Ich hasse es kritisiert zu werden – Umgang mit Kritik

Depression und Kritik

Ist die Kritik ein Freund oder ein Feind?

Als Kritikfähigkeit wird die Charaktereigenschaft beschrieben, die einen Menschen auszeichnet, der konstruktive Kritik als unterstützenden Akt wahrnimmt und sich dadurch nicht in seiner Integrität beschädigt fühlt. Menschen, die unter Depression leiden, haben es oftmals nicht leicht, in dieser Weise mit Kritik umzugehen. Da ihr Selbstbewusstsein oft schon im Keller ist, werten sie jedwede Kritik als gezielten Angriff auf ihre innere Sicherheit, ihren Selbstwert und ihre Bedeutung. Mit Kritik adäquat umzugehen und sie in förderlicher Weise zu nutzen, scheint unmöglich. Doch man kann den Umgang mit Kritik lernen, auch als depressiver Mensch, und so zusätzlich etwas gegen die Depression tun.


„Nur wenige Menschen sind klug genug, hilfreichen Tadel nichtssagendem Lob vorzuziehen.“  François de La Rochefoucauld

Mein Problem mit Kritik

Was ich einerseits liebe, treibt mich andererseits manchmal fast in den Wahnsinn. Ich mag keine Kopfnicker, Ja-Sager, Chamäleons, keine dauerangepassten Kreaturen, die sich fortwährend immer nur durch ihr Leben lavieren. Menschen hingegen, die eine eigene Meinung haben und diese auch offen vertreten, genießen meine Anerkennung und Bewunderung. Ich mag Menschen mit Rückgrat, insbesondere deshalb, weil sie zu einer aussterbenden Spezies gehören. Wehe aber ein Vertreter dieser Spezies kommt daher und vertritt fest eine Meinung, die jedoch nicht meiner Meinung gleicht. Aber Hallo! Jetzt haben wir ein Problem! Jetzt habe ich ein Problem! Es fällt mir sehr schwer, mich in solch einer Situation abzugrenzen. Ich kann das, was der Andere sagt, nicht einfach als das annehmen, was es ist – seine Meinung. Viel zu schnell setze ich „Meinung“ mit „Wahrheit“ gleich und wenn seine Meinung wahr ist, kann ja meine Meinung nicht wahr sein, was mich gleichbedeutend zum Lügner erklärt.

Kritik und Wahrheit

Also muss seine Meinung falsch sein, damit meine Meinung richtig sein kann (wovon ich natürlich überzeugt bin). Und nun geht das Theater los. Da er mich quasi einen Lügner schimpft (was er nicht wirklich tut, er vertritt nur seine eigene Auffassung), fühle ich mich sofort angegriffen und hole zum Gegenschlag aus. Ich argumentiere, erkläre, begründe, beleuchte, mache deutlich, bringe Beispiele und Gegenbeispiele – verausgabe mich regelrecht, damit unbedingt das Eine geschieht: Ich will Recht bekommen. Natürlich geschieht das meistens nicht – nun aber habe ich erst recht ein Problem. Zwei Strategien habe ich dann auf Lager, von denen keine besser oder schlechter ist, weil letztlich beide ungeeignet sind, eine Meinungsverschiedenheit zu einem beiderseits akzeptablen Ende zu bringen.

Nichts geklärt

Möglichkeit 1 ist übrigens weit verbreitet: Ich werde persönlich. Verbal greife ich meinen Gegner (denn das ist er inzwischen geworden) erst leicht, später massiv an und versuche ihn zu verletzen, so gut es geht. Ich tue dies in der Hoffnung, dass er irgendwann die Flucht antritt und ich somit als Sieger auf dem Feld bleibe. Möglichkeit 2: Ich erkläre, dass mir die ganze Diskussion hier zu dumm sei und verlasse selbst erhobenen Hauptes den Kampfplatz. In beiden Fällen ist nichts geklärt. In beiden Fällen sind am Ende zwei Menschen verletzt, weil sie eine eigene Meinung vertraten. Wobei es weniger die Meinung des anderen ist, die mich stört, als der Umstand, dass ich mich in Frage gestellt fühle. Und damit komme ich zum entscheidenden Punkt:

Meinungen sind richtig und falsch

Meinungen sind richtig und falsch, wahr und unwahr zugleich. Niemand muss meiner Meinung sein und dennoch kann sie für mich wahr sein. Im Gegenzug können viele Personen meiner Meinung sein und dennoch kann sie die größte Selbstlüge aller Zeiten beschreiben. Jeder Mensch hat ein Recht auf seine Meinung, sein eigenes Urteil. Und jeder Mensch hat ein Recht auf seine Wahrheit. Wie heißt es so schön in China? „Es gibt drei Wahrheiten: deine Wahrheit, meine Wahrheit und die Wahrheit. Die dritte Wahrheit, die absolute Wahrheit treffen wir kaum. Wir versuchen uns ihr, so gut es geht anzunähern, bleiben aber dennoch subjektiv. Ein Meinungsaustausch kann anregen, die eigene Meinung zu überdenken, muss er aber nicht. Jeder darf seine Auffassung behalten. Bei zehn Menschen gibt es 12 Meinungen, heißt es scherzhaft. Wie kann ich erwarten, dass jemand meiner Meinung ist und wieso ist das so wichtig? Traue ich meiner eigenen Meinung denn nicht?

Bestätigung von außen

Brauche ich Zuspruch von außen, Bestätigung und Anerkennung? Die Antwort ist: Ja! Leider ist dem so. Kommentare in diesem Blog, die mich in meinen Ansichten bestärken, tun mir wohl. Auf sie zu regieren fällt mir nicht schwer. Kommentare aber, die kritisch anmerken oder gar den Wahrheitsgehalt meiner Äußerungen anzuzweifeln scheinen, Kommentare die Widersprüchliches in Frage stellen, die schnüren mir sprichwörtlich die Kehle zu. Hierzu habe ich nichts zu sagen. Manchmal bin ich nach einem halben Jahr dazu in der Lage, zu antworten, manchmal nie. Und dabei sind es doch gerade diese Kommentare, die mich weiterbringen könnten.

Entwicklungspotenzial

Wer in Frage stellt, ermöglicht Verbesserungen. Wer sich selbst in Frage stellt, kann einen Sichtwechsel vornehmen. Hier gibt es noch viel zu tun für mich. Da lauert Potenzial. Hier möchte ich noch mehr Selbstsicherheit gewinnen. Es ist doch schön, wenn meine Meinung neben denen anderer Menschen Bestand hat. Ich müsste alles nur so stehen lassen können. Meinungsaustausch heißt doch nicht, dass man seine Meinung austauscht.

Kritik oder Meinung

Meinungsaustausch bedeutet Mitteilung, dem Anderen seine Sicht nicht vorzuenthalten, denn sie kann bereichernd sein. Ob ich eine Meinung oder Teile davon für mich übernehme, entscheide ich doch nach wie vor selbst. Es ist wichtig, dass Menschen sich austauschen. Jeder Mensch ist anders und jeder Mensch macht im Laufe seines Lebens andere Erfahrungen. Wir reifen aneinander. Wir brauchen das Gegenüber, um uns selbst zu begreifen. Auch ich habe das jetzt begriffen. Eine Meinung ist eine Meinung und keine Kritik. Eine Meinung ist eine Meinung und nichts weiter.

Was ist so schlimm an Kritik

Diese Frage lässt ja nahezu vermuten, dass Kritik böse Folgen für den Kritisierten haben kann. Er könnte sein letztes bisschen Selbstbewusstsein einbüßen und könnte sich ausgestoßen fühlen und missachtet. Er könnte sich abgewertet fühlen und er könnte verletzt sein, weil man ihm möglicherweise unwahre Dinge unterstellt. Die Wahrheit ist aber ganz woanders zu finden. Nicht der Kritik-Übende verletzt mich. Das muss er auch gar nicht. Das kann ich selbst viel besser. Wenn ich mich infolge kritischer Bemerkungen ausgestoßen fühle, dann ist es das Gefühl des Ausgestoßenseins, ein Gefühl, dass ich anders bin, ein Gefühl, das ich schon lange Zeit in mir trage. Oder aber es ist die Angst davor, dass es dazu kommen könnte. Wenn ich mich durch eine krittelnde Person abgewertet fühle, dann bin ich es selbst, der sich da gerade abwertet.

Mangelnder Selbstwert

Mein eigenes Selbstwertgefühl ist es hier, das nicht einmal einer Betrachtung von außen Stand hält. Wenn ich verletzt bin, dann hat mich nicht die geäußerte Meinung, respektive die kritisierende Person verletzt. Es sind alte Verletzungen, die mir seit vielen Jahren Schmerzen bereiten, bis hin zu Verletzungen aus der Kinderzeit. Verletzungen, die nie recht abheilen konnten und die eine nur allzu dünne Haut hinterließen, eine Haut, die bei der leisesten Berührung schon Schmerz empfindet. Der Kritik-Übende tut in Wahrheit all dies nicht. Er löst es lediglich aus. Aber ebenso könnten ein Blick, eine Bewegung, ein Foto, ein Geräusch oder ein Geruch dies tun. Es sind nur Auslöser. Es werden nur Knöpfe gedrückt. Aber für die Knöpfe bin ich selbst verantwortlich.

Kritik versus Lob und Anerkennung

Eigentlich sollte ich für jede Kritik dankbar sein. Denn immer, wenn es weh tut, immer dann wenn mich etwas „getroffen“ hat, dann betrifft es mich auch. Es sind Einladungen an mich selbst, nachzusehen, was da noch im Dunkeln liegt und mir Unannehmlichkeiten bereitet. Es sind Chancen, etwas aufzuarbeiten und auszuheilen, auf dass diese Art Schmerz nicht mehr auftreten möge. Lob und Anerkennung fühlen sich zwar schöner an, bringen mich aber eigentlich nicht weiter. Ich bin ja auch so bis hierher gekommen. Lob verbessert nichts. Es ist ja schon da, was gerade gelobt wird. An Lob kann ich nicht wachsen. Im Gegenteil, brauche ich das Lob von außen, um mich gut zu fühlen, mache ich mich alsbald davon abhängig.

Papa guck mal

Bekomme ich dann einmal kein Lob, geht es mir gleich schlecht und ich fühle mich noch unsicherer. Dann ist es geradezu so, als würde ich kritisiert. Kein Lob – also war es nicht gut, nicht richtig! Es ist das Kind in mir, das immer noch gelobt werden will. „Papa guck mal, was ich schon kann!“ Aber Papa hat keine Zeit. Papa muss arbeiten. So hungert das Kind Zeit seines Lebens nach der Anerkennung des Vaters und sucht sie woanders zu bekommen, bei Lehrern, Ausbildern, Vorgesetzten. Ein erwachsener Mensch kann sich dies selbst geben. Er kann aus seiner Arbeit und seinem Erfolg Bestätigung schöpfen. Aber ein Kind kann das nicht. Ein Kind, das einst zu wenig Anerkennung und Zuwendung erfuhr, verhält sich genau so, wie oben beschrieben. Es ist gekränkt, fühlt sich bedroht, scheint ausgestoßen zu sein.

Fazit zum Thema Umgang mit Kritik

Zwei Dinge nehme ich heute mit in mein Leben. Erstens möchte ich mich mehr um mein inneres Kind kümmern. Ich kann ihm doch die Anerkennung und Zuwendung geben, nach der es sucht, oder nicht? In Zukunft will ich nun öfter einmal in mich gehen und den kleinen Jungen aufspüren. Ich will versuchen, regelmäßig in den Dialog mit ihm zu treten und hören, was er zu sagen hat. Und zweitens will ich aufhören, in einem kritischen Menschen einen Gegner zu sehen. Eine Kritik ist auch nur eine Meinung und eine Meinung ist eine Meinung, weiter nichts, eine persönliche Ansicht, die jeder Mensch haben darf. Ich nehme doch dieses Recht für mich auch in Anspruch? Dann soll jeder Andere das gleiche Recht haben. Ich werde mir in Zukunft in so einem Fall sagen:“Ich finde es gut, dass der Kritisierende eine eigene Meinung hat, aber ich habe auch eine eigene Meinung dazu.

Respekt und Stolz

Ich respektiere seine Meinung als seine Meinung, aber ich bin auch stolz auf meine eigene Meinung. Vielleicht kann ich das eine oder andere für mich übernehmen? Vielleicht auch nicht. Ich werde darüber nachdenken.“ Denn ich muss mich nicht angegriffen fühlen, denn eine Meinung ist nichts, was man mir geben kann. Ich kann sie nehmen, ganz oder teilweise oder es lassen. Eine Meinung ist nur ein Angebot und dafür sollte ich dankbar sein, könnte es doch mein Leben reicher machen.

Quellen zu“Ich hasse es kritisiert zu werden- Umgang mit Kritik“
Foto: pixabay.com

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