Realitätsverlust – Im falschen Film

Realitätsverlust Depression

Im falschen Film

Realitätsverlust wird zumeist den Psychosen zugeschrieben, ist in Wirklichkeit aber ein Merkmal vieler psychischer Krankheiten. So kann er auch durch erlittene Traumata, Schock sowie Drogen- oder Alkoholkonsum hervor gerufen werden. Der Begriff beschreibt den geistigen Zustand eines Menschen, der nicht mehr in der Lage ist, die Situation, in der er sich befindet, so wahr zu nehmen, wie die Mehrzahl seiner Mitmenschen dies tun würde.  Auch die Depression wird vielfach von einem Realitätsverlust begleitet, zumindest zeitweise. Was passiert da mit uns und welche Möglichkeiten bestehen, hieran etwas zu ändern?


Realitätsverlust Definition

An die Depression selbst habe ich mich irgendwie schon gewöhnt und komme einigermaßen gut damit klar. Trotz alledem stelle ich mir oft die Frage: Depression okay, aber was soll ich tun bei Realitätsverlust und Gefühlschaos? Depressionen sind wie viele andere psychische Krankheiten unter anderem gekennzeichnet von einem Gefühlswirrwarr, zu viel Gefühl, zu wenig Gefühl, gar kein Gefühl. Es gibt selten ein gutes Maß. Viel zu schnell gerät alles außer Kontrolle und ich fühle mich von Gott und der Welt verlassen. Ich kann meine Gefühle dann nicht mehr ordnen, bin schlichtweg mit mir selbst überfordert und weiß quasi nicht ein noch aus. Das macht es für mich dann auch schwierig, in Kontakt zu bleiben. Ich verliere den Kontakt zu mir selbst und damit auch den Kontakt zu anderen Menschen. Auf diese Weise verliere den Kontakt zur Realität – ich erleide einen Realitätsverlust. Ich fühle mich fremd, bin mir selbst fremd.

Realitätsverlust erkennen

Als Depressiver weiß ich, was Realitätsverlust bedeutet, was es heißt, sich im falschen Film zu befinden. Ich realisiere die Wirklichkeit plötzlich tatsächlich nicht mehr. Es sind vielmehr alte Gefühle und Verletzungen, die in mir aufsteigen und den Anschein erwecken, als würden sie durch die aktuelle Situation hervorgerufen sein. Ich kann das dann nicht wirklich mehr differenzieren. Für mich sind meine Gefühle in dem Moment höchst aktuell. Es ist meine Wirklichkeit, meine Wahrheit, meine Realität. Ich fühle es so, also ist es auch jetzt so und der Grund, für das was ich fühle, muss demzufolge auch jetzt da sein. So steuere ich während des Realitätsverlustes quasi im Blindflug auf eine selbst herbei gerufene Katastrophe zu.

Ich bin im falschen Film. Ich habe den Bezug zur Realität verloren. Es entspricht in etwa dem Muster einer Traumatisierung. Unverarbeitete Gefühle brechen da plötzlich auf, suchen eine Gelegenheit, anzudocken. Weil aber Ursache und Wirkung zeitlich nicht in einem nachvollziehbaren Zusammenhang stehen, kann es keine Verarbeitung geben. Eine neue Verletzung ist in der Regel die Folge. Ich fühle mich unverstanden, ungeliebt und missachtet. Auch fühle ich mich allein gelassen und ausgestoßen. Ich befinde mich während dieses realitätsfernen Zustandes außerhalb jedweder Rationalität und doch ist alles, was ich erlebe, für mich so real, wie es realer nicht sein könnte.

Realitätsverlust – Was tun?

Realitätsverlust – mir passiert das regelmäßig. Dann überwältigen mich meine Gefühle so stark, dass ich gar nichts mehr fühlen kann. Ein Gefühl der Leere stellt sich ein. Zum Glück passiert so ein Chaos nicht täglich, aber leider doch immer wieder. Ich verstehe dann nicht, dass mich niemand versteht. Einzig nehme ich wahr, dass mich niemand versteht. Ich bekomme auch keinen Zusammenhang zu den eigentlichen Verletzungen. Ich gelange nicht in die Tiefe. Alles spielt sich dann nur an der Oberfläche ab, aber da tobt der Kampf umso heftiger, ein Kampf auf Leben und Tod. Es geht um mein Leben, um mein Überleben.

Ich verteidige mich aus Leibeskräften, als sei es ein letztes Aufbäumen gegen eine riesige Armada von Vernichtern. Ich gebe alles, ohne jedoch überhaupt angegriffen worden zu sein. Niemand wollte mir etwas Böses, aber das registriere ich nicht. Ich fahre meine gesamte Armee auf, Panzer, Geschütze, Flugzeuge. Ich bin drauf und dran, auch die Atombombe einzusetzen. Wenn der „Anfall“ vorbei ist, verstehe ich nicht, was gerade passiert war. Der kleine Auslöser meiner großen Gefühle ist wieder zu dem geworden, was er eigentlich ist – ein kleiner Auslöser, unbedeutend, lächerlich, nicht der Rede wert.

Beziehungen werden erschwert

Ich verstehe nicht, wie es zu so einer großen Reaktion kommen konnte. Ich bin wieder in der realen Welt angekommen. Wie soll jemand damit klar kommen können? Ich komme damit nicht klar. Wie sollen meine Angehörigen damit klar kommen oder Menschen, denen ich begegne? Ich halte diesen Realitätsverlust mit für den Hauptgrund, warum es mir schwer fällt, ja vielleicht sogar unmöglich ist, eine stabile Beziehung zu führen.

Der Realitätsverlust ist zwar nicht das Schlimmste an der Depression, aber es ist der Punkt, an dem mir deutlich wird, wie schwer es ist, mit einem depressiven Menschen  zusammen zu leben. Abgesehen davon gibt es ja auch noch jene Phasen, während dieser ich in mir selbst versinke und für kaum jemanden erreichbar bin.

Ich glaube, ich komme da allein nicht weiter und denke jetzt ernsthaft über eine neue Psychotherapie nach. Es sind immer wieder dieselben Muster. Ich stehe mir während der Phasen meiner Abwesenheit selbst im Weg. Es schadet mir und es schadet den Menschen, die mir nahe stehen, die mich begleiten durch meine Depression. Ich muss jetzt etwas tun, denn ich möchte im hier und jetzt leben. Die Dämonen will ich endlich hinter mir lassen. Ich möchte frei sein von den alten Plagegeistern, Menschen und Situationen wieder richtig verstehen können. Vor allem aber möchte ich mich selbst verstehen. Auf den zeitweise auftretenden Realitätsverlust könnte ich getrost verzichten.

Realitätsverlust Test

Jetzt wäre es vielleicht hilfreich, wenn es da so einen Onlinetest auf Realitätsverlust im Internet gebe. Ich beantworte ein paar Fragen und weiß am Ende, ob ich unter Realitätsverlust leide oder nicht. Aber so einfach ist das Problem dann doch nicht. Ein Indiz für deinen zeitweisen Realitätsverlust ist vermutlich schon, dass du jetzt hier auf dieser Seite unterwegs bist. Du spürst es intuitiv, wenn deine Welt nicht mit der deiner Mitmenschen übereinstimmt, am ehesten spürst du dies bei deinem Partner. Die Verständigung wird schwieriger, ein Verstehen oft unmöglich. Die Menschen um dich herum nehmen die Welt und vor allem auch dich anders wahr, als du selbst dazu in der Lage bist. Dies dürfte wohl das wichtigste Indiz sein. Dass es einen Realitätsverlust-Test gibt, ist mir bislang leider nicht bekannt.

Realitätsverlust durch Depression – Nachtrag

Aus der geplanten Psychotherapie ist leider nichts geworden. Wieder einmal war ich schneller getrennt, als mir lieb war. Getrennt – zusammen – getrennt -zusammen – so geht das jetzt seit Jahren. Nun bin  ich wieder allein und mir fehlt völlig die Motivation, an meiner Beziehungsfähigkeit zu arbeiten. Warum auch? Die Frau, die ich liebte, kann nicht mit mir leben. Bin ich nun verdammt dazu, allein zu sein? Das wohl nicht, aber scheinbar habe ich es vorerst so entschieden. Andere Frauen interessieren mich nicht. Ich hatte mein Herz verschenkt und ich habe es noch nicht wieder zurückfordern können. Und mein Realitätsverlust? Wen stört es? Solange ich allein lebe, gibt es kein Problem. Es stehen ja keine Realitäten im Widerspruch. Ich lebe in meiner Realität – einen Realitätsverlust würde ich vermutlich nicht einmal mehr bemerken…

Quellen zu Realitätsverlust und Depression
Wikipedia
Foto: pixabay.com
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