Hoffnung bei Depressionen? Ist das nicht naiv?
Auch wenn der Begriff Depression zunächst eher mit Hoffnungslosigkeit verbunden wird, steht die Depression nicht für das Ende des Lebens. Die Depression ist vielmehr eine gesunde Reaktion des Körpers und der Seele, wenn du dich selbst über lange Zeit überstrapaziert hast. Wohl denen, die eine Depression entwickeln und dieses Signal auch wahr nehmen! Wohl denen, die beginnen, etwas in ihrem Leben zu ändern! Sie zählen zu den künftig Glücklichen, für sie ist Heilung möglich. Bemitleidenswert sind dann wohl eher jene Zeitgenossen, die nicht einmal eine Depression zulassen, die auch noch das letzte Stoppsignal mit Volldampf überfahren, denn für sie besteht in der Tat keine Hoffnung mehr. Aber für alle anderen stehen die Chancen gut auf ein neues, glücklicheres Leben nach der Depression. Für sie besteht Hoffnung.
Es gibt keine Hoffnung … außer, man macht sie sich.
Lilli U. Kreßner
Depression heilen – Sicherheit schaffen
Gestern war ich beim Arzt. Genau genommen war ich beim Psychiater. Seit ich vor einem Jahr von Walsrode nach an die Nordsee verzogen bin, hatte ich einen solchen nicht mehr aufgesucht. Ich war müde, immer wieder von vorn anfangen zu müssen, mein ganzes Leben detailliert vor wildfremden Leuten ausbreiten zu müssen. Durch meine seelische Erkrankung hatte ich 2008 mein Haus verloren. Es kam infolge des Auseinanderbrechens meiner Familie unter den Hammer und da blieb nicht genug übrig, um damit eine neue Existenz begründen zu können. Also zog ich erst mal um und noch einmal um und dann noch einmal um. Ich bin jetzt 52 Jahre alt und in den vergangenen vier Jahren so oft umgezogen, wie zuvor in meinem gesamten Leben. Zuletzt hatte ich mir mit meiner neuen Partnerin ein Haus in Walsrode gemietet, aber nachdem sie wieder ausgezogen war, konnte ich mir das Haus allein nicht mehr leisten.
Hoffnung braucht Sicherheiten
Jetzt hier im Norden hoffe ich nun endlich angekommen zu sein. Ich habe wieder ein Haus. Es ist zwar noch eine ziemliche Bruchbude, aber es ist mein. Sagen wir, es ist mein Ergotherapiehaus, denn hier gibt es die nächsten zehn Jahre immer etwas zu tun. Und da ich gern handwerklich arbeite, ist das gut für mich. Ich habe jetzt wieder Sicherheit. Sicherheit, dass die Miete nicht erhöht wird, Sicherheit dass mir nicht gekündigt wird und die Sicherheit, dass ich mich hier verwirklichen kann. Ich brauche niemanden fragen, wenn ich etwas verändern will. Es ist meins. Sicherheit ist ein wichtiger Pfeiler beim Heilen von Depressionen. Seit ich in diesem Punkt Sicherheit habe, spüre ich auch wieder mehr Hoffnung.
Krampfhafte Suche nach Hilfe
Ich bin also in kurzer Zeit ziemlich oft umgezogen und weil es mir obendrein seelisch nicht gerade gut ging, habe ich jedes mal sofort wieder ein Betreuungsnetz für mich geknüpft: Hausarzt-Psychiater-Psychotherapeut-Soziotherapeut-Sozialpsychiatrischer Dienst. Jedesmal musste ich erneut meine Geschichte erzählen, mit dem Ergebnis, dass es mir dadurch oft schlechter ging als zuvor. Das unkoordinierte Herumwühlen in meiner Vergangenheit bekam mir nicht gut. Vergangenheitsbewältigung von mir aus gern – aber ich verkrafte davon nur geringe Dosen. Vermutlich habe ich mir das ganze Dilemma selbst eingebrockt, denn ich war es ja, der sich krampfhaft überall Hilfe gesucht hat. Irgendwann hatte ich zwischendurch sogar die Hoffnung aufgegeben, dass dieser ganze Krams etwas bringt. Aber vielleicht habe ich auch einfach nur wieder zuviel gemacht? Heilen mit Gewalt! Schnell, schnell! Das würde auf mich passen, aber eine Depression lässt sich so nicht behandeln, nur verstärken.
Depressionen heilen – Der Psychiater hilft
Nun hatte ich jedenfalls seit meinem letzten Umzug vor einem Jahr nur noch einen Hausarzt und über den habe ich mich auch mit Antidepressiva versorgt. Allerdings gefiel es ihm nicht so gut, dass ich nicht in fachärztlicher Behandlung war und so forderte er mich auf, mir wieder einen Psychiater zu suchen. Das wiederum gefiel mir nicht, aus vorgenannten Gründen, und ich ließ das Ganze erst ein mal ein halbes Jahr schleifen. Aber irgendwie hatte seine Bitte mich doch erreicht und ich beschloss eines guten Tages, ihm diesen Gefallen zu tun. Ich bat also telefonisch um einen Termin bei einem Psychiater in Cuxhaven. Es gibt nicht viele niedergelassene Fachärzte hier im Norden, so dass man überall auf volle Wartezimmer trifft. In meinem Fall dauerte es zunächst ein halbes Jahr, bevor ich überhaupt einen Termin bekam. Aber gestern war es nun so weit.
Hoffnung verloren
Ich fuhr also morgens nach Cuxhaven. Ich machte mir eigentlich keine große Hoffnung, was diesen Termin anging, wollte ihn nur hinter mich bringen. Denn aus meiner Sicht brauche ich keinen Psychiater. Mit der Zeit hatte ich die Hoffnung, man könne meine Depression heilen allmählich verloren. Meine Erfahrung hatte mich gelehrt, dass die obligatorischen vierteljährlichen 15 Minuten nicht sonderlich viel bringen und für meine Medikamente hatte ich ja den Hausarzt um die Ecke. Ich hatte einen Termin bei einem Gutachter für die Rentenkasse und erwartete deshalb einen alten Mann mit grauen Haaren oder Glatze.
Erklärungen erspart
Umso erstaunter war ich, als mich ein junger Mann in Jeans in sein Behandlungszimmer bat. Er sah ein wenig flippig aus, war gepierct und hatte volles schwarzes Haar. Entgegen meinen bisherigen Erfahrungen brauchte ich nicht viel erzählen. Nichts aus meiner Kindheit, nichts aus der Haftzeit, nichts von meiner Trennung. Er setzte sich nur oberflächlich über die letzten sechs Jahre ins Bild, die Zeit, seit der die Diagnose Depression bei mir amtlich ist. Das war sehr angenehm für mich. Ferner ließ er sich eine Schweigepflichtsentbindung für meine, mich früher behandelnden Ärzte geben und will sich nun die Akten zu meiner Vorgeschichte kommen lassen. Das erspart mir eine Menge Erklärungen und dafür bin ich dankbar…
Neue Antidepressiva – Neue Hoffnung
Doch die äußere Erscheinung des Arztes sollte nicht die einzige Überraschung bleiben. Nachdem wir über einiges gesprochen hatten, erfragte er meine aktuelle Medikation. Er wunderte sich, dass man mich nicht mit anderen, sogenannten Phasenmedikamenten eingestellt hatte. Und er meinte, er sehe einen schwer depressiven Mann vor sich, von dem keinerlei Schwingungen ausgingen. Das war eine ziemliche Ernüchterung für mich, denn eigentlich fühlte ich mich doch relativ gut. Aber wie war das noch mit der Selbstwahrnehmung von Depressiven? Also war es doch gut, mal wieder einen Facharzt aufgesucht zu haben! Er sprach davon, dass in meinem Fall behandlungsmäßig mehr zu machen sei, wollte mich aber erst einmal besser kennen lernen, bevor er die Medikation ändere.
Hoffnung kehrt zurück
Er machte einen offenen und direkten Eindruck auf mich und das gefiel mir. Ich glaube, ich will mich darauf einlassen. Ich spüre so etwas wie Hoffnung. Hoffnung, dass es mir doch eines Tages besser gehen könnte. Hoffnung, dass meine Depressionen vielleicht doch noch besser behandelbar oder gar zu heilen sind. Diese Hoffnung hatte ich schon seit längerem verloren. Besser gesagt, ich habe diese Hoffnung selbst beiseite gelegt. Aber nun kann ich sie wieder zulassen und bin gespannt, auf das, was nun kommen wird. Wenn gestern auch nicht viel passiert ist, es zumindest keine neuen Fakten und keine geänderte Behandlung gibt, so hat sich dieser Besuch in Cuxhaven für mich doch gelohnt. Ich bin mit einem Gefühl nach Hause gefahren, dass ich nicht wirklich mehr zu meinen Ressourcen zählte, mit Hoffnung. Und das besonders Schöne daran ist: Diese Hoffnung ist auch heute noch da….
Quellen zu Hoffnung und Depression
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