorbereitet bist, wenn du ihm entgegen siehst. Verpasst du hingegen die Gelegenheit, willst ihr nachlaufen und sozusagen von hinten nach dem Schopfe greifen, wirst du am kahlen Schädel des Kairos abgleiten.

Die zweite Dimension

Kairos gibt der Zeit eine völlig neue Dimension. Er verleiht ihr Tiefe. Sind es nicht gerade jene Momente im Leben, wo die Zeit stehen zu bleiben scheint, die eine besondere Bedeutung für uns haben? Was spielt Zeit für eine Rolle wenn wir verliebt sind und uns in die Augen sehen? Welche Bedeutung hat Zeit, wenn wir das erste Mal unser Kind in den Arm gelegt bekommen? Und welche Bedeutung hat sie, wenn das Leben uns einen Menschen nimmt?

Den rechten Moment erwarten

Wir alle wissen, dass die fünf Minuten vor Abfahrt des Zuges zur Ewigkeit werden, während stundenlange Bahnfahrten in angeregter Unterhaltung wie im Fluge vergehen können. Wenn wir ganz bei einer Sache sind, beispielsweise in ein Buch vertieft oder uns kreativ betätigen, dann verschwinden wir regelrecht im Augenblick, der sich dann bis zur Unendlichkeit kann. Das ist Kairos. Hier findet das Leben wirklich statt. Der Rest ist Flucht vor Chronos, ist geprägt von der Angst, von ihm verschlungen zu werden. Mit Kairos aber erwartest du den richtigen Moment. Möglicherweise entpuppt sich deine Entscheidung später als falsch? Das macht aber nichts, denn Kairos ist immer und überall.

Den Fehler erlauben

Es geht darum, etwas zu entscheiden, das eigene Leben in die Hand zu nehmen. Vielleicht musst du ein Risiko einzugehen, aber das ist Leben. Wenn du bewusst lebst, die Verantwortung für dein Leben bewusst trägst, dann wirst du dich vielleicht irren und es das nächste Mal besser machen. Du wirst Erfahrungen sammeln und an ihnen wachsen und reifen. Eines aber wirst du nie mehr sein: Opfer deiner Zeit. Du handelst selbstbestimmt und entschieden. Du gibst die Schuld nicht mehr anderen und damit gibst du anderen auch nicht mehr Macht. Die Macht über dich und dein Leben, deine Gedanken und Gefühle behältst sie dort, wo sie auch hingehört.

Der Schlüssel zum Glück

Die Zeit im Sinne von Chronos rinnt dahin. Wir können sie messen mit unseren eigens dafür entwickelten Chronometern, aber wir können sie nicht anhalten. Achten wir darum den Moment, denn ihm ihm steckt die ganze Tiefe des Lebens! In Kairos, denke ich deshalb, liegt der Schlüssel zum Glück eher verborgen, als im viel zitiertem und beschworenen Schicksal.


Quellen zu „Griechische Mythologie“

Kairos: abenteuer-philosophie.com/artikel/102_artikel1_zeit.pdf   Chronos: 8sam.org   Constant-Travel-Time-Hypothese: weltwoche  Foto: pixabay.com

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