Die Depression als Notprogramm – Ratgeber
Wie alles in der Natur und der Entwicklung des Menschen einen Sinn hat, so glaube ich mittlerweile auch fest daran, dass die Depression für etwas gut ist. Wenn sich die Disposition, also die genetische Veranlagung, zur Depression seit Jahrhunderten immer wieder vererbt hat, dann muss sie den Menschen aus Sicht der Evolution einen Vorteil verschafft haben. Vielleicht ist sie ja so eine Art Notprogramm? Nichts entwickelt sich und hält sich meiner Meinung nach über so lange Zeit ohne einen triftigen Grund. Alles hängt miteinander zusammen und so verhält es sich auch mit der Depression.
Wozu also soll die Depression nun gut sein? Ich sehe in der Depression eine Urkraft, einen Urimpuls, der in jedem Menschen angelegt ist. Es ist eine Art Notprogramm, auf das das Auto Mensch umschaltet, damit es noch bis in die nächste Werkstatt fahren kann. Wir alle kennen das kleine gelbe Symbol aus dem Cockpit unserer Fahrzeuge. Natürlich kann man auf dem Notprogramm auch noch weitere Strecken zurück legen oder so tun, als wäre es gar nicht aktiv. Aber bei unserem über alles geliebten Automobil würden wir das niemals tun. Es könnte doch Schaden nehmen und deshalb ist es besser, sofort nach Auftreten der ersten Anzeichen, eine Werkstatt aufzusuchen und sich helfen zu lassen.
Depression durch Überforderung
Die Depression steht bei mir für ständige Überforderung. Ich habe viel erreicht in meinem Leben. So habe ich die DDR als „Staatsfeind“ überlebt und im freien Deutschland neu angefangen. Ich hatte quasi nichts, außer das, was ich auf dem Leib trug, als ich nach meinem Freikauf durch die Bundesrepublik von der Stasi in den Zug in Richtung Gießen gesetzt wurde. Ich musste bei Null wieder anfangen. Nicht einmal mein Beruf war hier anerkannt. Ich brauchte dafür eine Bescheinigung. Denn ich war „Der aus dem Osten“ und stand in der Hackordnung der Gesellschaft auf ziemlich unterster Stufe. Ich habe viel gearbeitet und meinen Beruf sehr ernst genommen. So habe ich mir im Laufe Zeit Respekt und Anerkennung erworben, in der Firma, in der Nachbarschaft, in der Kirchengemeinde…
Ich habe ein Haus gebaut für meine Familie und auf dem zweiten Bildungsweg während eines Fernstudiums meine Prüfung zum Techniker absolviert. Ferner habe ich für meine Familie und meine inzwischen an Alzheimer erkrankte Oma gesorgt, in dem ich sie in meinen Haushalt aufnahm. Ich habe den Rasen gemäht, die Hecke geschnitten und versucht, ein guter Nachbar zu sein. Ich war Lektor in meiner Gemeinde und habe mich in den Kirchenvorstand wählen lassen. Ohne je in einer Partei gewesen zu sein, habe ich für die Kommunalwahl kandidiert und hätte man mir das Amt des Papstes angeboten, hätte ich das auch noch angenommen, denn einer muss es ja tun…
Der Schalter für das Notprogramm
Die gelbe Lampe war schon lange an. Aber was sollte ich denn damit anfangen? Man muss doch seine Pflicht tun und seiner Verantwortung als Vater, Ehemann, Sohn, Enkelsohn, Kollege, Nachbar, Bürger, Christ, kurzum als Mensch inmitten der Gesellschaft gerecht werden. Ich wollte das wirklich und war mit 90% meist nicht zufrieden. Leider ist es oft so, dass man 90% in der Hälfte der Zeit schafft und für die restlichen 10% die andere Hälfte benötigt. Hätte ich mich nicht mit 90% begnügen können? Das ist doch auch ein Top-Ergebnis! Nein! Ich musste ja alles hundertprozentig richtig machen, am besten zweihundertprozentig! Habe ich durch mein Verhalten das Notprogramm Depression selbst herausgefordert?
Depression und der Wunsch nach Anerkennung
Anerkennung und Bedeutung von außen waren mir wichtiger, als einmal nach innen zu hören. Letztlich hat erst die Depression mich dazu gezwungen, etwas anders zu machen. Sie hat mich gelehrt, dass es etwas Wichtigeres gibt, als die Anerkennung von außen, nämlich die eigene Anerkennung. Die Depression hat mich gelehrt, auf mich zu achten und auf das, was für mich gut ist. Ohne die Depression hätte ich nicht überleben können. Sie war ein wichtiger Wendepunkt in meinem Leben.
Und wenn ich alles richtig mache, oder wenigstens 90 %, dann wird sie eines Tages womöglich überflüssig sein.
Quellen zu „Das Notprogramm Depression“
Foto: clipdealer.de